Grandaddy - Blu Wav

Andacht im Rahmen von bittersüßen Country-Folk-Serenaden: Das Projekt Grandaddy streichelt mit "Blu Wav" behutsam die Seele.

Grandaddy ist im Kern Jason Lytle aus Kalifornien und Jason Lytle ist ein sympathischer Sonderling, ein Heimstudio-Tüftler, ein abenteuerlustiger, neugieriger Komponist, Arrangeur und Musiker. Ein Singer-Songwriter-Grenzgänger und ein Individualist, der unabhängig von Trends und Moden sein Ding durchzieht. Abgesehen von seinem Projekt Grandaddy ist Lytle auch Solo tätig und beteiligt sich an anderen Formationen wie Admiral Radley oder BNQT. 
 
Grandaddy besteht seit 1992 und nach einigen EPs erschien im Jahr 1997 der erste offizielle Longplayer "Under The Western Freeway". Das allwissende All Music-Portal beschrieb es damals als "ein ziemlich brillantes Album, das ein warmes, ernstes und rustikales Gefühl mit manchmal albernen Experimenten kombiniert". Auf dem neuen Werk, das erste seit "Last Chance" aus 2017, finden sich weder stürmische Rock-Ausbrüche noch anstrengende Experimente. Hektisches Getöse wurde weitestgehend durch friedvolle Intimität abgelöst.

Credit: Dustin Aksland

Jason Lytle lebt auf "Blu Wav" drei Vorlieben genüsslich aus: den Einsatz einer Pedal-Steel-Gitarre zur Steigerung von sehnsüchtig-traurigen Eindrücken, romantisch-tiefgründige Morricone-Western-Bass-Linien, die von weiten, stillen Landschaften künden und einen schunkelnd-wiegenden Rhythmus zur Herstellung von harmonisch-freundschaftlichen Gefühlen. Dazu erschallt die ausgeruht-weise Stimme von Lytle, die den Songs einen lieblich-tröstenden Schmelz verleiht, der unter die Haut geht. Und dann ist da natürlich wieder diese kurios-kreative Titel-Schreibweise, die es auch schon bei "The Sophtware Slump" (2000) und "Sumday" (2003) gab. "Blu Wav" steht als Synonym für eine Verschmelzung von Musikstilen wie Bluegrass mit New Wave, wobei New Wave Bestandteile nur dezent-sparsam zugeführt wurden - schon fast in homöopathischen Dosen.

Die Ouvertüre "Blu Wav" verfügt über folkloristische Einflüsse, die von Texas bis nach Griechenland reichen und die heilsame Kraft der Gelassenheit als Triebfeder nutzen.

"Cabin In My Mind"
und "You're Going To Be Fine And I'm Going To Hell" sind wesentlich opulenter aufgebaut, wobei synthetische, wattige Hintergrund-Schleier, schmachtende Chorstimmen und eine jauchzende Pedal-Steel-Gitarre aus Tönen bittere Tränen entstehen lassen. Lytle begleitet diese Mini-Dramen gesanglich mit einem konstruktiven Weltschmerz, der sowohl mitfühlend als auch ermutigend ausgedrückt wird.

Elektronische Spielereien gehören einfach zum Repertoire von Grandaddy dazu. Sie vertragen sich in Form von wenigen Spezial-Effekten und monotonen Drums ohne Berührungsängste mit der Wehmütigkeit des Country-Folk-Stücks "Long As I'm Not The One". Auch ein Großstadt-Cowboy kann schließlich zartbesaitet sein.

Die Songs sind allesamt als feinsinnig - also empfindsam abgestimmt - zu bezeichnen. So kann es auch gelingen, dass ein sentimentales Lied wie "Watercooler" zu keiner Zeit als belanglos-rührselige Schnulze wahrgenommen wird, sondern seine anteilnehmend-sanfte Wirkung nicht verfehlt.

Space-Sounds und sphärische Gesänge führen beim kurzen Intermezzo
"Let's Put This Pinto On The Moon" die Gedanken dahin, wo es noch viele Rätsel zu lösen gibt, hinauf ins bisher unergründliche Weltall. Und plötzlich werden diese Gedanken als Verpflichtung zurückgespielt, trotz bescheidener Möglichkeiten jedes Einzelnen, erst einmal für eine bessere Welt zu sorgen.

Beinahe schwerelos geistert "On A Train Or Bus" wie ein Wiegenlied durch den Äther. Zwischendrin kommt es bei dem Gebilde zu einer Reduzierung, wo kurz nur noch der Gesang in die Welt geschickt wird, was zu einem schreckhaft-verlorenen Moment führt, der durch die wieder einsetzenden Instrumente geheilt wird. Das zeigt, dass es im Leben immer gut ist, wenn es Mitstreiter gibt, die einen auffangen, wenn man völlig wehrlos dasteht. 

Mit einem unkontrolliert wilden Ausbruch beginnt "Jukebox App", der Song wird aber kurz darauf in ruhige Fahrwasser geleitet, wo er gemächlich dahingleitet. Dieser Ambient-Country bewegt sich in einer melodisch meditativen Dimension, die passgenau für dieses Trennungs-Szenario hergerichtet wurde.

Aufnahmen von wilden Kojoten und piependen Satelliten (oder sind es Kontakt suchende Außerirdische?) begleiten das von Piano-Akkorden und rauschenden Synthesizer-Tönen getragene Zwischenspiel "Yeehaw Ai In The Year 2025".

Bei "Ducky, Boris And Dart" handelt es sich um verstorbene Haustiere von Jason Lytle, denen hier mit einer vollmundig-geschmeidig und wechselweise üppig und schlicht begleiteten Country-Folk-Ballade gedacht wird. Ducky und Boris waren Katzen und bei Dart handelte es sich um einen Vogel, der gegen die Windschutzscheibe seines Autos flog.

Geradezu feierlich-getragen verhält sich "East Yosemite", denn der weihevolle Gesang hat die suggestive Wirkung einer Predigt und die musikalische Begleitung zeigt sich dazu in weihevoller, förmlicher Ausstrahlung.

Für "Nothin' To Lose" wird die Stimmung weiter herunter gedimmt und es entsteht eine nachtgraue, intime Schöpfung, die sich an den eigenen Haaren durch einen willensstarken, optimistischen Rhythmus aus der Niedergeschlagenheit befreit.

Mit "Blu Wav Buh Bye", einer besinnlichen, instrumentalen Solo-Piano-Nummer, endet das Werk, das einen homogenen, altersweisen, ausgewogen-tiefsinnigen Eindruck hinterlässt. Man kann es auch einfach nur als schön bezeichnen.

Dadurch, dass alleine sieben der 13 Songs und Intermezzi eine Walzer-Injektion erhalten haben, wirkt sich der Einsatz dieses Stilmittels auf das ohnehin schon melancholisch schwelgende Werk beruhigend-gemütlich aus. Es gibt kaum Hektik oder Aggression auf dem Album. Eher ein Bekenntnis zur Beschaulichkeit, Demut und Liebe, bei dem ein sensibel nachempfundenes Americana-Erbe die Gestaltung der Songs prägt. Und das auf eine Art und Weise, die nicht esoterisch einlullt, sondern zu Herzen geht und die Hörerschaft akustisch in den Arm nimmt. "Peaceful Easy Feeling" haben die Eagles mal einen Song genannt. Dieser Ausdruck und dieses Gefühl passt auch für "Blu Wav", einer Oase der Friedfertigkeit - wie gemacht für diese verrückte Zeit!

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