Lesestoff: Pop steht Kopf

Fünf Autoren, fünf Sichtweisen, eine Zielrichtung: Der Pop soll Kopf stehen.


Die Bugwellen des Lebens prägen die Wahrnehmung und damit auch die Beziehung zur Musik, die für alle Autoren von "Pop steht Kopf" viel mehr als nur billige Hintergrund-Berieselung ist. Damit geben sie sich nicht ab. Musik ist ein wichtiger Bestandteil des Daseins, ist beglückend, bildend und kraftspendend. Davon handelt "Pop steht Kopf" unter anderem. Unerschrocken vorgetragene Erfahrungsberichte zeichnen ein schillerndes, abwechslungsreiches Bild der Pop-Kultur, das es in dieser Konstellation wohl bislang nicht gegeben hat. Kompetenz trifft hier vortrefflich auf Leidenschaft, Feinsinnigkeit, Aufrichtigkeit und Originalität.


Der Klappentext:

Musik in einen kulturellen und/oder persönlichen Kontext zu stellen, war die einzige Vorgabe an die Autoren dieser Anthologie. Ihr Titel Pop steht Kopf ist lediglich eine Andeutung, wie unterschiedlich die Autoren mit ihren eigenwilligen Perspektiven an das Thema herangingen. Sachverhalte und Erzählweisen werden nicht nur auf den Kopf gestellt, vielmehr werden sie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. So bewegt Heino Walter die geschichtsträchtigen Wellen des Pop und verquickt sie letztlich mit dem brisanten, hochaktuellen Thema Künstliche Intelligenz. Zudem beschwört er eine Vision herauf und dies alles in seiner eleganten, wortschatzreichen Sprache. Martin Feuchts autofiktionale Erzählung zeigt Kleinstadt-Rebellen der 68er in Interaktion mit Nazi-Kunst und der Gesellschaft, wobei das Geschehen bis in die Gegenwart reicht. Eine den Leser intellektuell herausfordernde Lektüre, bei der einem schwindelig werden kann. Reale, dennoch subtil gespenstische Begegnungen mit Bob Dylan, den Waterboys und U2 inszeniert Michael Moravek, dessen Sprache Suchtpotenzial generiert. Gleiches gilt für Christian Anger, der persönliche und musikalische Innenansichten präsentiert, die einem Gänsehaut bereiten. Günter Ramsauer verknüpft Wolfsgeheul, Schreie, Schüsse, Raubtierlaute und einiges mehr mit Film, bilden - der Kunst, persönlichen Erlebnissen und sonst noch was. Die Anthologie Pop steht Kopf ist keinem Genre zuzuordnen, mal kommt sie als Sachbuch, dann wieder als erzählende Literatur daher. So entstand ein Text-Kaleidoskop, das den Leser auf die Reise ins Land der populären Kultur mitnimmt. Tauchen Sie ein in die schillernden Textwelten von Christian Anger, Martin Feucht, Michael Moravek, Heino Walter und Günter Ramsauer.


Das Inhaltsverzeichnis:

VORWORT

HEINO WALTER

Wellenbewegungen: über Einflüsse, Referenzen und Retrospektiven in der Pop-Musik. 

Warum „Vision“ von Peter Hammill auf jeden Fall ein außergewöhnlicher Song ist.

CHRISTIAN ANGER

Innenansichten.

MICHAEL MORAVEK

Stuck Inside Of Moville.

Whenever I Should Fall.

December Is The Coolest Month.

MARTIN FEUCHT

Wie klingt der Süden?

GÜNTER RAMSAUER

Rrraow (Fauchen und brüllen).

Aaaaahhh (Schreien).

Päng (Schüsse und Rückschlüsse).

Ahuuuh (Heulen und jaulen).

Nichts (Nullkommanichts).

Weißes Rauschen & Pechschwarzer Lärm (Ssssshhhh).

Orange (Farbe und Frucht).


Leseproben:

Wellenbewegungen: über Einflüsse, Referenzen und Retrospektiven in der Pop-Musik. 

