Cape Sleep - Video Days

Pop-Musik, die leicht und kultiviert erscheint. Ein schwieriges Unterfangen, von Cape Sleep souverän umgesetzt.

Manche musikalischen Veröffentlichungen sind wie Visitenkarten. Sie sind kompakt, verzichten auf ausschweifende Darstellungen, halten sich an das Wesentliche und machen neugierig darauf, demnächst mehr von den Vortragenden zu erfahren. So verhält es sich auch mit "Video Days" des niederländischen Musikers Kim Janssen, der sich nach drei Platten unter eigenem Namen nun als Cape Sleep vorstellt. Mit neunundzwanzigeinhalb Minuten Laufzeit ist das Werk relativ kurz geraten, hinterlässt aber dennoch einen deutlichen, aussagekräftigen Eindruck der ästhetischen Ideen des Künstlers.

Janssen erweist sich als umtriebiger, freigeistiger Gestalter und diese Toleranz spiegelt sich auch in den Klängen seiner Pop-Musik wider. Sie schöpft aus mehreren Epochen, hätte also auch so ähnlich in den 60er- oder 70er-Jahren entstanden sein können. Die harmonische Stärke des damaligen Adult-Pop von beispielsweise The Association oder The Young Rascals lebt bei "Video Days" unter Berücksichtigung von impulsiv-kräftigen Rhythmusschüben beschwingt weiter. Was die Lieder aber zeitlos macht, ist ihr Qualitätsanspruch an eine einschmeichelnde, aber dennoch kluge Melodieführung, einen draufgängerischen, einnehmenden Refrain und interessant-volltönende Arrangements. Einfallslose, ausgelutschte Ideen haben da keine Chance, clevere Unterhaltungs-Tricks schon.
 
Credit: Isolde Woudstra

Bei den aktuellen Aufnahmen handelt es sich um wohlklingend-raffinierte Ton-Konstruktionen, wie sie über die Jahrzehnte hinweg in ähnlicher Form und in unterschiedlichen Genres immer wieder gerne aufgegriffen werden. So wie in den 1980er-Jahren durch Stephen Bishop oder in den 1990er-Jahren von Mac McAnally. Die Einflüsse, Referenzen und Retrospektiven in der Pop-Musik bewegen sich eben in Wellenbewegungen, wie es im Buch "Pop steht Kopf" anhand von zehn "Belegen" exemplarisch dargelegt wird.

Leichtfüßig, nicht leichtgewichtig, unter Hinzunahme eines weichen, runden Gesang-Stils, tänzeln die Songs durch die Jahreszeiten. Sie flirten mit der warmen Witterung, retten ihre milde Ausstrahlung aber bestimmt noch in den Herbst und Winter hinüber. So wie es ähnlich auch Jimmy Buffett vermochte. In dessen Liedern - auch den traurigen - schwingt immer die Sonne Floridas mit und die Tage werden dadurch zu lässigen "Floridays". Textlich vermischen sich erlebte, erträumte und fantasierte Ereignisse und Gedanken, sodass die Analyse der Poesie zur Herausforderung gerät. Ein weiteres Indiz dafür, dass diese Pop-Musik trotz der glatten Oberfläche interessant ist.

Als verkleideter Marsch-Rhythmus schleicht sich "Telephone" langsam, aber wirkungsvoll in Gefilde vor, die in Harmonie gebadet und einen stillen Optimismus gepachtet haben. Aufeinander geschichtete Takte verwirren rauschhaft die Sinne und der seriös-geschmeidige Gesang bildet die elastische Gleitcreme, auf der der Song in Richtung Glückseligkeit rutscht. Kim Janssen singt nämlich sowohl mit besänftigender, natürlicher als auch mit froh gestimmter, leicht verfremdeter Stimme. Stellenweise ist er sogar mit sich selbst im Duett zu hören. Das verschafft der Komposition einen flockig-aufgelockerten Aspekt, der wie Mousse au Chocolat für die Ohren wirkt. Korrespondierend dazu ertönen Sequenzen aus dem reichhaltigen Keyboard-Arsenal, die wahlweise mystisch-wallend oder übermütig-hüpfend daherkommen. Kein Widerspruch: Schließlich liegen im richtigen Leben Spaß und Ernst ja auch oft eng beieinander.

