Jerry Leger - Donlands

Americana und darüber hinaus: Jerry Leger erweitert die Grenzen des melancholisch angehauchten Roots-Pop auf zarte Weise.
Manchmal sind die Namen von Musik-Produktionen reine Fantasie-Gebilde oder das Ergebnis von Assoziations-Ketten, aber gelegentlich haben sie einen konkreten Bezug. So wie es bei "Donlands" ist, dem aktuellen Werk des mit bisher 16 Alben ausgestatteten kanadischen Singer-Songwriters Jerry Leger. "Donlands" ist nämlich der Name der Straße in Toronto, wo die neue Platte im ehemaligen Donlands Theatre aufgenommen wurde. 

Betreut wurde der Entstehungsprozess vom Produzenten Mark Howard, der unter anderem als Toningenieur für "Time Out Of Mind" von Bob Dylan oder für "Real Gone" von Tom Waits arbeitete. Ein Werk, welches mächtigen Eindruck bei Jerry Leger hinterlassen hat.

"Donlands" wurde unter Live-Bedingungen mit Dan Mock (Bass, Synthesizer, Gitarre, Gesang), Kyle Sullivan (Schlagzeug), Alan Zemaitis (Keyboards, Gitarre, Gesang) und Aaron Goldstein (Gitarre, Pedal Steel, Gesang) eingespielt, die aktuell als The Situation Jerrys Begleitband sind.
Credit: Laura Proctor

Eine akustische Gitarre erzeugt für "Sort Me Out" zu Beginn lässig angeschlagene Akkorde, zu denen das E-Piano unterstützend perlend glitzernde Töne beisteuert. Das Tempo ist schleppend und deutet emotional auf Einsamkeit und Trauer hin. Diese Gefühle werden auch vom einsetzenden Gesang vermittelt, der einfühlsam-betrübt, aber nicht verzweifelt klingt. Die Stimmung ist ruhig und bedächtig, da ändert auch das gemütliche, ins Zentrum des Klangbilds gesetzte Schlagzeug nichts dran. "Du kannst nicht gewinnen, wenn du nicht weißt, wofür du kämpfst" steht als Motto im Mittelpunkt der Lyrik und vermittelt trotz des nachdenklichen Hintergrunds einen entschlossenen Durchhaltewillen.

Der wird auch für "I Was Right To Doubt Her" benötigt, denn es geht um ein Trennungs-Szenario: "Ich war gefangen in dem, was ich wollte. Und was sie wollte, lag in der Vergangenheit: Zurück in seine Arme". Aber aufgeben gilt nicht, das Befinden ist vorsichtig optimistisch und die Klang-Ebene verspricht Besserung, wobei Country auf Soul trifft. Ein harmonisch swingender Southern-Soul-Rhythmus mit warmen Hammond-Orgel-Schüben und elegant groovendem Takt bestimmt den zwanglos dahinfließenden Sound.

"I’ll Stay" führt diesen attraktiven Stil-Mix fort, schaltet aber mindestens einen Gang zurück. Die Instrumentierung beinhaltet merkwürdige Percussion-Geräusche und vollführt eine Hinwendung zur seidig-geschmeidigen Klangwelt von Gram Parsons, bei der sich lieblicher Country und spirituell geprägter Soul hingebungsvoll vereinigten. Im Grunde ist der Track eine Liebeserklärung, die die Hoffnung auf ein gegenseitiges Bekenntnis zur Zweisamkeit in sich trägt. Das ist klassischer Lovestory-Stoff mit romantisch-melodischer Ausprägung. Leider wird der Song mitten in einem schunkelnd-sehnsuchtsvollen Orgel-Solo ausgeblendet, sodass ein eventuell leidenschaftlich aufflammender Verlauf verborgen bleibt. 
"Three Hours Ahead Of Midnight" ist der dritte Teil der innigen, vor Inbrunst glühenden "Country Got Soul"-Show, die allerdings kein Happy End bereithält: "Breche nicht zusammen mit mir. Solange wir noch Freude haben. Bevor sie mich aus deiner Reichweite nehmen".

Über "The Flower And The Dirt" liegt akustisch und textlich der Schmerz einer Trennung, wobei wahrscheinlich 
mindestens ein dunkles Geheimnis unausgesprochen bleibt und bei der Analyse trotzdem offenkundige, Erkenntnisse zugänglich gemacht werden: "Es ist ein Krieg der Meinungen. Bis wir es schließlich aufgeben". Die Dramatik bewegt sich wellenartig und dynamisch auf und ab. Sie reicht empfindsam von sanft bis erhaben.

Mit einer gehörigen Portion sentimentaler Ergriffenheit wurde "Wounded Wing" ausgestattet. Dadurch wirkt der Track würdevoll und betroffen. Das Piano lässt John Lennons "Imagine" am Horizont erscheinen, die Steel-Gitarre schreit leidend auf und der Bass pumpt manchmal so stark wie ein Herz bei Höchstleistung.

Kratzig-raue, von sattem Funk durchdrungene Orgel- und E-Gitarren-Akkorde leiten "You Carry Me" ein. Das Stück bekommt durch seine trocken-stumpfe Schlagzeug-Begleitung und die groben Gesangseinlagen die Grund-Elemente des aufrührerischen Rock & Roll-Erbes eingeimpft. Der Zweifel 
brennt sich in die Noten ein und nagt an der Seele: "Ich will nicht, dass du auf mich wartest. Aber ich will auch nicht, dass du gehst". Leider führt auch hier ein zu frühes Ausblenden zu einer gewissen Unzufriedenheit, da noch eine orgiastische Steigerung drin gewesen wäre.

"I Need Love" ist ein herzzerreißend intimes Lied, bei dem die Steel-Gitarre für bittere Süße sorgt und Jerry seine verführerischen Country-Crooner-Qualitäten auslebt.

"Out There Like The Rain" imitiert Synthesizer-Pop und garniert diese Fantasie mit wehmütigen Country-Rock-Splittern, sodass eine surreale Atmosphäre entsteht, die weder die Vergangenheit noch die Gegenwart oder die Zukunft realistisch einbezieht und abbildet, sondern zwischen den Zeiten vermittelt und dort hängenbleibt. Auch erwähnenswert: Jerrys Gesang stemmt sich großartig und vehement gegen eine Einordnung zu maskulin oder feminin. Eine schöne, eigenartige Gemüts-Fusion!

Klassischen, sensiblen Country-Folk mit Weite im Erscheinungsbild und Sehnsucht im Gesang bietet "Slow Night In Nowhere Town" und kann aufgrund seiner feinsinnigen Ernsthaftigkeit voll überzeugen.

"Donlands" ist mit wenigen Ausnahmen ein reines Balladen-Album geworden. Das birgt hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit ein gewisses Risiko. Nicht aber für Jerry Leger, der durch seine melodische Vielfalt und kompositorische Raffinesse den Spannungsbogen hochhält. Das Engagement von Mark Howard hat sich auch gelohnt: Der Sound ist transparent, klar und wohltuend ästhetisch. Die Instrumente hat er überdies filigran aufeinander und mit dem Gesang abgestimmt. Eine Wonne! 

Emotionen, die mit Liebesglück und Liebesleid verbunden sind, prägen die Poesie. Das ist nicht unbedingt originell, aber zeitlos wichtig. "Donlands" verstärkt durch die Beschränkung auf diese Themen den Eindruck eines stimmigen Konzeptalbums und so ist die Platte musikalisch und inhaltlich eine runde Sache geworden!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf