A Girl Called Eddy - Been Around (2020)

Die Welt braucht mehr anspruchsvoll-kunstvolle Pop-Musik!
Und Erin Moran alias A Girl Called Eddy liefert sie uns mit "Been Around" in einer verlässlichen, zeitlosen und exquisiten Qualität. In cool-mondäner Art und Weise präsentiert die Sängerin eine längst vergessen geglaubte Sound-Ästhetik, die sehr gediegen Erinnerungen an Burt Bacharach, Chrisssie Hynde (Pretenders), Prefab Sprout, Aimee Mann, Steely Dan, Laura Nyro und Paul Williams aufkommen lässt. Moran ist in erster Linie eine Bewahrerin, nicht unbedingt eine Erneuerin. Sie destilliert aus ihren Einflüssen und Vorbildern die Essenz der Attraktivität dieser musikalischen Vorlagen heraus und verwendet diese Substanz als niveauvolle Mindestanforderung für ihre eigenen Gewächse.

Für die persönliche Karriere wurde der Spitzname A Girl Called Eddy verwendet, um Verwechslungen mit der Schauspielerin Erin Moran zu vermeiden. Gleichzeitig ist es eine Hommage an das Album "A Girl Called Dusty" von Dusty Springfield. "Eddys" Veröffentlichungen machen einmal mehr klar, dass hochklassige Musik nicht unbedingt etwas mit dem Bekanntheitsgrad der Ausführenden und schon gar nichts mit Verkaufszahlen zu tun haben. Erin Moran kennt kaum jemand, aber ihre Platten zeugen von einem vielseitigen Talent, von enormer Kreativität und hoher Flexibilität. Diese Eigenschaften zeigten sich bereits als Mitglied des Trip-Hop-Terzetts Leomoon (aus 1999), in ihrer Adult-Pop-Arbeit mit dem französischen Musiker Mehdi Zannad alias FUGU unter der Bezeichnung The Last Detail (2018) und bei Produktionen unter eigenem Namen ("A Girl Called Eddie", 2004") und "Been Around" von 2020).
 
Erin wuchs in Neptune City, New Jersey, USA, während der 1970er Jahre auf. Für sie fungierte Musik schon früh als ein Rückzugsort vor der Realität. Songs entfalteten eine therapeutische Wirkung, produzierten Glücksmomente und boten später eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung an. Nach dem Tod ihrer Mutter, Ende der 1990er Jahre, widmete sie ihre Zeit dem Gesang und dem Keyboardspiel. Nach der Veröffentlichung ihrer ersten EP ("Tears All Over Town") im Jahr 2001 erhält sie mehrere Plattenvertragsangebote. Der Zufall brachte sie dann mit Richard Hawley von Pulp zusammen, der ihr anbot, in seinem Haus in Sheffield (England) das Debütalbum "A Girl Called Eddy" aufzunehmen.

Das zweite eigene Werk "Been Around" stellt - ohne die anderen Veröffentlichungen herabwürdigen zu wollen - den bisherigen Karrierehöhepunkt der Musikerin dar. Es präsentiert zwölf Tracks ohne Fehl und Tadel, die allesamt das Zeug zum Evergreen haben. Dennoch ist die Publikation bislang ein Geheimtipp unter Liebhabern von anspruchsvoll komponierter und arrangierter Pop-Musik geblieben.

Das Eröffnungslied "Been Around" beginnt mit der Frage: "Girl, where you been? / Mädchen, wo warst Du?", was eine Anspielung auf die sechzehnjährige Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Album ist. Die Erklärung dafür liefert der Song gleich mit: In dem Lied geht es um die Umstände, die zu der Unterbrechung geführt haben. Das waren Todesfälle im persönlichen Umfeld, eine Scheidung, ein Studienabschluss in Politik und gesundheitliche Probleme. Die Erkenntnisse, die die Musikerin aus dieser Zeit gezogen hat, werden auch geschildert: "Ich trage die Last eines Lebens voller Träume mit mir herum und habe nie wirklich das Ende des Weges gesehen. Wenn Verlierer nie aufgeben, dann bin ich bestens gerüstet, um weiterzumachen." Durch die Harmonie der Melodie, die Hintergrundstimmen, welche die Sinne umschmeicheln, den glaubwürdig-empathischen Lead-Gesang, die freundschaftlich stützenden Bläser-Fanfaren und die lebensbejahend-frischen Mundharmonika-Töne im Stevie-Wonder-Stil fühlt man sich jedoch förmlich wie auf Rosenblätter gebettet oder wie auf Wolken getragen. In dieser Sound-Umgebung scheint alles um einen herum gut und richtig zu sein. Es findet eine Verstärkung der Schwingungen statt, die sich positiv auf das Empfinden auswirkt. Dieses perfekt übermittelte, friedlich-erfüllende Wunschdenken trifft mit voller Wucht auf die im Text formulierten inneren Konflikte, wodurch das ernüchternde Signal ausgesendet wird: Bei allem Ballast, nur nicht unterkriegen lassen!

