Waiting For Louise - Rain Meditation

Waiting For Louise sind immer für eine Überraschung gut!

Längst haben sich Waiting For Louise von einer reinen, eigenständig-kreativen Cover-Versionen-Band zu einer beeindruckend ideenreichen Formation mit Genre sprengenden, eigenen Kompositionen entwickelt. Mit "Rain Meditation" emanzipieren sie sich jetzt auch noch von der Notwendigkeit, dass Country-Folk oder psychedelischer Rock unbedingt englische Texte enthalten muss. Vier der acht neuen Tracks wurden nämlich mit deutscher Sprache ausgestattet.

Ideengeber und Lenker hinter der Gruppe Waiting For Louise, deren Grundstock bereits 1992 gelegt wurde, ist der Multiinstrumentalist, Sänger und Komponist Michael Mann. Der aus Voerde am Niederrhein stammende Musiker ist außerdem noch für die Blues-Combo Rusty Nails und das Projekt Songs To The Siren verantwortlich, welches sich unter anderem mit den Kompositionen von Tim Buckley, The Velvet Underground und Nick Drake auseinandersetzt.
"Rain Meditation" enthält ausschließlich Eigenkompositionen, die in der Besetzung Ute Rettler (elektrische Gitarre, Mandoline), Detlef Goch (Percussion, Cajon, Glockenspiel, Tongue Drum), Johannes Lehmann (Bass, Gesang) und Michael Mann (Gesang, akustische Gitarre, Bouzouki, Harmonium, Shruti Box, Wurlitzer-Piano) aufgenommen wurden.
Als das Lied "Strange Times" Ende 2019/Anfang 2020 entstand, kündigten sich tatsächlich seltsame Zeiten an, die andere Absonderlichkeiten überlagerten. Denn der "gelbgesichtige Betrüger", der im Text genannt wird, war bei der Entstehung des Tracks schon lange kräftig dabei, international Staub - nein Dreck - aufzuwirbeln. Mit abwägender Zurückhaltung bemerkt Michael Mann, dass es sich bei dem Lied eventuell um eine Hommage an Fleetwood Mac - mit Verweis auf deren Mittsiebziger-Schaffensphase - handeln könnte. Gemeint ist die Peter Green-Nachfolge-Zeit, als sich die Band immer mehr vom Blues entfernte und dem Pop annäherte. Die dazu korrespondierende, attraktive Soft-Rock-Melodie von "Strange Times" geht jedenfalls spätestens nach dem dritten Hören nicht mehr aus dem Ohr. Eine psychedelische Gitarre, die merkwürdige Geschichten zu erzählen scheint und der knarzende, bodenständige Appalachen-Folk, der der Mandoline entlockt wird, rücken das Stück durch seine unkonventionelle Zusammensetzung dann sogar in die Nähe eines Art-Rocks. Der Song ist dennoch oder grade deswegen auf jeden Fall ein Hit, der allerdings keine Anbiederung an Trends nötig hat!
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

"Das Lied" verbreitet ironische Texte, die seriös, aber mit einem Schalk im Nacken vorgetragen werden. Das hört so ähnlich weise-abgehangen an, wie man es von Sven Regener (Element Of Crime) kennt. "Bin ich das wirklich, was ich sing? Drück ich es aus, so wie ich’s meine? Oder ist das nicht so ganz mein Ding?", heißt es da zum Beispiel. Dieser Poesie ist sogar der Humor von Joachim Ringelnatz nicht fremd. Der gelassene, durch das Harmonium maritim wirkende Country-Folk kommt ohne Refrain aus, was obendrein augenzwinkernd thematisiert wird.
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

"Deal With The Devil" und "Standing At The Crossroad" sind Formulierungen, die speziell im Blues anzutreffen sind. Sie stehen für Ausweglosigkeit und die Not beim Treffen von schwierigen Entscheidungen. Michael Mann bringt im vom Blues umwehten, langsamen Folk-Jazz "Deal With The Devil" diese überlieferten Verschlüsselungen mit ein, was der getragenen, melancholischen Atmosphäre zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht. 
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

Die Tongue-Drum klingt wie ähnlich wie eine Steel-Pan, erzeugt also karibische Schwingungen. Die E-Gitarre fletscht im Hintergrund ihre Zähne und steht für ruppigen Garagen-Rock. Das sind beispielhafte Kontraste, die beim im Prinzip ausgeglichenen Lied "Falsche Propheten" für stimulierende Reize sorgen. Unterdessen bohrt sich der Refrain "Falsche Propheten mit falschen Bärten. Treffen falsche Entscheidungen. Auf falschen Fährten" tief in die Gehörgänge, so dass sich der Ohrwurm festsetzen kann.
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

Greta Thunberg polarisiert. Für die einen ist sie das mutige Mädchen, das auch vor den Mächtigen dieser Welt mit ihren Klimaschutz-Forderungen kein Blatt vor den Mund nimmt. Für die anderen ist sie die Spielverderberin, die den Leuten ihre Gewohnheiten vermiesen und sie aus ihren Komfortzonen schubsen will. Unter diesem Hintergrund ist "Greta On The Ocean" entstanden: Greta reiste 2019 per Segelboot zum UN-Klimagipfel nach New York, haute da ordentlich auf den Putz und erntete dafür Bewunderung, aber auch Spott. Der unter Umständen von Crosby, Stills, Nash & Young inspirierte Slow-Blues-Folk-Rock baut eine dezente Dramatik auf, die bei diesem aufwühlenden Thema deeskalierend wirkt.