Prolog:

„Wir stehlen, wir sind die Raubritter des Rock `n` Roll“, gab Donald Fagen - neben Walter Becker einer der beiden Köpfe hinter Steely Dan - offen zu. Sie raubten regelgerecht, unter Angabe der Quelle für „Rikki Don`t Lose That Number“, das 1974 auf dem Album „Pretzel Logic“ erschien. Für ihren Hit benutzten sie die Eingangsakkorde von „Song For My Father“ des Blue Note-Jazz-Pianisten Horace Silver aus 1963. Aber einmal „vergaßen“ Becker & Fagen, den Urheber zu nennen. Nämlich bei „Gaucho“ aus 1980, wo sie als Grundlage das 1974er „Long As You Know You`re Living Yours“ von Keith Jarrett anzapften.[1] Der Jazz-Pianist verklagte daraufhin Steely Dan, bekam Recht und muss seitdem als Co-Autor genannt werden.

Bei der Herstellung von Gütern gibt es Strafen für Nachahmer, wenn sie gegen das Urheberrecht verstoßen. Denn durch eine Kopie ohne Lizenzvertrag werden Ideengeber und Produzenten um den Ertrag aus ihren Leistungen betrogen. In der Musik ist das Recht an der Komposition zwar auch als immaterielles Gut gesetzlich geschützt, aber das unrechtmäßige Beziehen auf Vorbilder kann häufig nur schwer nachgewiesen werden.[2] Dennoch mussten sich Gerichte nicht selten mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum beschäftigen. Ein populärer Fall war dabei das Verfahren der Girl-Group Chiffons gegen George Harrison. Es wurde behauptet, die Melodie von Harrisons „My Sweet Lord“ von 1970 wäre von „He`s So Fine“ aus 1963 abgeschaut worden. Das Gericht befand George Harrison für schuldig und man einigte sich in einem Vergleich auf die Formulierung, es sei ein „unabsichtliches Plagiat“ entstanden. Die Justiz konnte zwar eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden Songs feststellen, aber Harrison wurde keine absichtliche Übernahme unterstellt. Der Richter ging davon aus, dass der Chiffons-Song wohl in seinem Unterbewusstsein vorhanden war, sich das Bewusstsein aber nicht daran erinnern konnte. George musste daraufhin etwa 1,6 Millionen US-Dollar Schadenersatz zahlen.[3]

Wegen der Entleihung von Songfragmenten waren Led Zeppelin sozusagen Dauergäste vor Gericht. Bei dem einen oder anderen ihrer frühen Stücke konnte ermittelt werden, dass sich die Liebe zu Blues-Klassikern zu tief in die Großhirnrinde der Musiker eingebrannt hatte und so bewusst oder unbewusst Einzug in Aufzeichnungen fand. An eine direkte Listung der Ursprungsautoren dachten Jimmy Page und Robert Plant damals nicht. Die Blues-Veteranen oder ihre Nachkommen mussten erst über Anwälte darauf hinweisen, dass es bei der Nennung der Komponisten bei manchen Songs nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Das betraf zum Beispiel auch „Whole Lotta Love“, wo Zitate und Gitarren-Riffs aus „You Need Love“ verwendet wurden. Den Track hatte Willie Dixon für Muddy Waters geschrieben, der ihn 1962 aufnahm. Am Ende gewann die Tochter von Willie Dixon den Streit nach zweijährigen Verhandlungen im Jahr 1987. Es kam zu einer monetären Entschädigung und seitdem muss ihr Vater auch als Verfasser genannt werden. Robert Plant zitiert gerne mal schon verwendete Textpassagen. Für „Whole Lotta Love“ hat er die Zeile „Shake for me girl / I wanna be your backdoor man“ (Sinngemäße Übersetzung: „Beweg dich für mich Mädchen / Ich möchte dein Liebhaber sein“) aus „Backdoor Man“ von Howlin` Wolf verwendet. Das Lied wurde übrigens auch von Willie Dixon geschrieben. Die übernommenen Segmente dauerten ganze 26 Sekunden, die den uneinsichtigen Blues-Rocker teuer zu stehen kamen. Aber wie bereits erwähnt: Led Zeppelin wurden noch öfter angeklagt. So basiert „The Lemon Song“ von „Led Zeppelin II“ (1969) auf „Killing Floor“ von Howlin` Wolf. Auch für diese „Gedankenübertragung“ wurde Geld fällig und die Urheber-Liste musste angepasst werden. Aber nicht immer konnten Page & Plant mangelnde Eigeninitiative nachgewiesen werden: Die Erben von Randy California - seines Zeichens Sänger, Gitarrist und Komponist der West-Coast-Band Spirit - versuchten auch, die Led Zeppelin-Chefs zur Kasse zu bitten. Sie behaupteten, dass das 1967 verfasste Stück „Taurus“ die Grundlage zu den Gitarren-Linien für „Stairway To Heaven“ gelegt hätte. Es konnte aber keine signifikante Ähnlichkeit nachgewiesen werden und deshalb gingen die Nachlassverwalter leer aus. Laut Ermittlungs-Experten handelt es sich bei diesen Gemeinsamkeiten lediglich um die Verwendung von sogenannten „Line Clichés“, also üblichen Kompositionsschemen. Der rein subjektive Eindruck vermittelt trotz alledem recht starke Übereinstimmungen. Aber wo ist die Grenze zur bewussten Kopie zu setzen?

