Benedikt - Balcony Dream

 
Benedikt ist eine neunköpfige Gruppe aus Norwegen, die auf Initiative des Musikers Hans Olav Settem in Oslo zusammen gefunden hat.
"Balcony Dream" ist nach "Communal Work" aus 2019 das zweite Studio-Album des Künstler-Kollektivs, das aus Mitgliedern der Bands Jouska, SASSY009, Wale & This Lake und Simen Mitlid besteht. Die Platte greift Themen auf, die sich um die Melancholie und die Daseinskämpfe drehen, denen wir im Laufe des Lebens begegnen können. Stilistisch wird das Ensemble unter Folk eingeordnet, obwohl es sich bei keinem Stück zwingend genau in diese Schublade einordnen lässt. Dazu ist die Musik viel zu freizügig, offen und unberechenbar. Die Norweger wildern zwanglos überall dort, wo sich interessante Sounds finden lassen.

Feingliedrig, mit einer jauchzenden Steel-Gitarre, die einem auffrischenden Windhauch gleicht und mit einer introvertierten Lead-Stimme im zärtlichen Flüsterton verbreitet die kleine Big-Band für den Eröffnungs-Track "Purple And Green" eine Stimmung, die sich wie eine wohlig-warme, flauschige Decke um die Gehörgänge legt. Dabei bleibt aber immer noch genügend Platz für neue Impulse frei. Die Gruppe lockt zunächst mit verzückten Erscheinungen, verschleiert so die Realität und führt die Hörerschaft erst allmählich geschickt aus dem Schatten ins Licht: Weibliche Stimmen geben dem Stück eine verheißungsvolle, leidenschaftliche Unterstützung und tatsächlich taut der Song allmählich auf und wird lebhafter, als würde die Frühlingssonne grade den Schnee verdrängen.
"In The Mirror" greift die eben erlangte Lebendigkeit auf und bringt die auf traditioneller Folklore basierenden Klänge zum pulsieren, so dass der Eindruck entsteht, die Töne würden zeitweise im Galopp über die Prärie eilen. Gesang und Instrumentierung stimulieren sich dafür immer wieder gegenseitig.

Für "Silver And Gold" breitet die Formation einen Klangteppich aus, der aus vielen verschiedenen Schichten besteht, die sich jedoch nur dezent voneinander abheben. Einer für alle und alle für einen scheint das Prinzip bei der Herstellung dieser filigran über- und ineinander fließenden, behutsam-dezenten Schwingungen gewesen zu sein.

Von "Old Friends" gibt es ein zentrales Stück und ein instrumentales Nachspiel ("Postlude"). Mit Vogelgezwitscher und ländlich-entspannter Akustik-Gitarren-Begleitung geht es los. Kaum merklich schalten sich ein Banjo, ein gestrichener Bass, ein hoch gestimmtes Saiteninstrument und Percussion-Beigaben dazu. Das tun sie, um dem manchmal im Hintergrund schwer rumpelnden Rhythm & Blues Pop-Farbe und Konturen zu verleihen. Es folgt "Postlude", das auch ein Vorspiel sein könnte: Kammermusikalisch ausgerichtete Streicher bilden die mysteriöse Basis, über der defekt erscheinende Synthesizer und sphärische Stimmen für Verwirrung sorgen.

"Strawberries" hinterlässt aufgrund der feingliedrigen, dynamisch unterschiedlichen Abstufung der Begleitung und wegen des schwebend-leichten Lead-Gesanges sowie der zart-unschuldigen Background-Sängerin einen fiebrigen Eindruck. Das ist betörende Schönheit, die verzaubert.

Das betrübliche "Head On A Spike" findet seine Stärke in der Besinnung und in der Konzentration auf das Wesentliche. "Head On A Spike" ist eine persönliche Hymne über das Aufwachsen in einer Kleinstadt. Mit einer sanften Nostalgie blickt es zurück auf den Verlust der Unschuld und das Gewinnen neuer Perspektiven...[...]", gibt Hans Olav Settem zu Protokoll. Der Track verfügt bei aller ausgedrückten Traurigkeit über eine unterschwellig belebende Rhythmik, die nur darauf wartet, einen Weckruf zu erhalten, um das Stück freudig taumeln zu lassen.
Angedeutetes Flamenco-Feuer und ein latent vorhandenes, unheimliches Horror-Film Szenario bilden den atmosphärisch dichten Rahmen des instrumentalen Zwischenspiels "Balcony Dream".

Der Klang der Einsamkeit macht sich bei "Pope Francis" breit. Eine besinnlich gezupfte akustische Gitarre, leises Hintergrund-Sirren und ein grummelnder, gestrichener Bass bringen die Luft zum Weinen. Und dann erklingt noch diese Stimme, die hier mal wieder so sentimental ertönt, als wäre Elliott Smith seinem viel zu früh aufgesuchten Grab entflohen, um seinem Lebenswerk noch ein paar intime Singer-Songwriter-Klassiker hinzuzufügen. Kurz vor Schluss beginnt es dann plötzlich noch zu Trommeln und zu Pfeifen und so befreit sich das Lied selbst aus der schönen Lethargie.

Der "Waltz #1" ist nicht in den Ballhäusern dieser Welt zuhause, um vornehm und ungemütlich gekleideten Menschen beim Wiegeschritt-Tanz zu unterstützen. Er dient vielmehr dazu, sich in Beziehungssachen inneren Einklang bei minimaler Instrumentierung zu verschaffen, um dann mit Hilfe von starken Pauken und himmlischen Chören kurz durchzuatmen. Aber die Sorgen sind stärker und übernehmen wieder die Kontrolle.

Für den düsteren Dream-Pop "My Killer" gibt es gesangliche Verstärkung durch die helle Stimme von Tuva Hellum Marschhäuser alias Tuvaband. Sie setzt sich als Dreh- und Angelpunkt des Stückes in Szene und bestimmt mit teils schillerndem Ausdruck und teils strenger Erzählkunst das Geschehen. Deshalb pendelt der Song zwischen Dramatik und Verzückung hin und her. Es geht hier nämlich um heftige und abrupt endende Beziehungen, genauso wie um die Angst vor dem Tod und dem Alleinsein. Das erklärt die Berg- und Talfahrt der Gefühle.

Schwer- und wehmütige Musik kann die Seele wärmen, wenn sie bis dahin durchdringt. Benedikt suchen den Schlüssel zu Herz und Hirn und drücken ihre Gefühle in einer Klanglandschaft aus, die versunken, verspielt, verschlungen, vorwiegend introvertiert und auch textlich undurchsichtig und verschlüsselt daher kommt. Somit entziehen sie sich einer schnellen und kurzlebigen Wirkung und setzen lieber auf nachhaltige Resultate. Das ist Musik für Menschen, die nicht die grellen, sondern die pastellfarbenen Töne suchen, weil sie den anhaltenden Genuss gegenüber dem kurzen Kicks vorziehen.

Oder wie es die Band ausdrückt: ""Balcony Dream" ist ein Album der Erinnerungen. Es ist eine nüchterne Hommage an all die Dinge, mit denen wir uns als Menschen beschäftigen - Nostalgie, vergangene Liebe, dysfunktionale Beziehungen und andere Zweideutigkeiten des Lebens [...]". Und um das schätzen zu können, hilft eine introvertierte, sensible Einstellung zur Musik. Benedikt 
lassen mit ihren poetischen Ton-Deutungen jedenfalls die Knospen der Empfindsamkeit erblühen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf