Eilen Jewel - Gypsy (2019)

Verbindende Americana: Sensibilität trifft bei „Gypsy“ von Eilen Jewell auf vielfältige musikalische Erfahrungen.
Eilen Jewell ist eine suchende, häufig von Selbstzweifeln geplagte Person mit einer festen Vorstellung davon, wie ihre Kompositionen klingen sollen. Sie übt sich dabei in Geduld und lässt ihre Ideen ausreifen, bevor sie sie auf Tonträgern präsentiert. Eilen wurde am 6. April 1979 in Boise in Idaho geboren und wuchs in dem ländlichen Bezirk unter dem Einfluss der elterlichen Plattensammlung auf. So kam sie mit Elvis Presley und Buddy Holly in Berührung und hörte später Blues-infizierte Künstler wie The Animals, ThemJanis Joplin oder The Doors. Woody Guthrie brachte den Folk in ihr Leben und inspirierte sie dazu, selber aufzutreten. Blues-Musiker wie Muddy Waters oder Howlin' Wolf wirkten dann wie eine Offenbarung und die Country-Sängerin Loretta Lynne wurde zu einer spirituellen Schwester.
Diese breite musikalische Ausrichtung, ihre Lebenserfahrung und die vielen prägenden Auftritte trugen dazu bei, dass die Musikerin einen individuellen Weg bei der Songgestaltung gefunden hat. Ihre Lebensumstände änderten sich unterdessen ständig. So zog sie vom beschaulichen Boise nach Santa Fe in New Mexico, um das College zu besuchen, ging dann ins hektische Los Angeles, um danach die Einsamkeit der Berkshire Mountains in Massachusetts zu suchen. Danach ließ sie sich in Boston nieder und wurde dort in der Roots-Music-Szene heimisch. Heute lebt sie ihrer Tochter zuliebe wieder auf dem Lande nahe ihrer ursprünglichen Heimat.
2006 erschien Jewells erstes Album „Nowhere In No Time“ mit Live-Aufnahmen. Im gleichen Jahr kam in Eigenregie „Boundary Country“ heraus, das in einer Scheune zusammen mit ihrem Ehemann Jason Beek (Schlagzeug), Daniel Kellar an der Violine, dem Gitarristen Jerry Miller und Johnny Sciascial (Kontrabass) aufgenommen wurde. Es folgten acht weitere Veröffentlichungen, darunter das Gospel-Projekt „The Sacred Shakes“ von 2008 und das bisher letzte, aus Blues-Cover-Versionen bestehende Werk „Down Hearted Blues“ von 2017. Eilen hält „Gypsy“, das seit 2015 erstmals wieder neue eigene Songs bietet, für ihre bis dato beste Platte. Tatsächlich ist sie so etwas wie eine Bestandsaufnahme, in die Einflüsse, Ideen und Standpunkte einfließen, die auch die vorherigen Werke ausgemacht haben. Aber es gibt auch den vorsichtigen Versuch, sich anderen Ausdrucksformen zu nähern. So hört man manchmal einen offensiven Einsatz von elektrischen Gitarren, wobei sich die Verbindung der musikalischen Motive auch dadurch weiterhin homogen und intensiv anhört.
Beim Opener „Crawl“ poltert das Schlagzeug wie beim Rock & Roll, bevor die Gitarre schwüle, sumpfige Akkorde absondert, die an Creedence Clearwater Revival erinnern. Die Geige bringt ländliches Flair ein und Eilen cremt die Töne mit ihrer gelassenen Stimme sanft ein. 
Für den mild wiegenden Country-Folk „Miles To Go“ klingt Eilen sowohl cool wie auch mitfühlend und erinnert deshalb an Lucinda Williams. Der unaufgeregte Western-Swing „You Cared Enough To Lie“ enthält verspielte Figuren des Jazz und tanzbare Elemente des Rockabilly. Im Gegensatz dazu ist „79 Cents (The Meow Song)“ ein schlichtes Schunkel-Lied, bei dem ein jaulendes Theremin zur Dekoration eingesetzt wird. Qualitativ kann diese Komposition allerdings nicht mit den anderen Tracks mithalten.
„Beat The Drum“ verfügt über einen unheilvollen Groove. Das politisch motivierte Stück bewegt sich vorsichtig tastend in der Dämmerung und versprüht dabei unheilvolle Schwingungen. Der filigrane Folk des Tracks „Gypsy“ öffnet Räume und lässt die Töne wie feinen Regen niedergehen, während der Rockabilly-Country-Blues „These Blues“ trocken swingt, aber letztlich doch als Ballade durchgeht.
„Working Hard For Your Love“ ist ein zupackender Folk-Rock mit variabler E-Gitarre, die Surf-Musik anreißt und auch psychedelische Klänge aufblitzen lässt. Für „Who Else But You“ wurde Eilens Gesang nach vorne gemischt. So erhält sie bei diesem langsamen, ruhigen Titel die Gelegenheit, ausdrucksstarke emotionale Nuancen noch besser zu betonen. Auf diese Weise werden Klangfarben, die Sehnsucht, Hoffnung und Sinnlichkeit verkörpern, deutlich herausgestellt.
Flächendeckende Bläser verleihen dem jazzigen Blues „Witness“ Würde und Eleganz. Das Lied klingt in dieser Form wie eine Hommage an Chet Atkins und The Band. Schlechte Zeiten mögen ihr fernbleiben, beschwört Eilen in „Hard Times“ und zelebriert dazu einen hypnotischen Voodoo-Blues. „Fear“ zeigt die 40jährige Musikerin pur und verletzlich. Nur zur zarten Begleitung einer akustischen Gitarre absolviert sie einen schüchternen Folk-Song, bei dem sie einsam und verloren gegen ein stetiges Unbehagen ankämpft.
Eilen Jewell besitzt die Fähigkeit, Blues, Folk, Country und Rockabilly so zu benutzen, dass sich der Sound sowohl traditionell wie auch zeitgemäß anhört. Die unterschiedlichen Passagen werden dabei so austariert, dass eine dynamische Americana-Mixtur entsteht. Mit ihrer eingespielten Band gelingt die Umsetzung einer Americana-Fusion, die durch die neuen elektrischen Impulse zusätzliche gehaltvolle Nahrung erhält. Dieser Aspekt darf in Zukunft gerne weiter ausgebaut werden!
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Eilen Jewell - Gypsy

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