HORSE FEATHERS - Appreciation (2018)

Americana in einer neuen Dimension: Soul, R&B und orchestrale Untermalungen sorgen bei „Appreciation“ von HORSE FEATHERS für ein reifes, erwachsenes Hörerlebnis.

Der in Idaho aufgewachsene Justin Ringle gründete 2004 in Portland, Oregon die Formation Horse Feathers, die in wechselnden Besetzungen bisher fünf Alben einspielte. Eine private Neuorientierung des Sängers, Gitarristen und Komponisten Ringle prägte jetzt die Entstehung des sechsten Werkes „Appreciation“: Der Umzug nach Astoria, das in Oregon an der Mündung des Columbia Rivers in den Indischen Ozean liegt, legte nicht nur neue persönliche Perspektiven frei, sondern brachte auch ein erweitertes Soundverständnis mit sich.
Appreciation - Horse Feathers: Amazon.de: Musik
Wie eine akustische Botschaft aus der Vergangenheit schallt „Without Applause“ aus den Boxen: The Rolling Stones, The Doobie Brothers und Little Feat senden ihre im allgemeinen Bewusstsein konservierten Schwingungen und Horse Feathers setzen sie zu einem neuen Country-Soul-Rock-Mix zusammen.

„Best To Leave“ nimmt die Streicher vom Philly-Soul, die Geige vom Folk, die Steel-Guitar vom Country und den Rhythmus vom New Wave und stellt diese Instrumentierung in den Mittelpunkt eines vertrackten Liedes, das sich jeder eindeutigen Zuordnung zu einer Stilschublade entzieht. „Broken Beak“ erweckt den Anschein, es sei in Zusammenarbeit mit Jason Isbell entstanden. Genauso wie der versierte Komponist aus Texas scheren auch die Musiker von Horse Feathers aus dem üblichen Americana-Rahmen aus und präsentieren die verwendeten Roots-Music-Muster stiloffen, kreativ und gewandt.
Wenn lockerer Country-Folk-Rock einen milden Pop-Überzug erhält, können dabei betörende Klänge heraus kommen. Mit „Don't Mean To Pry“ ist genau das gelungen. In Altamont fand am 6. Dezember 1969 das berühmt-berüchtigte Musik-Festival statt, bei dem während des Konzertes der Rolling Stones ein Besucher von einem Hells Angels-Mitglied, der als Ordner engagiert wurde, getötet wurde. Das Stück mit dem Namen „Altamont“ beinhaltet den Schwung des Gypsy-Swing und die Leidenschaft des Rock & Roll. Es mutiert im Verlauf zum furiosen Ton-Cocktail mit ausschweifenden, expressiven Folk-Rock-Exkursionen.
In weiten Teilen liegt mit „Appreciation“ ein substanziell starkes, charaktervolles, charismatisches Gothic-Americana-Album vor, das sogar vor wallenden Streichern und Dämmerungs-Schattierungen nicht zurück schreckt. Dieser Aspekt der Ernsthaftigkeit tritt allerdings in unterschiedlicher Ausprägung zu Tage: Für „Born In Love“ werden hin und wieder Erinnerungen an bekannte Songstrukturen geweckt: Der Takt von „I Can Stand The Rain“ von Ann Peebles kommt in den Sinn, wird wieder zerstreut und verwirbelt und weicht einem Konstrukt, das zugängliche und vertrackte Pop-Ideen gegeneinander ausspielt. Der Country-Soul von „Evictions“ sorgt geschmeidig für gefühlvolle Schwingungen und beim dunklen, geheimnisvollen Folk-Blues „Faultline Wail“ wird mehr Wert auf eindrucksvolle, atmosphärische Sounds als auf eine zündende Melodie gelegt. „The Hex“ mischt Folk- mit Jazz-Strukturen und bewegt sich damit souverän im anspruchsvollen Singer-Songwriter-Umfeld. Das sinfonische „On The Rise“ beweist dann zum Abschluss mit seiner raumfüllenden Ausrichtung malerische Soundtrack-Qualitäten.
Der Folk bekommt hier nicht nur den sakralen Tiefgang des Soul und Gospel sowie den zupackenden, sexuell aufgeladenen Druck des Rhythm & Blues verpasst, sondern erhält auch punktuell erhabene und dramatische Einlagen. Die Formation verlässt sich nicht alleine auf die hinreichend bekannte Wirkung von Gitarren, Bass und Schlagzeug: Die zusätzlich eingesetzten Instrumente werden sowohl prägend und auffällig (Steel Guitar, Streicher, 80er Jahre Casio Rhythmusgerät) wie auch kurz und schmückend (Banjo, Bläser, Dobro, Keyboards) eingesetzt.
Justin Ringle hat nämlich erkannt, dass durch den Gebrauch mehrerer unterschiedlich klingenden Instrumente - auch wenn sie manchmal nur sporadisch aufblinken - das Emotions- und Erlebnisspektrum ungemein erweitert wird und dadurch ein nachhaltig berauschendes Klangerlebnis zustande kommen kann. Mit seiner traurig flehenden oder harmonisch ausgleichenden Stimme setzt der Band-Chef vermittelnde Bezugspunkte und konterkariert so häufig das Stimmungsbild, welches die Instrumente vorzeichnen. Das ist Komponier- und Arrangier-Kunst auf hohem Niveau! Leider ist das Vergnügen schon nach 35 Minuten zu Ende, grade als die Platte seine magische Wirkung voll entfaltet hat. Das Werk hat sich allerdings zu diesem Zeitpunkt schon eine hohe Anerkennung erspielt.

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