Lesestoff: Pop steht Kopf
Fünf Autoren, fünf Sichtweisen, eine Zielrichtung: Der Pop soll Kopf stehen.
Leseproben:
Prolog:
„Wir stehlen, wir sind die Raubritter des Rock `n` Roll“, gab Donald Fagen - neben Walter Becker einer der beiden Köpfe
hinter Steely Dan - offen zu. Sie raubten regelgerecht, unter Angabe der Quelle
für „Rikki Don`t Lose That Number“, das 1974 auf dem Album „Pretzel Logic“
erschien. Für ihren Hit benutzten sie die Eingangsakkorde von „Song For My Father“ des Blue Note-Jazz-Pianisten Horace Silver aus 1963. Aber einmal
„vergaßen“ Becker & Fagen, den Urheber zu nennen. Nämlich bei „Gaucho“ aus
1980, wo sie als Grundlage das 1974er „Long As You Know You`re Living Yours“
von Keith Jarrett anzapften.[1]
Der Jazz-Pianist verklagte daraufhin Steely Dan, bekam Recht und muss seitdem
als Co-Autor genannt werden.
Bei der Herstellung von Gütern gibt es Strafen
für Nachahmer, wenn sie gegen das Urheberrecht verstoßen. Denn durch eine Kopie
ohne Lizenzvertrag werden Ideengeber und Produzenten um den Ertrag aus ihren
Leistungen betrogen. In der Musik ist das Recht an der Komposition zwar auch
als immaterielles Gut gesetzlich geschützt, aber das unrechtmäßige Beziehen auf
Vorbilder kann häufig nur schwer nachgewiesen werden.[2] Dennoch
mussten sich Gerichte nicht selten mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum
beschäftigen. Ein populärer Fall war dabei das Verfahren der Girl-Group
Chiffons gegen George Harrison. Es wurde behauptet, die Melodie von Harrisons
„My Sweet Lord“ von 1970 wäre von „He`s So Fine“ aus 1963 abgeschaut worden.
Das Gericht befand George Harrison für schuldig und man einigte sich in einem
Vergleich auf die Formulierung, es sei ein „unabsichtliches Plagiat“
entstanden. Die Justiz konnte zwar eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden
Songs feststellen, aber Harrison wurde keine absichtliche Übernahme
unterstellt. Der Richter ging davon aus, dass der Chiffons-Song wohl in seinem
Unterbewusstsein vorhanden war, sich das Bewusstsein aber nicht daran erinnern
konnte. George musste daraufhin etwa 1,6 Millionen US-Dollar Schadenersatz
zahlen.[3]
Wegen der Entleihung von Songfragmenten waren
Led Zeppelin sozusagen Dauergäste vor Gericht. Bei dem einen oder anderen ihrer
frühen Stücke konnte ermittelt werden, dass sich die Liebe zu Blues-Klassikern
zu tief in die Großhirnrinde der Musiker eingebrannt hatte und so bewusst oder
unbewusst Einzug in Aufzeichnungen fand. An eine direkte Listung der
Ursprungsautoren dachten Jimmy Page und Robert Plant damals nicht. Die
Blues-Veteranen oder ihre Nachkommen mussten erst über Anwälte darauf
hinweisen, dass es bei der Nennung der Komponisten bei manchen Songs nicht mit
rechten Dingen zugegangen war. Das betraf zum Beispiel auch „Whole Lotta Love“,
wo Zitate und Gitarren-Riffs aus „You Need Love“ verwendet wurden. Den Track
hatte Willie Dixon für Muddy Waters geschrieben, der ihn 1962 aufnahm. Am Ende
gewann die Tochter von Willie Dixon den Streit nach zweijährigen Verhandlungen
im Jahr 1987. Es kam zu einer monetären Entschädigung und seitdem muss ihr
Vater auch als Verfasser genannt werden. Robert Plant zitiert gerne mal schon
verwendete Textpassagen. Für „Whole Lotta Love“ hat er die Zeile „Shake for
me girl / I wanna be your backdoor man“ (Sinngemäße Übersetzung: „Beweg
dich für mich Mädchen / Ich möchte dein Liebhaber sein“) aus „Backdoor Man“
von Howlin` Wolf verwendet. Das Lied wurde übrigens auch von Willie Dixon
geschrieben. Die übernommenen Segmente dauerten ganze 26 Sekunden, die den
uneinsichtigen Blues-Rocker teuer zu stehen kamen. Aber wie bereits erwähnt:
Led Zeppelin wurden noch öfter angeklagt. So basiert „The Lemon Song“ von „Led
Zeppelin II“ (1969) auf „Killing Floor“ von Howlin` Wolf. Auch für diese
„Gedankenübertragung“ wurde Geld fällig und die Urheber-Liste musste angepasst
werden. Aber nicht immer konnten Page & Plant mangelnde Eigeninitiative
nachgewiesen werden: Die Erben von Randy California - seines Zeichens Sänger,
Gitarrist und Komponist der West-Coast-Band Spirit - versuchten auch, die Led
Zeppelin-Chefs zur Kasse zu bitten. Sie behaupteten, dass das 1967 verfasste
Stück „Taurus“ die Grundlage zu den Gitarren-Linien für „Stairway To Heaven“
gelegt hätte. Es konnte aber keine signifikante Ähnlichkeit nachgewiesen werden
und deshalb gingen die Nachlassverwalter leer aus. Laut Ermittlungs-Experten
handelt es sich bei diesen Gemeinsamkeiten lediglich um die Verwendung von
sogenannten „Line Clichés“, also üblichen Kompositionsschemen. Der rein
subjektive Eindruck vermittelt trotz alledem recht starke Übereinstimmungen.
