COWBOY JUNKIES - ALL THAT RECKONING (2018)

ALL THAT RECKONING von den Cowboy Junkies zeigt keine Abnutzungserscheinungen. Im Gegenteil, die Band steht voll im Saft und zeigt sowohl ihre sanfte wie auch ihre bissige Seite in kompetenter Manier. Hier gibt es mehr darüber zu lesen:

Willkommen im Zeitalter der Auflösung! Die Cowboy Junkies liefern den Soundtrack dazu.

Vor 32 Jahren schufen vier Kanadier mit „Whites Off Earth Now!!“ den Startpunkt ihrer bis heute andauernden, beeindruckenden Karriere. Aus ätherischem Folk, sehnsüchtigem Country und teils filigran-psychedelischem oder elektrisch schneidendem Blues bastelten die Geschwister Margo (Gesang), Peter (Schlagzeug) und Michael Timmens (Gitarre) zusammen mit Alan Anton am Bass anhand von acht Fremd- und einer Eigenkomposition eine beklemmend-sinnliche Ton-Dichtung. Diese Mischung bildete die Basis für die Neudefinition eines intensiven kanadischen Americana-Kolorits. Der Nachfolger „The Trinity Session“ von 1988, der den Cowboy Junkies einen Major-Label-Vertrag einbrachte, wurde nur mit einem Mikrophon in einer Kirche transparent klingend aufgenommen und hatte eine entsprechend sakrale Stimmung, bei der The Velvet Underground auf luftigen Folk, stimmungsvollen Country und tränenreichen Blues zu stoßen schien.
All That Reckoning - Cowboy Junkies: Amazon.de: Musik
Ab „The Caution Horses“ von 1990 machten die Eigenkompositionen dann den größten Anteil an den Kompositionen aus. Es wurden aber seitdem immer wieder gerne Songs von persönlichen Helden wie Neil Young oder Townes van Zandt eingestreut. Die überzeugende und konsequente Erweiterung des Wirkungskreises durch kräftigen Folk-Rock oder milden Country-Soul trug dazu bei, dass die Gruppe heute selbst Vorbildcharakter für jüngere Musiker hat. Das neue Werk „All That Reckoning“ wird als Beschreibung von fragilen und unsicheren Zuständen, sowohl auf persönlicher wie auch auf politischer Ebene, verstanden. Es wird Klartext gesprochen, wenn es zum Beispiel um vorherrschende Manipulationsmechanismen geht: Angst ist nicht weit weg von Hass. Wenn also Angst gesät wird - egal, ob auf persönlicher oder politischer Ebene - dann braucht es nur noch einen kleinen Anstoß, bis daraus Hass werden kann. Von diesen Abhängigkeiten wird im Lied „The Things We Do To Each Other“ berichtet. 

Die Platte überzeugt insgesamt durch eine reife, engagierte Leistung, wobei die Songs professionell und ehrgeizig klingen. Von Abnutzungserscheinungen oder öder Routine gibt es trotz des langen Bestehens der Gruppe keine Spur.
Die zwei Varianten des Titelstückes, die an den Anfang und an die vorletzte Stelle des Ablaufs gestellt wurden, grenzen den Rahmen ab, innerhalb dessen sich die Musik bewegt. „All That Reckoning (Part 1)“ ist in Moll gehalten und baut eine morbide, erwartungsvolle Stimmung auf. „Part 2“ ist dagegen eine dröhnende, hart rockende Version des Tracks. Schon beim Opener fällt auf, dass Margos Stimme an Süße eingebüßt und dafür an bitterer Sachlichkeit gewonnen hat. „When We Arrive“, das das Zeitalter der Auflösung ausruft, durchlebt dann mehrere Entwicklungsphasen: Vom düsteren Alternative-Folk über Harmonie spendenden Folk-Rock bis hin zum smarten New Wave mit dezentem Funk-Einschlag. Der einleitende Bass verbreitet bei „The Things We Did To Each Other“ eine depressive Stimmung und lässt Erinnerungen an „Walk On The Wild Side“ von Lou Reed entstehen. Der Song befreit sich aber relativ schnell von dieser drückenden Last und schwimmt sich zu einem mild swingenden Track frei. Die Cowboy Junkies agieren bei „Wooden Stairs“ im Geiste von Nick Cave. Das Stück besitzt nämlich eine ähnlich bedrohlich-undurchsichtige Ausstrahlung wie einige der intensiven Epen des australischen Barden.
„Sing Me A Song“ und „Missing Children“ sind elektrische, sozialpolitische Weckrufe, die als zerrende, psychedelische Folk-Rocker getarnt wurden und der flirrende Hippie-Folk „Mountain Stream“ schafft es, mit wenigen Zutaten eine rauschhafte Stimmung zu erzeugen. Die entspannten Lieder „Shining Teeth“ und „Nose Before Ear“ scheinen zunächst relativ ereignislos vor sich hin zu plätschern, erzeugen aber im Verlauf eine sinnverwirrende Wirkung, die bei „Nose Before Ear“ noch durch plötzliche Gitarre/Drums-Ausschläge intensiviert wird. „The Possessed“ entlässt den Hörer zum Abschluss mit minimaler Mandolinen-, Keyboard- und Percussion-Begleitung unter Einbeziehung von versöhnlichem und friedvollem Gesang.
Die Cowboy Junkies liefern mit „All That Reckoning“ ein konzentriertes Gesamtwerk ab, welches die leisen und lauten Qualitäten der Formation bündelt. Die Musiker setzen bei ihren neuen Schöpfungen weiter auf die betörende und sinnliche Wirkung von Margos Gesang als ihr Markenzeichen. Diesen Effekt kombinieren sie häufig mit hypnotischen oder erdigen Zutaten. Dadurch entsteht ein anspruchsvolles Americana-Ton-Geflecht von hoher Attraktivität.

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