David Keenan - A Beginner`s Guide To Bravery (2020)
David Keenan ließ sich Zeit für sein erstes Album "A Beginner`s Guide To Bravery", überzeugt damit aber jetzt auf ganzer Linie.
Um die Kunst von David
Keenan richtig einordnen zu können, ist es notwendig, etwas über seine
Biografie und Motivation zu erfahren. Der Musiker ist nahe der irischen Kleinstadt
Dandulk aufgewachsen, die zwischen Dublin und Belfast an der Grenze zu
Nordirland liegt. Politische Spannungen gehörten also stets zum alltäglichen
Umfeld im Leben des Musikers. Reibungspunkte, Kontroversen und emotionale
Ausnahmesituationen spielen wohl deshalb eine gewichtige Rolle in den Kompositionen
des außergewöhnlichen Talentes. Dundalk mag nicht der Nabel der Welt sein, aber
die Bedürfnisse, Ängste, Wünsche und Leiden der dort lebenden einfachen Leute
lösten Assoziationen aus, die neben den Beziehungen zu feingeistigen Literaten
wie Samuel Beckett den Weg zu den Song-Ideen ebneten.
Eine obsessive
Leidenschaft für die englische Brit-Pop-Combo The La`s gab schließlich den
Anstoß für einen Umzug nach Liverpool, als er 17 war. Geldmangel zwang ihn
dazu, dort als Straßenmusiker aufzutreten, was als Konsequenz seine
Kommunikationsfähigkeit und sein Selbstvertrauen stärkte. Mit der Erkenntnis,
dass eine aufopfernd-anstrengende Art zu musizieren nur mit Disziplin sowie
geistiger und körperlicher Gesundheit aufrecht zu erhalten ist, kehrte er vor
ein paar Jahren nach Irland zurück, verschickte Demo-Aufnahmen und brachte so
seine Karriere allmählich zum Laufen.
Seitdem entstehen seine
mutigen, intensiv-schneidenden Schöpfungen, die von Leidenschaft, Wut,
konstruktiver Melancholie und missionarischem Eifer geprägt sind. Und der
Wahnsinn lugt auch manchmal um die Ecke. Davids ungebremst durchdringender
Gesang lässt dabei Erinnerungen an David Gray, Kevin Coyne, John Martyn, Damien
Rice, Jeff Buckley oder David Crosby aufkommen. „Ich möchte riskieren, alles
auseinander zu reißen, um vielleicht etwas Neues zu entdecken, und ich bin
bereit, dieses Risiko einzugehen.“, hat er einmal in einem Interview betont und
in diesem Sinne wirkt sein erstes Album, das hauptsächlich innerhalb von einer
Woche in einer Situation zwischen Chaos und Ruhe in dem Hellfire Studio am Fuß
der Dubliner Berge eingespielt wurde, abenteuerlich, drastisch, aufrichtig und
bewegend.
Die Eigenkomposition „James
Dean“ wurde bereits 2018 auf der EP „Strip Me Bare, Vol. 2“ veröffentlicht und
symbolisiert sowohl Zärtlichkeit wie auch Verwundbarkeit. Es geht inhaltlich um
einen Traum, in dem die jung gestorbene Schauspieler-Ikone James Dean gesund
und munter einem ruhigen Leben nachgeht: Er arbeitet für die irische Eisenbahn.
Der schmerzlich-schroffe Folk-Song, der Solo zur verstärkten Gitarre
vorgetragen wird, ist durch ausladende stimmliche Extravaganzen gekennzeichnet.
So macht David gleich zu Beginn seines Werkes darauf aufmerksam, dass
berechenbarer Mainstream nicht sein Ding ist.
In voller Band-Besetzung,
mit verlässlich aufmunternder Rhythmus-Abteilung und volksnaher, schmückender
Geige ausgerüstet, hinterlässt „Unholy Ghosts“, das vollständig während einer
Zugfahrt von Amsterdam nach Köln geschrieben wurde, oberflächlich ein
schwungvolles Folk-Rock-Bild. Der Wille zum Aufbegehren und eine kritische
Beobachtungsgabe lassen sich aber nicht andauernd unterdrücken: Die aggressiven
Untertöne, die eine ungestüme Energie aussenden, können nicht zurück gehalten
werden und so wird das Lied beinahe zum bersten gebracht.
