Róisín Murphy - TAKE HER UP TO MONTO (2016)

Das TripHop-Duo MOLOKO ist lange Geschichte. Aber Frontfrau Róisín Murphy erforscht weiter die Möglichkeiten der elektronisch unterstützen, kunstvollen Pop-Musik. TAKE HER UP TO MONTO zeigt eine weitere unerschrockene Facette ihrer Experimentierlust.

Róisín Murphy traut sich, ihrem Electro-Pop eine eigenartig-kunstvolle Färbung zu verleihen.

Der elektronisch basierte Pop hat nicht zuletzt durch die Trip-Hop-Bewegung Anfang der 1990er-Jahre, die Gruppierungen wie Portishead oder Massive Attack hervorbrachten, eine abstrakte, intellektuelle und experimentierfreudige Haltung bekommen. Zu dieser Strömung zählte auch das Duo Moloko, das aus dem Produzenten Mark Brydon und der Sängerin Róisín Murphy bestand. Die beiden lernten sich 1994 in Sheffield auf einer Party kennen. Die Irin, die vorher noch nie gesanglich in Erscheinung getreten war, baggerte Mark mit dem Spruch: „Gefällt dir mein enger Pulli?“ an, was dann zu einer musikalischen und persönlichen Verbindung führte. Gleichzeitig war auch der Titel für das erste Moloko-Album geboren. „Do You Like My Tight Sweater“ erschien 1995 und 2003 kam mit „Statues“ das vierte und letzte Studio-Album raus, welches das Ende des gemeinsamen beruflichen und privaten Weges des Paares besiegelte.
Aber Róisín - was aus dem Irischen übersetzt Röschen bedeutet - machte nach etwas Abstand weiter und tat sich für ihren ersten Alleingang mit dem Sound-Tüftler Matthew Herbert zusammen, der schon die Moloko-Single „Sing It Back“ remixt hatte. Ihm kam es bei der Betreuung darauf an, Murphys Persönlichkeit herauszustellen und so bastelte er ein maßgeschneidertes Gerüst aus Jazz-Phrasen, beiläufig eingebauten Alltagsgeräuschen und futuristisch-surrealen Synthesizer-Sequenzen zusammen. Misses Murphy schmückte dieses Konstrukt mit ihrer geheimnisvoll-verführerischen Stimme, die ab und zu an Grace Jones denken lässt. Letztlich klingt die Zusammenarbeit so ähnlich wie ein drogenvernebeltes Experiment einer skurrilen Jazz-Diva.
Die exzentrische Künstlerin arbeitet seitdem an der Konstruktion eines fortschrittlichen Electronic-Pop weiter, machte aber nach ihrem zweiten Werk „Overpowered“ von 2007 acht Jahre Baby-Pause. „Hairless Toys“ von 2015 fiel in eine fruchtbare kreative Phase, so dass genügend Material übrig blieb, um jetzt auch noch „Take Her Up To Monto“ zu bestücken. Aber zum Glück handelt es sich nicht um eine unergiebige Resteverwertung. Der Sound wird aktuell weitgehend von einer Fusion aus Disco- und Chill-out-Kulturen bestimmt, wobei der hohe Jazz-Anteil des Debüts bei den nachfolgenden Veröffentlichungen stark zurückgedrängt wurde.
Take Her Up to Monto - Roisin Murphy: Amazon.de: Musik
Wabernd-blubbernde Rhythmusfiguren leiten „Mastermind“ ein. New Wave, Disco und Krautrock streiten im weiteren Verlauf um die Vorherrschaft. Róisín zitiert ihre Worte zunächst in der kühlen Art einer Laurie Anderson, wechselt dann aber in einen lieblich-gewinnenden Monolog. Die Takte werden zur Mitte hin donnernd-impulsiv angeordnet. Das Stück bewegt sich dann in etwa im New Order-Modus. „Pretty Gardens“ vermittelt am Anfang den Eindruck, als solle der Sound eines Computerspiels imitiert werden. Holprig, beinahe zufällig werden die Töne erzeugt. Der Gesang bekommt in dieser Phase eine gewisse Anrüchigkeit verliehen, wie es auch Amy Winehouse praktizierte. Der Track wird dann nach und nach in geordnete Strukturen überführt, die aber immer wieder durch überraschend-schräge Klangeinfälle verschoben werden.
„Thoughts Wasted“ verbindet das theatralische Element einer Kate Bush mit der Reserviertheit von Grace Jones. So sorgen ernste Streicher-Sätze für Seriosität und munter-spritzig-naive Einwürfe bilden dazu das ausgelassene Gegengewicht. Eine künstliche, trockene lateinamerikanische Stimmung, die so auch von der minimalistischen Art-Pop-Kult-Formation Young Marble Giants aus den 80er Jahre stammen könnte, befördert „Lip Service“ in den Easy-Listening-Bereich. Der Song kommt ohne Störfeuer aus, denn der freundlich-optimistische Gesang unterstützt die sonnige Ausrichtung.
Suchend sendet „Ten Miles High“ hupende und klackende Signale aus, die von positiven, angenehmen und anziehenden Gesangs- und Synthesizer-Linien beantwortet werden. Basslastige, fette Synthesizer-Tropfen tragen dick auf und gleichzeitig bekommt der Song eine harmonische Pop-Linie verpasst. Durch zurückhaltend und schüchtern agierende Stimmen und Electronics verbreitet „Whatever“ den beruhigenden Charme eines Wiegenliedes. Schwirrende Töne provozieren punktuell und rauben dem Track seine Behäbigkeit.
„Romantic Comedy“ bietet der Romantik keine große Ausbreitungsmöglichkeit. Die Rhythmus-Geräte machen ordentlich Lärm und senden mächtige Störsignale. Auch das Hörspiel-artige „Nervous Sleep“ hat Melodie-auflösende Anteile und verbreitet eine befremdlich-dissonante Stimmung. Das abschließende „Sitting And Counting“ wurde als zerrissene, ruhige Nummer konzipiert, die von Keyboard-Klängen umrankt wird, welche stellenweise an splitterndes Eis erinnern.
Der Titel des Albums leitet sich von einem irischen Lied ab, das 1958 von George Desmond Hodnett, dem Musik-Kritiker der Irish Times verfasst und von den Dubliners ab 1966 populär gemacht wurde. Es bezieht sich auf den Rotlichtbezirk von Dublin und wurde im Elternhaus der Musikerin gerne von ihrem Vater gesungen. Jugenderinnerungen treffen also auf die zeitgemäße, eigenwillige Weltsicht der ehemaligen Moloko-Frontfrau. Diese bietet keine Easy-Listening-Kost an, sondern verleiht ihrer modernen Pop-Musik einen individuellen, bizarren Anstrich. Geschickt manövriert sie zwischen Mainstream und Kunst, ohne dabei ein Lager zu verprellen. Interessanterweise sind selbst die ab und zu vorkommenden hyperaktiven, kräftigen Beats in der Regel nicht dazu geeignet, den Tanzboden zu füllen. Dazu sind die Arrangements meist zu verschroben, was auch den großen Reiz dieser Songsammlung ausmacht.
Tonbeispiele werden hier präsentiert:



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