Musik-Rezensionen und Musiker-Portraits aus den Gebieten: Individuelle Singer-Songwriter, Soul, Jazz, Blues, Folk, Rock, Country, Art-Rock und Pop.
Horsegirl - Phonetics On And On (2025)
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Die drei Horsegirl-Damen präsentieren bissigen Pop mit attraktiven Widerhaken.
Für Bands ist es manchmal eine Herausforderung, ihre Live-Energie auch bei Studio-Aufnahmen abzurufen und umzusetzen. Horsegirl ist ein Damen-Trio aus Chicago, das aktuell in New York lebt. Die Musikerinnen kehrten im Januar 2024 in ihre Heimat zurück, um unter Anleitung der Musikerin und Produzentin Cate Le Bon das zweite Album aufzunehmen. Die bittere Kälte, die bei den Sessions herrschte, zwang die Horsegirls dann zu einer erhöhten Konzentration und förderte zudem die innige Teamleistung.
Credit: Ruby Faye
Von links nach rechts: Nora Cheng, Gigi Reece, Penelope Lowenstein.
In dieser angespannten, aber auch liebevoll betreuten Situation entstanden elf Songs, die aufgrund ihrer Dichte und Energie tatsächlich die Spontanität eines Konzertes erahnen lassen. Wenn unbekümmertes Drauflosspielen auf leidenschaftlich-lustvolle, hypnotische Rhythmik trifft, dann fliegen Funken, die Endorphine freisetzen. Wenn dann noch beim Komponieren ein Hang zu simpel-griffigen Melodien sowie einprägsamen Refrains vorliegt, dann entstehen Songs, deren unpolierter, authentischer Do-It-Yourself-Charme pure Freude auslösen kann.
Die Ideenfindung von Penelope Lowenstein (Gesang, Gitarre), Nora Cheng (Gesang, Gitarre, Bass) und Gigi Reece (Schlagzeug) ist unter anderem am rumpelig-kantigen Punk der Raincoats, am intelligenten Post-Punk von Pavement, am edlen, minimalen New Wave der Young Marble Giants und am experimentellen Underground-Rock von Sonic Youth geschult worden. Das Trio bleibt aber nicht beim achtlosen Kopieren stehen, sondern überführt die gewonnenen Eindrücke in eine individuelle Sichtweise. Eindeutig dominiert dabei ein Sound, der spontan entworfen zu sein scheint und in der Gunst der Musikerinnen auf jeden Fall vor einer kalkulierten Präzision steht.
Mit diesem Einblick in die zu erwartende Musik kann man dem Album nun unverkrampft begegnen und die gewollte Unvollkommenheit als Teil des Konzeptes akzeptieren und unter Umständen sogar lieben lernen. "Where'd You Go?" ist gleich zu Beginn ein prächtiges Beispiel für die freche und lockere Umsetzung von Inspirationen aus der Pop-Geschichte. Horsegirl gehen dabei furchtlos, ohne Berührungsängste vor und setzen ihre Anregungen originell aus diversen Eingebungen zusammen. Bei diesem Stück hat der suggestiv-primitive Rhythmus seinen Ursprung beim vom Funk beeinflussten Rock ’n’ Roll von Bo Diddley. Die verwendeten E-Gitarren-Sounds lassen hingegen an zwei Phasen von The Byrds denken: den flirrenden, optimistisch gestimmten Folk-Rock ("I`ll Feel A Whole Lot Better") und den psychedelischen Garagen-Rock, mit dem sie "Eight Miles High" über dem Boden schwebten.
Ohne einen The Velvet Underground-Vergleich kommt keine Band aus, die reduzierte Rhythmen, stoisch klirrende E-Gitarren und trockene Folk-Harmonien verwendet. Das sind jedenfalls genau die Zutaten, die "Rock City" zu einem Song werden lassen, bei dem Unschuld und Leidenschaft heftig miteinander konkurrieren und um die Gunst der Hörenden ringen.
Eine besonders charmante Form von Coolness entwickelten die Young Marble Giants im Jahr 1980 auf ihrem einzigen Album "Colossal Youth". Von dieser Errungenschaft profitieren Horsegirl unter anderem auf "In Twos": Ein monotones Minimal-Art-Sound-Design trifft hier nämlich auf melodische Leichtigkeit und Aufsässigkeit im Gesang.
