Boy & Bear - Tripping Over Time (2025)

Inhaltlich geht es bei "Tripping Over Time" von Boy & Bear "um die subtilen Lektionen des Lebens", die "optimistisch, nostalgisch und verspielt" verpackt wurden.


Das australische Quintett Boy & Bear wurde 2009 als Solo-Projekt des Singer-Songwriters David Hosking in Sydney gegründet, wuchs aber schon bald zum Quintett an, welches 2010 seine erste EP herausbrachte. Mit "Tripping Over Time" veröffentlicht die Gruppe am 12. Dezember 2025 nun ihr sechstes Volle-Länge-Album, in dem es inhaltlich vorzugsweise um den Reifungsprozess im Leben, um den Umgang mit einer sich dadurch verändernden Wahrnehmung und um die Akzeptanz dieses Umstandes geht.

Das Eröffnungsstück "Tripping Over Time" baut einen Wall von zwitschernd-oszillierenden Tönen auf, bevor der hohe, asexuelle Gesang den in Wohlklang schwelgenden Song ernüchternd auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Ein lockerer Groove erdet nebenbei die rhythmisch aktiv untermauerten Schwebeklänge. Der Track verschmilzt akustisch quasi Himmel und Erde miteinander. Harmonisch in den Gesamtsound eingebettete Soft-Funk-E-Gitarren-Akkorde sorgen nebenbei für griffige Konturen. Ein verarbeitetes Thema ist dabei die eigene Vergänglichkeit, die Angst machen kann. Damit lässt sich Frieden schließen, indem man diesen Tatbestand gedanklich relativiert, denn schließlich ist jeder Tag "nur ein weiterer Tag, an dem ich älter werde".

"Where Does Life Begin" beginnt langsam und nachdenklich, bevor ein zügiger und strammer Takt einsetzt, der das Lied von Moll nach Dur transportiert. Dieser Zustand bleibt beinahe dauerhaft bestehen und bekommt angemessene Verstärkung durch kecke, kurz angerissene E-Gitarren-Attacken und einen selbstbewusst auftretenden Sänger. Und grade, als man erwartet, dass die nächste Energie-Stufe gezündet wird, ist das Stück nach nur 3 Minuten auch schon wieder vorbei. Eine angesprochene These lautet: Niemand bleibt davon verschont, Entscheidungen zu bereuen ("Ich hätte bleiben können, aber stattdessen. Ich bin gegangen und habe mich gefragt, warum.")

Mit "Vertigo" folgt ein Track, der das Aroma von sonnig swingenden, nach Karibik klingenden Rhythmen einfängt. Auch wenn der Gesang verhalten bleibt, verbreiten die Instrumente eine heiter-gelöste Grundstimmung. Dieser Kontrast verleiht der schmackhaften Suppe von "Vertigo" eine besondere Würze, die auch zur Kernaussage passt: "Versuch einfach, aufrecht zu bleiben. Fürchte dich nicht, alleine zu tanzen". Die Band sieht den Song als Darstellung der Unbeholfenheit im Leben: "Wir werden erwachsen, aber auf einer bestimmten Ebene fühlen wir uns immer noch wie Kinder – wir wissen wirklich überhaupt nichts, aber vielleicht ist das auch in Ordnung?"

Die leise Ballade "Ancestors" kann durch ihre unaufdringliche Intimität punkten. Kein Schnickschnack, keine Gimmicks, nur demütige Zurückhaltung. Es geht darum, inmitten der verwirrenden Prägung durch Erziehung und Erfahrung unabhängig seinen Platz im Leben zu finden ("Und ich kann mich nicht mit dem ganzen Pöbel in meinem Kopf anfreunden.")

