COLTER WALL - Colter Wall (2017)

COLTER WALL ist der neue AMERICANA-Star.

Sein erstes Solo-Album zeigt einen unangepassten 21jährigen Musiker, der wie ein Singer-Songwriter-Urgestein klingt.
Eigentümlich und feinfühlig interpretiert Colter Wall schlicht instrumentierte Lieder von staubig-fragiler Schönheit.
Colter Wall verfügt über eine charaktervolle, rauchige Stimme, die sich manchmal so anhört, als hätte der Sänger noch was im Mund. Oder möchte er nur für eine lässige Ausstrahlung oder eine stimmliche Abgrenzung sorgen? Zumindest besitzt sein Gesang dadurch eine außergewöhnliche Besonderheit, die aufhorchen lässt. Der kanadische Musiker, der jetzt in Kentucky lebt, wird zurzeit als Hoffnungsträger der alternativen Countrymusik gehandelt, so in etwa in der Gewichtsklasse eines Steve Earle. Der behauptet sogar, er hätte in den letzten zwanzig Jahren keinen besseren Songwriter gehört.
Colter Wall Self Titled  Vinyl
Colters erstes Album wurde rein akustisch eingespielt. Es gibt also keine verstärkten Instrumente und schon gar keine elektronischen Spielereien. Das Gitarrenspiel ist ähnlich knarzig wie bei Willie Nelson. Bei der Umsetzung unterstützen Chris Powell (Drums), Robbie Turner (Pedal Steel) und Mike Webb (Piano) und der Produzent Dave Cobb (Chris Stapleton, Jason Isbell, Sturgill Simpson) an der akustischen Gitarre unaufdringlich, aber effektiv.
„Thirteen Silver Dollars“ beginnt zögerlich und wird zunächst als purer Folk-Song Solo zur akustischen Gitarre vorgetragen. Nach eineinhalb Minuten setzt dann die Bandbegleitung ein, die dem Track Schwung verleiht. „Codeine Dream“ hat den Charme einer knorrigen Eiche. Wettergegerbt übersteht sie stoisch allen Herausforderungen. Colter macht einen ebensolchen unerschütterlichen Eindruck und zieht den abgeklärten Country-Folk unbeeindruckt von Trends und Moden traditionsbewusst durch. Der große Singer-Songwriter Townes Van Zandt würde anerkennend nicken.
Apropos Townes Van Zandt: Dessen „Snake Mountain Blues“ kommt in den Genuss einer exzellenten, coolen Neuvertonung. 

Das Folk-Traditional „Fraulein“ hat Colter im Duett mit Tyler Childers eingespielt. Ein Titel, den auch Townes im Repertoire hatte. Beide Lieder wurden geschmackvoll mit dezenter Bandbegleitung und urig-erdigem Gesang als ehrwürdig klingende Volkslieder umgesetzt. Als sehr langsamer Walzer ist „Me And Big Dave“ konzipiert. Eine verschämt weinende Lap-Steel sorgt für Tränen statt Noten.
„Motorcycle“ bewegt sich vorwiegend in einem beschaulich-trabenden Umfeld. Der seriöse Country-Folk wird durch eine lebhafte Akustik-Gitarre vorwärtsetrieben und durch eine verzückte Steel-Gitarre in Wehmut versetzt. Bei der Mörder-Ballade „Kate McCannon“ handelt es sich um einen dieser berührend-aufwühlenden Songs, die durch ihre ergreifende Wirkung den ganzen Tag im Kopf rumschwirren können. Hinter „WB's Talkin“ verbirgt sich der völlig überflüssige Monolog eines Radio-Moderators mit Colter Wall-Bezug. Der gemütliche Honky-Tonk Country-Blues „You Look To Yours“ steht in der Tradition von Gram Parsons, dem Cosmic Americana-Pionier, der Hippies und Country-Fans gleichermaßen ansprechen wollte.
„Transcendent Ramblin' Railroad Blues“ ist eine Ballade, bei der Hall auf die Stimme gegeben wurde, so dass der sparsam instrumentierte Titel noch verlorener wirkt. „Bald Butte“ lässt sich Zeit, um in Gang zu kommen. Der Song bleibt durchgängig verhalten und abgeklärt im Gesang. Durch Dobro- und Trommel-Einwürfe vom Schlagzeug werden überraschende Duftmarken gesetzt, die den Song aus dem aufgeräumten Grundkonzept lösen: So funktioniert Gelassenheit in Reinkultur. Der Kanadier Colter Wall ist erst 21 Jahre jung, klingt aber schon wie ein Alter. Kaum zu glauben! Sein knochentrockener Vortragsstil, bei dem bevorzugt erlebte Begebenheiten preisgegeben werden, erinnert an texanische Country-Folk Urgesteine wie Butch Hancock oder Jimmie Dale Gilmore.
Mr. Wall lenkt durch Reduzierung geschickt die Konzentration auf seine Kompositionen, denn die skelettierte instrumentale Begleitung läuft meistens unter dem Motto „weniger ist mehr“ ab. Entsprechend hoch muss die Aufmerksamkeits-Spanne des Hörers sein, damit die Songs nicht von vornherein als unspektakulär abgetan werden. Das sind sie nämlich nicht: Es müssen eventuell schon mehrere Hördurchgänge investiert werden, damit sich aus den Gebilden die Schönheit vollständig herausschält und entscheidend entfalten kann. Dann belohnt der unangepasste Musiker jedoch mit etlichen zu Herzen gehenden Melodien, die sich festkrallen und dazu führen, dass die CD immer wieder in den Player wandert. Die Platte manifestiert und kommentiert die Geburtsstunde eines kommenden Singer-Songwriter Stars. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es Cover-Versionen von diesen Rohdiamanten geben wird.

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