Die ersten Überlegungen zum Chanson "Im Hafen von Saigon" stammen noch aus den 1980er Jahren. Vollendet wurde es dann 2020. Der Song ist aber kein ausgemusterter Ladenhüter, er musste nur erst richtig reifen, um jetzt exakt in die aktuelle Sound-Palette zu passen. Das Stück wird aus Bestandteilen der Bossa Nova und des Folk-Jazz gespeist, ist also cool, raffiniert und swingend zugleich.
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

Künstlicher Regen prasselt knisternd herab, wenn der Track "Rain Meditation" beginnt. Über 8 Minuten eines gemächlich fließenden Epos, das mit einer quengelnden E-Gitarre vermischt wird, liegen vor uns. Bei dem Stück spielen auch Minimal-Art-Hypnosen eine Rolle und der Gesang, der mit deutschen und englischen Wörtern gespeist wird, nimmt in diesem Gefüge eine ordnende und beherrschende Position ein. Die Rhythmus-Abteilung lebt ihre stoische Lässigkeit aus und das Harmonium stellt zum Schluss einen eineinhalb minütigen meditativ-sphärischen Dauer-Akkord in den Raum. Was für ein ergötzlicher, beflügelnder Trip!

Was habe ich da nur ausgebrütet, fragte sich Michael Mann nach der Vollendung von "So To Say". Ist das Jazz oder Yacht-Rock. Oder vielleicht doch eher Smooth-Jazz oder Soft-Rock. Egal, welches Etikett man dem Song verpassen möchte, fest steht, er verbreitet ein entspanntes, unpeinliches Easy-Listening-Gefühl, das tendenziell an Neil Youngs "Harvest Moon" erinnert.
Solo-Version von Michael Mann (nicht auf "Rain Meditation" enthalten).

Mit "Rain Meditation" zeigen Waiting For Louise wiederum "New Tricks For Old Dogs" (das Album aus 2008, auf dem erstmalig Eigenkompositionen erschienen). Jetzt erweiter das Quartett sein Klangspektrum nämlich erneut und demonstriert damit eindrucksvoll, dass Erfahrung ein hohes, wertvolles und ergiebiges Gut und eine stabile Währung darstellt. "Das mit den deutschen Texten hat sich einfach so ergeben, ist kein großes Ding und kein kompletter Umstieg und auch kein "Paradigmenwechsel". Außerdem mische ich das sehr gerne in einem Lied, was großen Spaß macht. Nicht so krass wie bei den Österreichern von Ja, Panik, aber wenigstens strophenweise bringt das schöne Effekte. Angefangen hat es vor zwei, drei Jahren mit einer Strophe die sich nicht ins Englische übertragen ließ, aber zu gut war, um sie wegzuschmeißen: "Falsche Propheten mit falschen Bärten", verriet Michael Mann bei einem Email-Austausch. 

Waiting For Louise sind immer noch und immer wieder eine Klasse für sich. Grundsätzlich fühlen sie sich dem Americana-Sound verpflichtet, es gelingt ihnen aber stets, unverfänglich in andere Bereiche einzutauchen und diese harmonisch-intensiv auf spezielle Art und Weise in ihren Sound einzubetten.

Ein Dreh-, Angel- und Anziehungs-Punkt ist dabei der Gesang von Michael Mann. Seine Stimme hat eine spezielle Färbung, die zu einem Alleinstellungsmerkmal hinsichtlich der Originalität führt. Er formt die Töne, die seine Stimmbänder absondern, eigentümlich und unverwechselbar. Diese empathischen, tiefgehenden Vibrationen besitzen einen Charme, dem man sich nicht mehr entziehen kann, sobald die suggestive Wirkung der Stimme eingesetzt hat. 

Bei "Rain Meditation" igibt es ein paar Änderungen und doch bleibt manches beim Alten: Waiting For Louise musizieren wieder auf sehr hohem Niveau, überraschen wiederholt durch tolle Songs und legen - wie jedes Mal - die interessanteste Platte ihrer Karriere vor. Schön, dass es noch Dinge gibt, auf die man sich verlassen kann!

"Rain Meditation" ist genau wie alle anderen Veröffentlichungen von Waiting For Louise, Rusty Nails oder Songs To The Siren im Eigenvertrieb erschienen und kann hier bestellt werden.

Michael Mann veröffentlicht auf seiner ausführlichen Waiting For Louise-Homepage übrigens ständig launige, kompetente Kurzbeschreibungen der Tonträger seiner Sammlung. 

Die Rezensionen offenbaren das breite Interessen-Spektrum und die Vorlieben des Allrounders. Ein spontaner Besuch der Web-Seite oder ein längeres Stöbern und Verweilen lohnt sich immer und ist ein lehrreiches, kurzweiliges Erlebnis.

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