JORDAN KLASSEN - BIG INTRUDER (2017)

Ein Geheimtipp aus Kanada: JORDAN KLASSEN spielt auf BIG INTRUDER herzerwärmenden Psychedelic-Pop und hat ein große Zukunft vor sich, wenn er sein Talent weiter fokussieren kann. 

Herzerwärmend breitet sich der psychedelische Folk-Pop von Jordan Klassen aus: Lebensabschnittsbewältigung wird dabei für den musikalischen Reifungsprozess genutzt.

Männlicher Falsett-Gesang ist eine zweischneidige Angelegenheit. Wird er in zu extreme Höhen geführt, kann er unnatürlich, aufgesetzt und verstörend wirken. Wohldosiert eingesetzt kann er aber zu verblüffenden, manchmal sogar ehrfürchtigen Höreindrücken führen. Von dieser Wirkung wusste auch Brian Wilson, der dieses Stilmittel 1966 für „Pet Sounds“ im Pop-Bereich perfektionierte. Der Kanadier Jordan Klassen geht bei seinem dritten Album beim Lied „Hard To Please“ an die obere Grenze seiner Stimmlage und so ist es nicht ganz leicht, sich sofort mit dem Song und den Gesangsharmonien anzufreunden. Der Track demonstriert innere Zerbrechlichkeit und Zerrissenheit sowie filigrane Musikalität und geht einen alternativen Weg vom Schatten ins Licht. Das Album „Big Intruder“ soll generell den Lebensabschnitt von der unbekümmerten Jugend bis zur verantwortungsvollen Erwachsenenwelt aufgreifen und kommentieren. Und dieses Konzept wird unabhängig von den textlichen Inhalten durch unterschiedliche Stimmungslagen begleitet. Musikalisch wollte der Kanadier einen weiteren Schritt in Richtung zum reifen, umfassend agierenden Singer-Songwriter vollziehen. Dazu inspirierten ihn z.B. die Lebenswerke von Harry NilssonPaul McCartneyLeonard Cohen, und Joni Mitchell.
„The Same Thing Over And Over“, der zweite Song der Platte, spielt sich stimmlich nicht mehr in den oberen Regionen ab, sondern orientiert sich gesanglich an Norman Blake vom Teenage Fanclub. Deshalb und wegen der zuckersüßen Melodie gefällt der Song sofort und bekundet fulminante 60s-Pop-Kenntnisse. Badfinger und Todd Rundgren haben hinsichtlich der vollmundigen Arrangement-Ideen Paten gestanden und das Ergebnis ist so überzeugend, dass sich der Song sofort als Insider-Hit durchsetzt. Die Komposition verbreitet Zufriedenheit, die von kleinen Glücksmomenten durchzogen ist und symbolisiert somit ein Leben, das sich in stabilen Bahnen bewegt. Verträumten psychedelischen Barock-Pop bietet „Yer Cure“ und begibt sich somit in eine Schein- oder Rauschwelt, die den Hörer mit leicht verfremdetem Gesang empfängt. Für „Dominika“ werden ein Fake-Chor und trockene Hillbilly-Country-Gitarren als aufreizende Stilmittel eingesetzt, um dem recht statisch verlaufenden Song Aufmerksamkeitspartikel zu verleihen. Abenteuerlust und Übermut sind andeutungsweise vorhanden, es wird aber nie über die Stränge geschlagen.