"Big Mouth" verzaubert aufs Vorzüglichste. Das Stück hebelt sämtliche Alarme aus, die normalerweise bei ernsthafter Beschäftigung mit Musik ausgelöst werden, wenn zuckrige Sentimentalitäten oder weiche Manipulationen das Ruder übernehmen. Bei "Big Mouth" ist das anders. Die Musik erschafft trotz des inflationären Gefühlsüberschwangs eine intim-zerbrechliche Betroffenheit, die zusätzlich über den Gesang verhaltene, sinnlich-erotische Vibrationen durchdringend zu vermitteln weiß. Das ist fast zu schön, um wahr zu sein. Und wieder verbreitet die bedeutungsschwangere Poesie ein anderes Bild, als es die lieblichen Klänge suggerieren: Eine gestörte Beziehung mit Frustration und unterdrückter Wut steht im Mittelpunkt des Geschehens, sodass der stellenweise fast gehauchte Gesang auch als Erschöpfungs-Syndrom gedeutet werden kann.
 
Die Arrangements für "Jody", das von einer aus den Augen verlorenen Freundschaft handelt, rufen eine galante Eleganz hervor, bei der jedes Instrument auf die Erzeugung einer maximalen Exaktheit bei höchstmöglicher Lässigkeit aus ist. Wie selbstverständlich wird ein raffinierter Groove auch nicht außer Acht gelassen, der dem Song innere Spannung und beschwingten Schwung verleiht. Eine optimale Mischung aus sonnigen und delikat-aufreizenden Klängen schafft eine Aura des Unantastbaren und die milde gesangliche Melancholie lässt eine demütige, seelisch angeschlagene Stimmung entstehen. Freude am gemeinsam Erlebten und Traurigkeit über den Verlust des Kontaktes - beides sind Bestandteile der Komposition.

"Sie sah seinen Mantel im Schaufenster des Wohltätigkeitsladens [...], wo die Vergangenheit zum Schnäppchenpreis weiterlebt. Träume von einst bekommen die Chance auf eine neue Identität", heißt es in "Charity Shop Window". Das ist ein entzückender poetischer Ausdruck für eine vergangene Liebe, die immer noch einen Platz im Herzen beansprucht. Entsprechend einfühlsam-betörend gestaltet sich der Melodieaufbau. Piano und Streicher gehen manchmal eine heilige Allianz ein, die einzig und allein dazu dient, die Hörerinnen und Hörer in Tagtraum-Stimmung zu versetzen. Der Bass dröhnt entschlossen und grummelt dabei wie ein überdimensionaler Kuschel-Teddy. Das Schlagzeug stützt den Song aufmerksam und stark, ohne dabei Aggressionen zu wecken, was auch für das kurze E-Gitarren-Solo gilt, das süffige Schärfe ins Spiel bringt. Die Flöte macht das, was Flöten häufig tun: Sie erzeugt eine märchenhafte Stimmung, die nahe am Kitsch angesiedelt ist. Das fällt jedoch nicht negativ ins Gewicht, weil der etappenweise Einsatz kurz ist und für eine gewisse sonderbare Exotik sorgt. Erin pendelt zwischen heilender Melancholie und nüchternem Optimismus, was den Track völlig vom Schnulzenverdacht befreit.

Bei "Someone`s Gonna Break Your Heart" ist der Titel Programm: "Jemand wird dir das Herz brechen. Jemand wird dir sehr wehtun. Jemand wird dir schmeicheln. Jemand wird dein Vertrauen brechen. Jemand wird dich zum Weinen bringen", lauten die düsteren Prognosen, die das Lied über die "Gefahren" des Verliebtseins verbreitet. Ein an der Beat-Musik und dem Motown-Soul entliehener straffer Rhythmus sorgt unter dem Einsatz einer knalligen E-Gitarre für einen trotzig-hitzigen Sound voller optimistisch ausgedrückter Entschlossenheit.

"Not That Sentimental Anymore" ist entgegen dem Titel ganz schön sentimental geraten. Mit Betonung auf "schön sentimental". Durch große Gesten (Coolness, Leidenschaft, Anmut) erzeugt der Track eine überlegene, entschlossene Distanz, die auf Verführung ohne Verbindlichkeit aus ist. Eine mondän-prickelnde Angelegenheit. Die Protagonistin hofft, durch ihre schlechten Erfahrungen nicht mehr so unbedarft mit Beziehungsdingen umzugehen, wie bisher. Sie setzt auf einen Lerneffekt, ist sich aber nicht sicher, ob sie die Theorie in die Praxis umsetzen kann.

Das unerfüllte Schmachten oder die Sehnsucht nach einem über alles geliebten Menschen, von dem man hofft, dass die Herzen im Gleichklang schlagen, erfüllt den Song "Two Hearts". Dieses Gefühl wird anfangs durch schroffe E-Gitarren-Akkorde im linken Kanal, die durch entsprechend kraftvolle Antworten von Schlagzeug und Bass von der rechten Seite erwidert werden, ins verbindende Licht gerückt. Danach löst sich das Stück in einem vor schwindelerregender Glückseligkeit strotzenden Abschnitt auf. Es herrscht gute Laune ohne peinliche Einfallslosigkeit.
 