Welche Form der Inspiration ist legal und welche kriminell? Und lässt sich eine Beeinflussung überhaupt verhindern, wenn man sich tagtäglich mit Musik beschäftigt und professionell ständig von Tönen umgeben ist? Nimmt denn im Umkehrschluss irgendjemand künstlerischen Anstoß daran, wenn bewusste Anregungen zugegeben werden? Im Folgenden gibt es Beispiele, wie sich Einflüsse ausgewirkt haben, wo Referenzen nachgewiesen werden können und in welchem Fall historische Schöpfungen einer Vital-Kur unterzogen wurden.[4]



[1] Das war der eigentliche Grund für Donald Fagens „Raubritter“-Vergleich.

[2] Das deutsche Urhebergesetz wurde 1965 verabschiedet. Als Plagiat wird darin in § 13 ein Musikwerk (d. h.  eine persönliche geistige Schöpfung) definiert, welches sich „im Ganzen oder in schutzfähigen Teilen als in den im Gesamteindruck als maßgeblich ermittelten musikalischen Parametern identisch mit einem (noch) geschützten älteren Musikwerk“ erweist. „Mangels objektiver Kriterien (z. B. Mindestanzahl an Tönen für eine schutzfähige Melodie) entscheidet jedoch letzten Endes auch im Gerichtssaal die in Ästhetik, Philosophie wie in den Geisteswissenschaften überhaupt […] mit großem theoretischem Aufwand untersuchte‚ ästhetische Erfahrung‘.“ (Quelle: https://blogs.uni-siegen.de/pop-zeitschrift/2013/05/27/substantially-similardas-plagiat-aus-sicht-des-verhaltnisses-von-musik-und-rechtvon-frederic-dohl27-5-2013/). International betrachtet, wird die Rechtslage zum Plagiat übrigens sehr unterschiedlich beurteilt.

[3] Klägerin war die Bright Tunes Music Corporation, verhandelt wurde am 31. August und 01. September 1976.