"Thunder" verdeutlicht einmal mehr, welch ausgezeichnet-gefühlvolle Musiker David Hosking (Gesang und Gitarre), Killian Gavin (Gesang und Gitarre), Tim Hart (Schlagzeug, Gesang, Banjo, Mandoline), Jonathan Hart (Keyboard, Synthesizer, Gesang) und David Symes (Bass) sind. Die Komposition besteht aus einem feingliedrigen, harmonischen Folk-Song, der durch ein flexibles Schlagzeugspiel und durch flüchtige, Sternschnuppen-artig aufleuchtende Einspielungen von unter anderem E-Gitarre, Keyboards und Banjo einen sanften Jazz-Groove erlangt. Leider sind auch hier die 3 Minuten Laufzeit viel zu kurz, da sich der Song in dieser Zeit gar nicht endgültig entfalten kann. Das Bekenntnis zum Mut, ein Risiko einzugehen ("Ich weiß, es wird schwer. Aber es wird mich nicht unterziehen. Ich gehe mein Risiko ein."), hätte mehr Raum verdient.

Jingle-Jingle-Pop, wie er von The Byrds Mitte der 1960er Jahre für zum Beispiel "Mr. Tambourine Man" ins Leben gerufen wurde, spielt eine grundlegende Rolle bei "Lost Control". Flirrend-helle Töne lassen die Hörnerven Purzelbäume schlagen, und der Gesang, der teils sachlich, teils verzückt erscheint, stellt sich flexibel auf die formelle und die körperlos-sinnliche Situation ein. Die Frage, um die es hier geht, ist: Sollte man einer Liebe widerstehen, wenn dadurch die Gefahr besteht, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren? ("Manchmal fühlt es sich an, als wäre die Welt nicht fair. Aber so ist das Leben.")

Ein 1980er-Jahre Drum-Computer klopft für das schunkelnd-weiche "Love Has Been Too Good To Me" trockene Herzschlag-Takte und die Keyboards liefern den Zuckerguss für dieses sich in allen Belangen ehrfürchtig zurückhaltende Lied. Das Leben verläuft in Wellen, und "Manchmal hat man richtig Glück", das man zu schätzen wissen sollte, lautet das Motto, welches der Song verbreitet.

Zuweilen sind die einfachen Wahrheiten auch die prägendsten Erfahrungen: "Aber die Vergangenheit kannst du nicht rückgängig machen", heißt es in "Roses". Das Lied klingt trotz dieser trüben Erkenntnis vergnüglich, flockig und gelöst, ohne dabei unverbindlich oder belanglos zu sein. Disziplinierter Sunshine-Pop der geschmeidigen Sorte. Der Leitgedanke des Stücks lautet: Bleibe mutig und stelle dich deinen Herausforderungen.

Beim dramatischen Folk von "Sleep Talking" existiert ein tragischer Unterton. Der Lead-Gesang bemüht sich als Gegengewicht dazu intensiv um ausgleichend-unaufgeregte Schwingungen. Es knistert dennoch verdächtig mysteriös zwischen den Noten. Nächtliche Unruhe, die von Angst und Sorgen ausgelöst wird ("Aber ich bin es leid, vor Angst aufzuwachen, verstehst du?"), spielt bei der Tonfärbung nämlich eine erhebliche Rolle.

Melodieverliebtheit und Harmoniesucht lassen "All These Years" zum heimlichen Hit der Platte werden. Der sanfte, anschmiegsame Fluss der seidenen Schwingungen wirkt hinreißend und betörend! Inhaltlich geht es um die Suche nach Orientierung ("Ich brauche einen Ort, an dem ich ankommen kann. Wo ich mich wieder selbst fühlen kann.")

 Mit "Movie" und seiner klugen Art-Pop-Präsenz wird das Album zum Abschluss seriös und raffiniert abgerundet. Der Umgang mit Veränderungen ("Entweder du bleibst still und schweigst. Oder gib dem Kind in dir ein paar Antworten") ist ein zentrales Thema des Songs.


Das Werk wirkt wie aus einem Guss und bietet durchweg ansprechende, sympathische, ausgereifte und kompetent zusammengesetzte Pop-Musik, die nicht die Welt aus den Angeln hebt, sie aber für die Dauer der Laufzeit angenehmer und hoffnungsvoller erscheinen lässt. Das wirkt in diesen unruhigen Zeiten wie Balsam für die Seele. Und wer kann diese Unterstützung nicht gebrauchen?

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