Es folgt ein emotionales Kontrastprogramm: In "Lucky Jack (20-1)" wird ein alter Mann mit einer seiner Lebensentscheidungen konfrontiert. Warum hat er seine Liebe sitzengelassen und stattdessen auf Pferde gewettet, deren Gewinnquoten nur bei 20 zu 1 lagen? Und das, obwohl er angeblich in der Beziehung seine Erfüllung gesehen hatte. Die dunkel gestimmte Ballade beginnt mit einer eindringlichen Konversation zwischen Stimme und E-Piano. Allmählich gesellt sich das ganze Ensemble einfühlsam dazu. Die Instrumente lassen das Lied üppig gedeihen, füttern es mit Schmerz an, lecken die Wunden in den zurückgenommenen Partituren und verhallen unerwartet. Man sieht sich plötzlich alleingelassen mit all der Trauer und bleibt grübelnd mit den unbeantworteten Fragen zurück. Das ist ein Schicksal, das bei den beteiligten Personen zu einem langwierigen Trauma führen kann.

Erinnerungen können einsam machen, weil sie uns womöglich verpasste Chancen vor Augen halten, denen wir nachtrauern und die wir aus Scham nicht mit Anderen teilen mögen. "Come To The Palisades!" greift diese Überlegungen auf und überrascht uns mit einer Mischung aus Zorn und Kummer, was sich als ein gegen die Realität stemmendes Americana-Drama, als eine flehentliche Pop-Sinfonie und als kultivierte Jazz-Spielerei ausdrückt.

In Moll-Laune geht es zunächst beim Intro zu "Finest Actor" weiter, bevor der Track an Wucht zunimmt, aber dennoch im besinnlichen Modus verharrt. Dieses Wechselspiel zieht sich durch das gesamte Lied, das ein paar instrumentelle Kabinettstückchen enthält, wie eine pochende, sich in den Vordergrund drängende Italo-Western-E-Gitarre und barocke Tasten-Tupfer. Das Stück dreht sich um das Schwärmen für einen Film-Star, der mit seinen Handlungen und Formulierungen ("Schatz, stecke deine Hoffnungen nicht auf ein Schiff, das auf See verloren geht") Einfluss auf die Meinungsbildung hatte, dennoch aber letztlich als Illusion entlarvt wurde.

In "NY Man" trauert eine Frau einem Mann nach, der ihr "näher war als alle anderen". Sie hatte New York verlassen, fühlte sich allerdings nicht gut dabei - was der Freund zuvor prophezeite. Jetzt ist sie wieder da, bereut ihr Vorgehen und möchte ihr altes Leben zurück. Die Geschichte bleibt unvollendet, es ist ein Geheimnis, ob es zu einem Happy-End kommt. Der lockere Folk-Rock verbindet sich mit den wegweisenden Pionieren des Genres aus der Greenwich-Village-Szene der End-Sechziger-Jahre und ragt bis in die Jetzt-Zeit mit Vergleichen zu Suzanne Vega hinein. Kompositorische Klasse, fantasievolle Abläufe und ein prägender, intimer Gesang bilden hier eine unschlagbare Einheit.

Der die Seele streichelnde CD-Bonustrack "Pale Blue Moon" rundet dieses Meisterwerk perfekt ab. Den himmlischen Duett-Gesang, der sich nach Samt und Seide anhört, teilt sich Erin Moran mit Daniel Tashian. Er ist nicht nur Produzent und manchmal Co-Autor, sondern unterstützt auch tatkräftig an Saiteninstrumenten, Schlagzeug und Keyboards. Der Song ist ein Traum aus einem in Noten gegossenen, alles verzehrenden Begehren nach einer erfüllten Liebe. Jeder Ton scheint handverlesen zu sein, um diese beglückend-traurige Atmosphäre authentisch und nachhaltig beeindruckend wiedergeben zu können. Die sanft-geduldige Intimität verschlägt einem förmlich den Atem.


"Been Around" ist oft zum Niederknien ergreifend und durchgehend edel und schön. Erins Stimme kann zu Tränen rühren, zärtlich oder sachlich erzählen und sich als guter Geist im Gehirn und in den Ohren festsetzen. Die Songs sind wie sakrale Hymnen aufgebaut, die manchmal durchaus erwartbar erscheinen mögen, aber aufgrund ihrer außerordentlich reifen Substanz einen langen Nachhall verursachen. Das Klangbild ist stets transparent, selbst wenn es kompakt, üppig und vollmundig daherkommt. Die abwechslungsreiche Instrumentierung wird intim flankierend oder saftig-vollblütig neben dem Gesang angeordnet, ohne dass das Tongebilde dürftig oder überfrachtet anmutet. Die Verdichtung des Sounds führt stets zu einem empathischen Empfinden. Deshalb greift man immer wieder voller Vorfreude zu diesem Schmuckstück und lässt sich auf die schiere Brillanz der Stücke ein, sehr zum Wohle der lädierten eigenen Psyche.

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