Die Dichte der Instrumentierung ist bei den "Video Days"-Tracks oft verblüffend hoch, sie wirkt wegen einiger geschickt gesetzter Tempo- und Dynamik-Abstufungen allerdings nicht übertrieben aufgebläht. Das gilt auch für "Vienna In The Rain", wo die anfänglich markant heraus gespielte Dramatik ausschließlich dazu dient, die Aufmerksamkeit zu schärfen. Eine angespannte Stimmungslage führt oft in dunkle Abgründe, hier trägt sie zum Aufbau eines würdevoll verzierten Gefühlsausbruchs bei.

Für die Power-Pop-Ballade "Boy Scout" baut das Schlagzeug einen Groove auf, der Break-Beat-Motive andeutet, jedoch hauptsächlich ein stetiger Antreiber, seriöser Unruhestifter und verbindender Partner ist. Dieser psychedelisch schwirrenden Konstruktion werden durch elektronisch erzeugte Töne und durch ein verwehtes Steel-Gitarren-Jauchzen leidenschaftliche Sinneseindrücke eingehaucht. Sie stehen im Kontrast zum abgeklärten, ungekünstelten Gesang, was in Summe zu einem erregt-geheimnisvollen Erlebnis führt.

Das Zusammenspiel von monotonen Drums und lieblichen Keyboard-Akkorden führt bei "The Movers" zu einem prickelnd-aufreizenden Kontrast. Ähnliches gilt für die Kombination von brummend-grollendem Bass und schmerzhaft-leidendem Falsett-Gesang. Das Stück mag es, wenn es sich romantisch-verklärt anhört und verarbeitet dafür Trompeten-Fanfaren, die an Choräle von Johann Sebastian Bach und an reife Beatles-Arrangements erinnern.

"I Want To Be Your Friend" erweist sich als ein ideales Transportmittel für Glücksgefühle und ist dem Song-Titel entsprechend hoffnungsvoll gestimmt. Das zuversichtlich gestimmte Lied klingt somit vortrefflich nach einem passenden Soundtrack für einen Frühling im Freien.

Die Stärke von "Your House" liegt in einem unwiderstehlich attraktiven Refrain, der sich fest im Hirn einnistet und unerwartet ins Bewusstsein gespült wird, auch wenn das Lied schon lange verklungen ist. Der prominent zur Schau gestellte, sommerlich-sonnige und sanft-entspannte Charme zeigt dabei herzerwärmend freundliche Züge.

"Cape Canaveral" wurde als hymnisch-ausschweifender Track mit hypnotischen Takten, sprudelndem Schlagzeug, drängelnden Synthesizer-Ausdünstungen und mahnendem Gesang konzipiert. Es erfordert wegen der zwischenzeitlich wie Zwiebelschalen aufgeschichteten Soundwände eine hohe Konzentrations-Bereitschaft, um alle verwendeten Zutaten erfassen und separieren zu können.

Als rauschendes Finale erweist sich das filmreif inszenierte "The Afternoons", das andächtig beginnt, dann aber glitzerndes Klang-Lametta in Form von hochgestimmten Geigen-Tönen und feierlichen Trompeten bereithält.

Die "Video Days" beziehen sich auf Lebens-Phasen, in denen wir zurückblicken, Erkenntnisse bekommen oder Visionen ablaufen lassen. Kim Janssen zeigt bei seiner akustischen Untermalung Vorlieben für große Gesten, einen Hang zu emotionalen Überschwangs-Handlungen und ein Talent für die Gestaltung von üppigen Arrangements. Diese Zutaten bereitet er zusammen mit einigen Gästen unter Heranziehung von Inspirationen aus dem bunten Pop-Universum akustisch liebevoll-volltönend auf. Das Ensemble taucht dabei in eine Gefühlswelt ein, bei der erfüllte und unerfüllte Erwartungen eine große Rolle spielen. Dadurch entsteht ein schmachtend-ergriffenes Kopf-Kino-Erlebnis. "Video Days" ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass Easy-Listening kein Schimpfwort sein muss, sondern für kluge Schönheit stehen kann.

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