Bei "2468" spielt zunächst eine Geige, die leicht angeschrägt schunkelnd zum Tanz aufspielt, eine Hauptrolle. Sie wird jedoch bald von einer mehrstimmigen Gesangseinlage unterbrochen, die herumalbernd einen Kanon-artigen Stimmen-Sog-Effekt erzeugt. In einem Wall-Of-Sound-ähnlichen Klangwirbel schaukelt sich der Song danach hoch und bekommt mächtige Dauer-Akkorde verordnet, die ihn bis zum Ende begleiten.
Die Grundidee von "Well I Know You're Shy" ist eine alternative Übermittlung von fröhlichem Bubblegum-Pop. Horsegirl übersetzen dieses Anliegen in einen von beherztem Rhythmus angetriebenen Garagen-Rocker, der mit feurigen E-Gitarren-Tönen bei Laune gehalten wird.
"Julie" lässt das Bass-Herz bis zum Hals schlagen. Die E-Gitarren erzeugen Sternschnuppen-Töne, die nur kurz aufleuchten und schlagen unerwartete Haken. Penelope Lowenstein füllt diese funkensprühend-liebevolle Ballade mit ihrem weisen, beruhigend-erzählerischen gesanglichen Talent aus, mit dem unter anderen auch Bill Callahan gesegnet ist.
Mit "Switch Over" folgt ein energiegeladener Power-Pop, der von seiner instrumentalen Vitalität lebt. Textlich ist der Song dagegen eher einer limitierten Sprache unterworfen worden: Aus den Worten "umschalten", "ausschalten", "sagen" und "Was du sagen wolltest" besteht der ganze Text.
Für "Information Content" finden die Ästhetik von sich permanent wiederholenden Abläufen, einem scheppernden Schlagzeug und widerborstigen Gitarren, die um die Wette kratzen, zusammen.
"Frontrunner" ist ein bis aufs Skelett reduzierter Country & Western-Song, der wie selbstverständlich eine kitschfreie Lagerfeuer-Romantik verbreitet.
Mit "Sport Meets Sound" veröffentlichen Horsegirl einen munter swingenden Folk-Jazz mit Tiefgang, bei dem sich eine kunstvolle atmosphärische Dichte und punkige Ausbruchsversuche begegnen.
"I Can't Stand To See You" kommt hinsichtlich des schwungvollen Ablaufs und einer kontrollierten Süße in der Melodie von allen Songs auf "Phonetics On And On" einem klassischen Pop-Song am nächsten und bietet sich deshalb als Single-Auskopplung an.
Somit zeigt "Phonetics On And On" eine relativ große stilistische Bandbreite. Gleichwohl bleiben Horsegirl sich und ihrem ungeschliffenen Sound trotz des transparenten, klaren Klangbilds stets treu.
Die Frauen gründeten ihr Trio im Jahr 2019 in Chicago, Illinois. 2020 veröffentlichten sie ihre erste EP ("Horsegirl: Ballroom Dance Scene et cetera"), auf die das Label "Matador" aufmerksam wurde. 2022 brachten die Frauen dort ihr erstes Album mit dem Namen "Versions Of Modern Performance" heraus, das sehr gute, teils begeisterte Kritiken erhielt (unter anderem viereinhalb Sterne bei allmusic.com).
Mit "Phonetics On And On" optimieren sie sich - obwohl der Erstling eine hohe Messlatte vorgibt - auf ganzer Linie: Die Songs kommen noch mehr auf den Punkt, Soli unterstreichen dabei die Griffigkeit und Attraktivität der knackig auftrumpfenden Stücke. Der Gesang ist noch verständlicher in den Vordergrund gemischt worden und wirkt anziehend-reizvoll, ist dabei voller Wagemut, der erotische Zwischentöne zulässt. Die Musikerinnen erfinden eine Konzeption, bei der ihre Schöpfungen zeitlos ruppig daherkommen. In jeder (Schräg)-Lage tritt stets auch ein versöhnlicher Kern zutage. So funktioniert bissiger Pop mit attraktiven Widerhaken!
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