Im Video zu „Altar Wine“
geht es laut Regisseur Mark William Logan um die Dämonisierung des Weiblichen
durch religiöse Institutionen, den Missbrauch unseres Planeten durch den
Kapitalismus und das Trauma, das unsere Ahnen durch Unterdrückung an uns weiter
geben. Schwere Kost also, die David dazu gebracht hat, sich quasi in
Exorzismus-Manier auszutoben. Er berichtet jedenfalls davon, dass er sich noch
nie so weit am Rande des Irrsinns bewegte - aber letztlich auch befreit gefühlt
hat - wie beim Dreh zu diesem teils verstörenden Kurzfilm. Die Musik verhält
sich dazu sowohl mystisch verhangen und poetisch verhalten wie auch rebellisch
auflehnend.
Die Ballade „Love In A
Snug“ verharrt nicht in Sentimentalität, sondern präsentiert einen leidenden
Sänger zwischen Tragik und Hoffnung. Diese nahegehende Berg- und Tal-Fahrt wird
durch flexible, inspirierte Begleitmusiker in Szene gesetzt. Sie verzieren das
Stück mit kunstvollen Tönen, die sowohl traditionelle folkloristische Muster
bedienen, wie auch jazz-rockige Klänge zulassen. Für das bitter-süße
Piano-Stück „Tin Pan Alley“ bietet Keenan danach die ganze Palette seines
ausdrucksstarken Gesanges auf, was dem Stück ehrfurchtsvolle Dramatik verleiht.
Die
verschlungen-introvertierte Art eines Westcoast-Hippie-Songs leitet „Good Old
Days“ ein, bevor der Track durch den sich allmählich steigernden Mystic-Folk-Überbau
nahrhaft angereichert wird. Das mündet in eine Session, die so klingt, als
würden die Dexys Midnight Runners und die Waterboys gemeinsam musizieren. Binnen
einer Minute entwickelt sich dann „The Healing“ von einem introvertierten Stück
über einen Fake-Walzer zu einem rockigen HipHop-Reggae-Verschnitt. Diese unüblichen
Abläufe und Zutaten kommen wechselseitig zum Einsatz, ohne dass dadurch ein
zusammengestückelter Eindruck entsteht. Im Gegenteil: Der Track steigert sich
zum Schluss noch zu einem entfesselten gemeinschaftlichen Höhepunkt.
Sechs Minuten lang hadert
David bei „Origin Of The World“ mit seinen Gefühlen. Das Lied läuft erwartungsvoll,
aber gleichförmig ab. Die letzte Minute füllt das Team dann mit gehetzt-unruhigen
Klängen auf, die die innere Zerrissenheit des Protagonisten dokumentieren. „Eastern
Nights“ ist wieder eine Solo-Nummer mit einer einsamen elektrischen Gitarre als
einzigen Verbündeten. Der Track bemüht sich sperrig und unbeholfen darum, eine
eindrucksvolle Melodie zu erzeugen, ergeht sich aber letztlich in einem
gedankenverlorenen Seelengesang.
„Evidence Of Living“ lebt lange
von der innigen Zwiesprache zwischen Piano und Stimme. Beinahe unmerklich
werden schwebende Orgelklänge dazu gesteuert, bevor irrlichternde Streicher,
ein schwelgender Chor, ein mächtiges Schlagzeug sowie eine nun präsentere Orgel
das anrührende Stück zu Ende bringen. Das epische, achtminütige „Subliminal
Dublinia“ arbeitet sich im Anschluss von einem energischen, wortreichen
Folk-Song zu einer hypnotischen Beschwörung voran, die durch einen monotonen
Chor zwischenzeitlich noch intensiviert wird.
Der 26jährige poetische
Singer-Songwriter kann in der Plattensammlung zwischen Nick Cave und Benjamin
Clementine angesiedelt werden, da sein kompromissloser Ausdruck und seine
individuelle Klasse zu den Charakteren beider Musiker passt. Seine Songs mögen
nicht beim ersten Hören zünden, aber die Energie und Inbrunst des Vortrags
sorgen dafür, dass sie mindestens eine zweite Chance verdient haben. Spätestens
dann leuchtet die einsame Klasse des kreativen Komponisten und Interpreten, der
seine Texte als anspruchsvolle Lyrik formuliert, hell auf. „A Beginner`s Guide
To Bravery“ ist nämlich die eindrucksvolle Schöpfung eines ganz großen hingebungsvollen
Individualisten.
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