Das sakral-bedächtige Folk-Stück „Too Far Gone“ watet knietief durch die psychischen Belastungen, die aus einer Liebesbeziehung resultieren können und macht den Eindruck, als solle das Lied bewusst unfertig wirken. Das ist gut so, denn die Hinzunahme von weiteren Bestandteilen könnte leicht zu einer Überfrachtung an Eindrücken führen. Der feminin anmutende Gesang verbreitet bei „Sylvia Plath Girl“ eine blumig-weiche Stimmung. Der Hippie-Folk-Pop bekommt allerdings durch eine angedeutete Funk-Gitarre etwas Feuer verliehen, bleibt aber grundsätzlich eine gemächliche Angelegenheit, wirkt lieblich und zeichnet eine operettenhafte Wahrnehmung von der Welt. Schunkelnd, Walzer assoziierend, Ethno-Folk und klassische Romantik verarbeitend, bewegt sich „Housefly“ kunstbeflissen zwischen Pop-Ballade und Art-Pop und erzeugt so eine heimelige Gemütlichkeit. Das Stück „Big Intruder“ entwickelt sich von einem ruhigen, besonnenen Beginn zu einem verhalten beschwingten Track, der sich selbst bremsende Fesseln auferlegt. Diese zwingen ihn in ein Korsett, durch das er nicht allzu ausgelassen agieren kann. Dynamiksprünge verleihen dem Konstrukt einen Ablauf, der an die verschachtelten Lieder der Beatles denken lässt. Dadurch werden Signale gesendet, die auf eine intellektuelle Ausrichtung hindeuten.
„Hard Hard Heart“ kommt melancholisch versunken rüber. Die Komposition zeigt sich ergreifend und mild zugleich. Beim betörend sanft-verführerischen Gesang wird jeder Widerstand im Keim erstickt und jedes Herz weich. Durch die Schwebeklänge und die sanfte, entspannte Stimme kommt ein Gefühl von innerer Zufriedenheit und friedlichem Gleichmut auf. „Hotshot Runaway“ vermittelt zunächst einen einfach gestrickten Eindruck und klingt nach aufgesetzter Fröhlichkeit. Der Mitsing-Pop gewinnt jedoch im Verlauf noch etwas an Format. Durch die Verwendung von gleichmäßigen, stoischen Computer-Rhythmen wird noch dazu beigetragen, dass der Song als relativ ausgelassen wahrgenommen wird. Der Fake-Reggae „Vitamin“ biedert sich allerdings zu sehr an den Mainstream-Pop an und verfügt über keine wirklich zündende Melodie. Er übermittelt einen beinahe gleichgültigen Gemütszustand.
Jordan Klassen erweist sich grundsätzlich als Schöngeist „Big Intruder“ beherbergt Momente von andächtiger Anmut, weiser Gelassenheit und unbedenklicher Pop-Grazie. Auch gegen Ende des Albums ist Jordan immer noch um Abwechslung in Form von variierenden Gefühlslagen bemüht, aber melodiös geht ihm etwas die Puste aus. Da Mr. Klassen die Aufnahmen in Eigenregie in seinem Studio aufnahm und produzierte, hätte er eigentlich ausreichend Muße für die Fertigstellung gehabt. Es entsteht jedoch der Eindruck, dass das Werk dennoch überhastet zu Ende gebracht wurde. Etwas mehr Abstand zum Ergebnis hätte womöglich noch mehr Qualitätsmerkmale hervorlocken können: Eine längere Laufzeit, Brüche und Ausflüge in andere Stil-Ebenen, durchgängig betörende Songs sowie noch mehr individuelle Eigenständigkeit wären so möglich gewesen. Der Mann aus Vancouver in Kanada hat vieles richtig gemacht, seine sympathischen Songs haben Potential, sind aber noch ausbaufähig. Mit diesem öffentlichen Lernen und dem Konzeptgedanken, Stationen des Erwachsenwerdens aufzugreifen sowie diese Ereignisse in vielfältige Stimmungslagen einzubetten, hat Jordan Klassen aber auf jeden Fall in seiner Erfahrungssammlung einen großen Schritt vorwärts getan.
Schade, dass die grundgute Platte zum Schluss doch etwas uninspiriert einknicken musste. Ansonsten handelt es sich nämlich um kunstvoll arrangierte und konstruierte Stücke mit geschmackvollen Zitaten aus dem anspruchsvollen Psychedelic-Pop-Fundus der Vergangenheit. Es fehlt aber der letzte Schliff, der die individuelle Besonderheit ausmacht oder der Musenkuss, der eine einzigartige Erleuchtung hervorlockt, um gänzlich zu beeindrucken.

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