JULIA HOLTER - HAVE YOU IN MY WILDERNESS (2015)

JULIA HOLTER etabliert sich mit ihrem vierten Album HAVE YOU IN MY WILDERNESS endgültig als eine der interessantesten Singer-Songwriterinnen der Gegenwart.

Julia Holter präsentiert auf ihrem vierten Album seltsame, anregende Art-Pop-Liebeslieder.


War Julia Holters letztes Werk „Loud City Song“ (08/2013) noch eindeutig als Kunstprojekt zu identifizieren, so ist die Zuordnung ihrer neuen Schöpfung nicht so einfach möglich. Die intellektuelle Musikerin gibt sich häufiger zugänglich, ohne aber in die Nähe von seichten Klängen zu geraten. So kann der Gesang eine heitere Note annehmen, der jegliche Schwere von den Kompositionen nimmt. Und das trotz des Einsatzes von wehmütigen Streichern („Silhouette“, „Everytime Boots“). Komplex und raffiniert sind ihre Lieder jedoch in jeder Ausprägung. Es ist eine schwierige Konstellation, Töne gleichzeitig anspruchsvoll und leicht klingen zu lassen. Hierzu gehört ein sensitives Gespür und viel Erfahrung, die man bei ähnlich gelagerten Song-Schmieden wie Robert Wyatt („Shipbuilding“) oder David Sylvian („Silver Moon“) erleben kann.
Julia Holter: Have You In My Wilderness (Kritik & Stream ...
Es gibt neue Ausrichtungen im Vergleich zum Vorgänger. Dieses Mal ist keine literarische Vorlage Dreh- und Angelpunkt der konzeptionellen Überlegungen. Julia hat ihr Innenleben und ihre Befindlichkeiten durchforstet und diese Sammlung von Liebesliedern, deren Entstehung bis ins Jahr 2011 zurückreicht, zusammengestellt. Der Titel „Have You In My Wilderness“ steht als Motto über dem Zyklus und symbolisiert das besitzergreifende Element der Liebe. Der Produzent Cole M. Greif-Neill legte außerdem beim Klangbild gesteigerten Wert darauf, dass Julias Stimme mehr in den Vordergrund gesetzt und mittig angeordnet wurde. Bisher war sie im Klangbild gleichwertig zu den Instrumenten oder im Hintergrund platziert.
Musikalisch bewegt sich die Künstlerin in Parallelwelten. Elektronische oder akustische Instrumente bestimmen gleichberechtigt den Sound. Einfache, ohrenfreundliche oder komplexe, kunstvolle Strukturen werden abwechselnd eingesetzt. Aufmunternder oder nachdenklicher Gesang begleitet die mehrschichtigen Gebilde. Sie leben von den Spannungsverhältnissen, die durch diese unkonventionelle Herangehensweise entstehen.
Die erste Single-Auskopplung „Feel You“ ist das Sahnestück der Liedersammlung und ein Musterbeispiel für Klänge, die die Sinne berühren und das Hörzentrum berauschen. Der Gegenpol dazu ist „How Long“. Hier wird es sehr elegisch und die Stimmung gemahnt sogar an die Trauergesänge von Nico (The Velvet Underground). Der Hörer wird durch den beschwörenden, sakralen Ablauf an die Lautsprecher gebunden. Auch „Lucette Stranded On The Island“ ist einem Kunstlied näher als einem Pop-Song und pendelt verloren zwischen Traum und Wirklichkeit. Mit „Sea Calls Me Home“ imitiert sie zunächst einen Pop-Song. Durch ein jazziges Zwischengebläse erhält der Song dann aber noch ein energisches Gesicht und „Everytime Boots“ verbreitet beinahe ausgelassene Fröhlichkeit, wäre da nicht der dramatisch aufgebaute Mittelteil.

Julia zeichnet die Farben der Liebe in abgestuften Schattierungen, die die Vielfalt der möglichen Stimmungsänderungen in Liebesbeziehungen aufzeigt. Entsprechend sind die Songs emotional durchmischt. Heiterkeit, Ernüchterung und Nachdenklichkeit haben dicht nebeneinander ihren Platz. Wie im wirklichen Leben.

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