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Es werden Posts vom 2020 angezeigt.

Jahresbestenliste 2020

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Die Veröffentlichung von überragender Musik konnte im Jahr 2020 selbst vom Corona-Virus nicht verhindert werden. Verlässliche Größen und unkonventionelle Außenseiter bilden somit die Liste meiner Favoriten, die natürlich nur einen subjektiven Bruchteil der tatsächlich erschienenen Perlen abdeckt. Beschaulich, getragen und überwiegend harmonisch-melancholisch ist die Auswahl dieses Jahr ausgefallen, die lauten Töne sind nicht angemessen vertreten. Es war eine Zeit der Einkehr, bei der erbaulich-mitfühlende Klänge im Vordergrund standen, denn in der Ruhe liegt die Kraft. Zur Ergänzung empfehle ich die "Jahres Top Ten"- Zusammenstellung von Günter Ramsauer :  Jahres Top Ten  . Platten des Jahres 01. Nick Cave - Idiot Prayer Nick Cave ganz alleine am Konzertflügel. Das bedeutet, dass Bitterkeit und Süße, Strenge und Romantik intensiv und fordernd für Sinnlichkeit, Wut und Verbundenheit sorgen. "Idiot Prayer" ist ein hochemotionales Erlebnis, das je nach Tagesform stim

Tribe - Stop & Frisk (VÖ: 04.12.2020)

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  Jazz ist Vielfalt. Jazz umfasst zahlreiche Ausdrucksformen: Neben traditionellem Dixieland findet man unter anderem sphärischen ECM-Jazz und nervenzerfetzenden Free-Jazz. Und welcher Jazz-Fan kann sich schon für alle Ausprägungen begeistern? Tribe ist ein Quintett, das vom Trompeter John-Dennis Renken, der auch für die Electronics zuständig ist, geleitet wird. Seine Formation hebt mal eben die Grenzen zwischen Jazz, HipHop, Dubstep, Pop und Rock auf und ist dabei abenteuerlustig, feurig und schwierig. Neben einem kraftvoll-explosiven Ensemble-Spiel gibt es auch immer wieder Demonstrationen der Fingerfertigkeit der Musiker zu hören. Der Titel "Stop & Frisk" bezieht sich auf das Recht der Polizei in den USA, jede Person ohne Grund anhalten und überprüfen zu dürfen. Das trifft erfahrungsgemäß besonders Menschen mit dunkler Hautfarbe. Mit diesem Missstand im Kopf hat die Gruppe das Eröffnungs-Stück wütend, freigeistig und brachial gestaltet. Der Bläsersatz, der neben John-D

Inga Lühning & André Nendza - Hodgepodge Vol. II (VÖ: 04.12.2020)

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Auf der Homepage von Inga Lühning & André Nendza ist zu lesen: "Lühning & Nendza spielen Songs. Eigene. Und auch von Anderen. Auf eigene Art. Wagen einen Spagat von Degenhardt zu Michael Jackson. Und manches mehr. Lühning & Nendza spielen pur mit Stimme und Kontrabass. Und dann doch nicht so pur mit Loopern, E-Bass, Effekten und Bass-Schlitztrommel. Lühning & Nendza spielen Jazz, denn sie geraten sehr gerne auf improvisatorische Abwege. Und dann wieder zurück zu: Lühning & Nendza spielen Songs...". Das trifft es schon recht deutlich, denn wer sollte seine Kunst besser beschreiben können als die Künstler selbst.  Ihre Ideen bringt das Duo jetzt schon zum zweiten Mal auf Tonträgern unter die Leute. Aber können die Musiker damit den in dieser Konstellation sonst oft üblichen verschnarchten Mief von steifer Kultur zum Zwecke der gesitteten Erbauung abstreifen? Hat ihr Eigen-/Fremdkompositions-Mix genügend Substanz, um eigenständig zu bestehen und auf hohem Niv

Ryan Edmond - From The Start (VÖ: 11.12.2020)

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  Der Australier Ryan Edmond zog vor vier Jahren von seinem Heimatland nach Schweden um. Solch ein Wechsel von Klima und Kultur löst sicher etliche Gedankenspiele aus. Damals begann der Musiker auch damit, die jetzt als "From The Start" auf seinem ersten Album versammelten Lieder zu schreiben. Die Songs haben also einen langen Reifeprozess hinter sich und erzählen direkt und indirekt von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der beiden Länder, aber auch von den Herausforderungen des täglichen Lebens. Vier Jahre Erfahrung hat Ryan kompakt auf 25 Minuten Musik zusammengefasst. Die Platte beginnt mit einer Hommage an seine neue Heimat "Stockholm", für die er die weiten sandigen Strände Australiens gegen die malerischen Wälder und Berge Schwedens getauscht hat, wie er es ausdrückt. Der Multiinstrumentalist hat für sein ganzes Album einen vollen Band-Sound eingespielt, der aus dieser Ballade einen vollmundigen, erwachsenen Folk-Pop mit wehmütig-erfahrenem Charakter und e

Too Slow To Disco Neo Presents The Sunset Manifesto (VÖ: 11.12.2020)

