Simon Goff & Katie Melua - Aerial Objects

Aus der Vogelperspektive betrachtet ergibt sich häufig ein erhellender Blick auf die Welt

Große Künstler und Künstlerinnen erkennt man unter anderem daran, dass sie an sich arbeiten und ein Erfolgskonzept nicht ausschlachten. Diese Kriterien können durchaus an Katie Melua angelegt werden, die 2003 ihre Veröffentlichungs-Karriere als 19jährige, unschuldig-zugängliche Pop-Fee begann und sich nach und nach zu einer ernstzunehmenden Singer-Songwriterin zwischen Pop, Folk und Jazz entwickelte.
(Credit: Sebastian Kite)

Im Jahr 2010 übernahm der Electronic-Produzent William Orbit einen Teil der Arbeit von Mike Batt, der früher für die gefälligen Arrangements der 1984 in Georgien geborenen Musikerin sorgte. Für "In Winter" ließ sich Melua dann vom 25köpfigen Gori Women`s Choir und dem Arrangeur Bob Chilcott unterstützen. Auf "Album No. 8" aus 2020 zeigt sich die feinsinnige Sängerin mit der betörenden Stimme dann als vielseitige, bedächtige Komponistin und Interpretin von mild gestimmtem Art-Pop. Das Album wurde von einer privaten Trennung begleitet und erschien 2021 noch einmal als abgespeckte, nicht minder lieblich-hübsche Akustik-Version, auf der der Musiker, Komponist, Toningenieur und Produzent Simon Goff als Gast bei zwei Songs zu hören ist.

Auf "Aerial Objects" tritt Katie Melua nun als Partnerin von Simon Goff auf. Der aktuell in Berlin lebende Künstler ist vorwiegend in der klassischen sowie elektronischen Musik und in der Entwicklung von Soundtracks zu finden. Er "sucht nach einem inneren Raum zwischen den Genres und erforscht, wie die Geige manipuliert und verarbeitet werden kann, um einen einzigartigen Klang zu erzeugen, der sich traditionellen Definitionen widersetzt", wie es auf seiner Homepage heißt.
Simon erschafft auf "Aerial Objects" mit Geigen und analogen Synthesizern die instrumentelle Basis für verträumte, bedrohliche oder mechanische Klänge, während Katie für unschuldig-sympathische Schwingungen steht. Diese unterschiedlichen musikalischen Erfahrungen werden dazu genutzt, um gemeinsam etwas Neues zu kreieren.

Die Geistesverwandten waren nach eigenen Aussagen dabei, den Raum zu erkunden, der zwischen ihnen existiert, um darin Gemeinsamkeiten zu entdecken. Sie möchten außerdem abbilden, wie unterschiedliche Umgebungen auf Menschen wirken und so kam es zu diesen sechs kultivierten Klanglandschaften, die von der Kommunikation zwischen den Partnern und deren Fähigkeit, Emotionen in Töne zu übertragen, lebt.
So vermittelt das Stück "Tbilisi Airport" weitläufig angeordnete Schwebeklänge, bevor Katie die meditative Stimmung gesanglich aufgreift. Ab und zu blinken helle Töne wie Sterne am Himmel auf und der Bass rumpelt, als würde ein Gewitter aufziehen. Tbilisi ist übrigens der georgische Name für Tiflis, der Landeshauptstadt von Georgien, dem Geburtsland von Katie Melua

Die Geige summt zunächst wie ein nervöses Insekt, dann übernimmt ein schmatzender Synthesizer-Laut bei "It Happened" die Vorherrschaft. Gleichzeitig legt sich Meluas beschwichtigend-sanfte Stimme um die Noten. Kurz darauf wird es stürmisch. Geige und Synthesizer scheinen ein Unheil heraufzubeschwören und Katie begleitet diesen Tonstrudel zunächst mit wortlosen, sich dem unabwendbaren Schicksal fügenden Schwingungen. Als sich die Gefahr langsam verzieht, stellt der Gesang einen stabilisierenden Faktor dar, der sich auch beim weiterhin auf- und abschwellenden Sound nicht mehr erschüttern lässt.

"Hotel Stamba" ist eine Hommage an ein Hotel in Tiflis, in dem Katie ihre ersten acht Jahre verbrachte. Der Song soll die Gefühle transportieren, die sie für diesen Lebens-Raum empfand. Im Text ist sowohl Respekt gegenüber dem Gebäude wie auch Überdruss gegenüber dem lebhaften Hotelalltag untergebracht worden. Entsprechend werden musikalisch permanent wiederkehrende, überreizte Minimal-Art-Motive wie auch ausgeglichen-behagliche Momente abgebildet.
Poetisch verklausuliert spiegeln sich Enttäuschung und Bedauern in "Textures Of Memories" wider. Zwei Gemütslagen, die bei einer Trennung ein starkes Gewicht haben. Es liegt eine bleierne Schwere auf der sachte dahinfließenden Melodie, die von Katie Melua mit so viel Haltung wie möglich gesungen wird. Aber die Tristesse greift gierig nach der Seele, denn ein Kampf um die Liebe hinterlässt oft schwer heilende Wunden.
Das titelgebende Stück "Aerial Objects" arbeitet sich fleißig vom schemenhaften Traumgebilde zum polternden, bombastisch aufgeladenen Barock-Progressive-Rock hoch. Melua bleibt bei dieser stetigen Achterbahnfahrt der Emotionen der besonnen-abgeklärte Ruhe-Pol der Komposition. Space-Sounds, verwehte E-Gitarren-Klänge, weiche Streicher-Schwaden, rhythmische Geigen-Töne, kräftige Bässe und ein becircender Gesang begleiten dann das abschließende, fast 7minütige "Millions Of Things" und verhelfen dem Lied zu einem rauschhaft-flimmernden Klima.

Ambient, Krautrock, Psychedelic-Rock, Minimal-Art - jede Form bewusstseinserweiternder Klänge fließen in den Sound von Simon Goff & Katie Melua ein und bereiten den Nährboden dafür, dass sich die Sängerin mit der warmen, einfühlsamen Stimme in die atmosphärisch dichten Sounds fallen lassen kann. Sie ist Gegengewicht oder Vermittlerin im Hinblick auf die provozierenden instrumentalen Tonspuren und füllt ihre steuernde Rolle souverän aus. Melua verleiht den künstlerisch wertvollen Kompositionen Stabilität und Empathie, während sich Goff hingegen für die Erzeugung von Spannung und die Vermittlung von rätselhaften Klang-Erfahrungen einsetzt

Durch die Verschmelzung ihrer Talente und dem Gedankenspiel, Räume zu erkunden - was einem Blick aus der Vogelperspektive gleicht - ermöglichen sich Goff & Melua einen Perspektivwechsel gegenüber ihrem bisherigen Schaffen und bilden dadurch gleichzeitig ein Sub-Genre zwischen sogenannter ernster- und Unterhaltungs-Musik. Nach einer halben Stunde ist der Zauber dann allerdings schon vorbei - man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist.

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