Aber wo ist die Grenze zur bewussten Kopie zu setzen?
Welche Form der Inspiration ist legal und
welche kriminell? Und lässt sich eine Beeinflussung überhaupt verhindern, wenn
man sich tagtäglich mit Musik beschäftigt und professionell ständig von Tönen
umgeben ist? Nimmt denn im Umkehrschluss irgendjemand künstlerischen Anstoß
daran, wenn bewusste Anregungen zugegeben werden? Im Folgenden gibt es
Beispiele, wie sich Einflüsse ausgewirkt haben, wo Referenzen nachgewiesen
werden können und in welchem Fall historische Schöpfungen einer Vital-Kur
unterzogen wurden.[4]
[1]
Das war der eigentliche Grund für Donald Fagens „Raubritter“-Vergleich.
[2]
Das deutsche Urhebergesetz wurde 1965 verabschiedet. Als Plagiat wird darin in
§ 13 ein Musikwerk (d. h. eine
persönliche geistige Schöpfung) definiert, welches sich „im Ganzen oder in
schutzfähigen Teilen als in den im Gesamteindruck als maßgeblich ermittelten
musikalischen Parametern identisch mit einem (noch) geschützten älteren
Musikwerk“ erweist. „Mangels objektiver Kriterien (z. B. Mindestanzahl an Tönen
für eine schutzfähige Melodie) entscheidet jedoch letzten Endes auch im
Gerichtssaal die in Ästhetik, Philosophie wie in den Geisteswissenschaften
überhaupt […] mit großem theoretischem Aufwand untersuchte‚ ästhetische
Erfahrung‘.“ (Quelle:
https://blogs.uni-siegen.de/pop-zeitschrift/2013/05/27/substantially-similardas-plagiat-aus-sicht-des-verhaltnisses-von-musik-und-rechtvon-frederic-dohl27-5-2013/).
International betrachtet, wird die Rechtslage zum Plagiat übrigens sehr
unterschiedlich beurteilt.
[3]
Klägerin war die Bright Tunes Music Corporation, verhandelt wurde am 31. August
und 01. September 1976.
[4]
Neben der unabsichtlichen oder absichtlichen Aneignung von fremden Ideen grenzt
man rechtlich den Umgang mit Cover-Versionen, Samples und Remixen voneinander
ab. Bei Cover-Versionen unterscheidet man in diesem Zusammenhang das reine
Nachspielen und die Abwandlung des Originals. Beim Nachspielen braucht der
Interpret laut deutschem Urheberrecht nicht um Erlaubnis zu fragen, er muss
aber Lizenzgebühren über die Verwertungsgesellschaft GEMA (Gesellschaft für
musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte) abführen, die
vollständig den Ursprungs-Autoren zustehen. Bei einer Überarbeitung eines
Liedes muss der Urheber um Erlaubnis gebeten und die
Aufteilung der Einnahmen zwischen Schöpfer und Interpret ausgehandelt
werden. Beim Sampling werden nur einige Sequenzen aus Songs für eine neue
Komposition übernommen. Auch hierzu müssen die Rechte erworben und die
Benutzung vergütet werden – egal wie lang der „geborgte“ Ausschnitt ist. Ein
Remix, also eine Neubearbeitung eines Stückes, wird häufig vom Komponisten oder
der Plattenfirma unter Verwendung der Originalaufnahmen in Auftrag gegeben. Der
Remixer wird dabei in der Regel mit einer Einmalzahlung entschädigt und hat
keine Ansprüche auf die anfallenden Tantiemen. (Quelle:
https://www.soundandrecording.de/stories/der-rechtliche-hintergrund-von-coverversionen/)
Es gehört schon eine gewisse
Portion Arroganz dazu, wenn man sein Lieblings-Lied gegen alle Widerstände mit
Zähnen und Klauen verteidigt. Ungeachtet dessen, dass niemand sonst das
Besondere, die Magie und die schiere Genialität nachvollziehen kann oder will.
Dabei ist es doch glasklar, dass es sich bei „Vision“ von Peter Hammill um ein
unverzichtbares Meisterwerk handelt, welches man selber vollkommen durchdrungen
hat, jede Note emotional tief spürt und so und nicht anders für optimal
durchkomponiert hält. Das ist ein fleischgewordenes, idealtypisches Tongebilde,
welches über jeden Zweifel erhaben ist. Die Welt sollte dieses Kleinod
eigentlich dankbar annehmen und darauf vorbereitet sein, davon beglückt zu
werden, um dann ein wenig besser zu erscheinen – aber alle
Missionierungsversuche meinerseits halfen bisher nicht. Anscheinend bin ich der
Einzige, der von den Klängen so außerordentlich verzückt ist. In dieser
Situation fühlt man sich manchmal wie ein Außerirdischer oder ein Erleuchteter,
den keiner verstehen kann oder dann auch wieder wie ein Aussätziger oder
Spinner.
Hat das etwas mit Verblendung zu
tun, habe ich mich an einem Konstrukt grundlos festgefressen, das es vielleicht
gar nicht verdient hat, sich dafür beschwörend ins Zeug zu legen, immer wieder
zur Verteidigung in den Ring zu steigen und nicht locker zu lassen, um
Superlativen zur Beschreibung zu erfinden? Zur Sicherheit wird der Song noch mal
auf die Probe gestellt. Mich traf „Vision“ von Peter Hammill 1971 wie ein
Blitz, als das Stück bei Radio Bremen im Nachmittagsprogramm vorgestellt wurde.
Seitdem habe ich die Komposition einige hundert Mal gehört und sie hat dabei
noch nie ihre betörende Wirkung eingebüßt.
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