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  Gestartet wurde die Serie "Too Slow To Disco" im Jahr 2014 unter dem Slogan: "A Compilation Series Of Late 70s Westcoast Yachtpop You Can Almost Dance To." In Folge eins fanden sich dann solche Interpreten wie The Doobie Brothers, Fleetwood Mac, Chicago oder Nicolette Larson. Sie trugen wohlklingenden, glatten Soft-Rock bei, der nicht aneckte, aber auch nicht zu süßlich war. Perfekte Musik zum Auto fahren, zum Entspannen oder um an der Pool-Bar einen kühlen Drink zu genießen.  Alle beinharten Westcoast-Sound-Fans, die die Musik der Endsechziger- und frühen siebziger Jahre liebten, rümpften damals nur die Nase über diesen für sie weichgespülten Pop. Sie erkannten die musikalischen Leistungen  nicht an , die in perfekten Harmonien, meisterlichen Instrumentalbeiträgen und klaren Lead-Stimmen lagen. Für sie war das Verrat am komplexen, psychedelisch beeinflussten Sound solcher Country-Folk-Pop-Pioniere wie Crosby, Stills & Nash, James Taylor oder Jackson Browne. I

Calexico - Seasonal Shift (VÖ: 04.12.2020)

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  Wenn Musiker ein Weihnachtsalbum aufnehmen, dann sind sie meistens künstlerisch auf dem absteigenden Ast. Natürlich gibt es rühmliche Ausnahmen wie das 2006 erschienene Werk "One More Drifter In The Snow" von Aimee Mann oder die "Christmas EP" von Low aus dem Jahr 1999, die mit ihren besinnlichen Beiträgen für anspruchsvolle Festtagsunterhaltung gesorgt haben. Und jetzt springen sogar die über jeden Zweifel erhabenen Calexico auf diesen meistens kommerziell sehr lohnenden Zug auf. Vielleicht trügt da der Schein. Die Songs sind nämlich schon im Juni 2020 als Ersatz für eine ausgefallene Tournee entstanden, wobei die Aufnahmen unter Mitwirkung einiger Gäste zwischen Europa, Mexiko und den USA zwecks Ausgestaltung hin und her geschickt wurden. Laut Aussage von Joey Burns handelt es sich bei "Seasonal Shift" eigentlich gar nicht um ein typisches X-Mas-Album, sondern einfach um Lieder, die gut zum Jahresabschluss passen. So kann man das zwar auch formul

Ane Brun - How Beauty Holds The Hand Of Sorrow (VÖ: 27.11.2020)

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Vor vier Wochen erschien mit " After The Great Storm " ein neues Album von Ane Brun, dass es den Hörern nicht unbedingt leicht machte, aber nichtsdestotrotz (oder grade deswegen) lohnend ist. Und nun stellt sich die Frage: Welche Ausdrucksformen wurden für den schnell hinterher geschobenen Nachfolger " How Beauty Holds The Hand Of Sorrow"  gewählt, der ja eigentlich der zweite Teil des geplanten Doppel-Albums ist. Werden experimentelle Ausgestaltungen gesucht oder bewährte Folk-Noir-Strukturen angeboten? Der Opener "Last Breath" ist offensichtlich noch vom Tod des Vaters beeinflusst worden. Denn w as sich zunächst wie die Ankündigung des Sonnenaufgangs anhört, wird rasch in eine Untergangsstimmung überführt. Schwerblütige Streicher erzeugen Trauer und legen sich betrübt und dominant wie ein Leichentuch auf die Seele. Trostlosigkeit macht sich breit und erzeugt einen Soundtrack für den Totensonntag. "Closer" führt weiter durch die Dunkelheit un

Lesestoff: Günter Ramsauer - Songs To Remember

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  Sechs Jahre ist es jetzt schon wieder her, seit die erste Auflage von "Songs To Remember Vol. 1" erschien. Es war bereits das zweite Buch von Günter Ramsauer. Enthielt das erste Werk (" Das Insel-Alben-Buch: 100 Highlights der Pop-Musik-Kultur 1961-2002 " (Edition Noema)) noch unverzichtbare Musik-Tipps für die einsame Insel aus Sicht eines erfahrenen, einfühlsamen Kritikers und Fans, so geht "Songs To Remember" einen anderen, eindringlich-persönlichen Weg, um die untrennbare Beziehung zwischen Musik und persönlichen Erfahrungen aufzuzeigen. Anhand von 16 semi-autobiographischen Geschichten werden brennend intensiv einschneidende, bedeutende oder einfach subjektiv wichtige Episoden erzählt, die den Protagonisten prägen. Die gefühlte Wirklichkeit wird mit Hilfe der Pop-Kultur in einen Soundtrack eingebunden, der die Erlebnisse assoziativ mit Tönen verbindet. Das ist ungewöhnlich, erfrischend, ehrlich und höchst unterhaltsam - zumindest dann, wenn man mit

Lost & Found-Portrait: Vom Protestsänger zum Kulturgut - Versuch einer Würdigung.

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Am 24. Mai 2020 wurde Robert Allen Zimmerman - Künstlername Bob Dylan - 79 Jahre alt. Aus diesem Anlass gab es jede Menge Lobhudeleien, Deutungen und Rückblenden auf sein einzigartiges Leben. Aber kann man dem beinahe 60jährigen Schaffen überhaupt in schmalen Aufsätzen gerecht werden? Ich glaube nicht. Zu groß ist der Einfluss des Künstlers, zu stattlich seine Persönlichkeit und zu wenig öffentlich seine Privatsphäre, um sich als Außenstehender eine allgemein gültige Meinung zu verschaffen. Auch weil er es selbst mit Fakten nicht so genau nahm und schelmisch immer wieder gesponnene Geschichten über seine Biographie verbreitet hat, ist es schwer, ihn seriös zu beschreiben. Deshalb ist dieser Artikel in erster Linie als Verneigung vor der Lebensleistung und als kurzer subjektiver Abriss des musikalischen Schaffens eines genialen Mannes gedacht.  Robert lernte schon als Zehnjähriger Gitarre und Mundharmonika zu spielen und gründete in der High School eine Rock & Roll Band. Sein Intere