[4] Neben der unabsichtlichen oder absichtlichen Aneignung von fremden Ideen grenzt man rechtlich den Umgang mit Cover-Versionen, Samples und Remixen voneinander ab. Bei Cover-Versionen unterscheidet man in diesem Zusammenhang das reine Nachspielen und die Abwandlung des Originals. Beim Nachspielen braucht der Interpret laut deutschem Urheberrecht nicht um Erlaubnis zu fragen, er muss aber Lizenzgebühren über die Verwertungsgesellschaft GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte) abführen, die vollständig den Ursprungs-Autoren zustehen. Bei einer Überarbeitung eines Liedes muss der Urheber um Erlaubnis gebeten und die Aufteilung der Einnahmen zwischen Schöpfer und Interpret ausgehandelt werden. Beim Sampling werden nur einige Sequenzen aus Songs für eine neue Komposition übernommen. Auch hierzu müssen die Rechte erworben und die Benutzung vergütet werden – egal wie lang der „geborgte“ Ausschnitt ist. Ein Remix, also eine Neubearbeitung eines Stückes, wird häufig vom Komponisten oder der Plattenfirma unter Verwendung der Originalaufnahmen in Auftrag gegeben. Der Remixer wird dabei in der Regel mit einer Einmalzahlung entschädigt und hat keine Ansprüche auf die anfallenden Tantiemen. (Quelle: https://www.soundandrecording.de/stories/der-rechtliche-hintergrund-von-coverversionen/)



Warum „Vision“ von Peter Hammill auf jeden Fall ein außergewöhnlicher Song ist.

Es gehört schon eine gewisse Portion Arroganz dazu, wenn man sein Lieblings-Lied gegen alle Widerstände mit Zähnen und Klauen verteidigt. Ungeachtet dessen, dass niemand sonst das Besondere, die Magie und die schiere Genialität nachvollziehen kann oder will. Dabei ist es doch glasklar, dass es sich bei „Vision“ von Peter Hammill um ein unverzichtbares Meisterwerk handelt, welches man selber vollkommen durchdrungen hat, jede Note emotional tief spürt und so und nicht anders für optimal durchkomponiert hält. Das ist ein fleischgewordenes, idealtypisches Tongebilde, welches über jeden Zweifel erhaben ist. Die Welt sollte dieses Kleinod eigentlich dankbar annehmen und darauf vorbereitet sein, davon beglückt zu werden, um dann ein wenig besser zu erscheinen – aber alle Missionierungsversuche meinerseits halfen bisher nicht. Anscheinend bin ich der Einzige, der von den Klängen so außerordentlich verzückt ist. In dieser Situation fühlt man sich manchmal wie ein Außerirdischer oder ein Erleuchteter, den keiner verstehen kann oder dann auch wieder wie ein Aussätziger oder Spinner.

Hat das etwas mit Verblendung zu tun, habe ich mich an einem Konstrukt grundlos festgefressen, das es vielleicht gar nicht verdient hat, sich dafür beschwörend ins Zeug zu legen, immer wieder zur Verteidigung in den Ring zu steigen und nicht locker zu lassen, um Superlativen zur Beschreibung zu erfinden? Zur Sicherheit wird der Song noch mal auf die Probe gestellt. Mich traf „Vision“ von Peter Hammill 1971 wie ein Blitz, als das Stück bei Radio Bremen im Nachmittagsprogramm vorgestellt wurde. Seitdem habe ich die Komposition einige hundert Mal gehört und sie hat dabei noch nie ihre betörende Wirkung eingebüßt.

Spätestens im gesetzten Alter braucht man niemandem mehr etwas vorzumachen. Sich selbst am wenigsten – das ist die Gnade der frühen Geburt und der späten Einsicht, dass die Zeit die wichtigste Währung im Leben ist. Daraus leitet sich ein altersmilder Blickwinkel ab, der Meinungen und Erfahrungen vorurteilsfrei zulässt und ein Abwägungs-Urteil anerkennt, auch wenn dadurch die eigenen bisherigen Ansichten revidiert werden müssen. Aber auch dieses Mal wird bei aller versuchten kritischen Distanz kein Haar in der Suppe gefunden. Das Lied erscheint weiterhin perfekt und ist individuell so bedeutend, dass es dereinst auf meiner Beerdigung ertönen soll. Vielleicht kann es wenigstens dann den einen oder anderen Zuhörer wie ein Hammer treffen.

 
"Pop steht Kopf" kann über den regulären Buchhandel bezogen oder über Online-Versandhändler bestellt werden (ISBN-13: ‎ 978-3758419751).


Kritikerstimmen:

Thomas Waldherr von "I`m in a cowboy band":

Frank Ipach von "hooked on music":

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