Whitney - Small Talk (2025)

Whitney pflegen mit "Small Talk" einmal mehr ihr Talent der kunst- und eindrucksvollen Seelenmassage.

Eines der herausragenden Merkmale von bedeutenden Musikern ist, sich weiterzuentwickeln. Julien Ehrlich (Gesang und Schlagzeug) und Max Kakacek (Gitarre) aus Chicago, die Köpfe von Whitney, wurden im Verlauf ihrer vorigen fünf Studioalben seit 2016 immer selbstsicherer, dadurch überzeugender, entspannter und glaubwürdiger. "Small Talk" ist der vorläufige Höhepunkt in der Diskografie der Beiden, die von 2007 bis 2014 in der Band Smith Westerns tätig waren.
 
Der Gesang von Ehrlich entzieht sich einer eindeutigen Geschlechter- oder Rollenzuordnung. Dadurch reduziert sich die stimmliche Wahrnehmung, die einen unvermittelt mitten ins Hirn trifft, automatisch auf ihren gesteigerten emotionalen Ausdruck, die dahinterliegende geistige Haltung und die deutlich hervortretende, anschauliche Überzeugungskraft. Kakaceks Gitarrenbegleitung ist effektiv, nie aufdringlich, aber permanent qualitätssteigernd. Er ist ein wirkungsvoller, wichtiger Teamplayer.

Wer sich an harmonischer und komplex arrangierter Pop-Musik, welche goldene Zeiten heraufbeschwört, ergötzen kann, wird in "Silent Exchange" schockverliebt sein. Das Zusammenspiel der Instrumente und der darin eingebettete hohe Gesang klingen, als wären die Töne organisch gewachsen und hätten sich logisch, wie selbstverständlich zusammengefügt. Beim konzentrierten Lauschen wird aber klar, dass das Erzeugen dieses Effektes nur mit viel Gehirnschmalz und kreativer Arbeit zustande kommen kann. Der Lohn der Anstrengung ist in diesem Fall ein Beispiel für einen perfekt gelungenen, balladesken Pop-Song oder kammermusikalischen Art-Pop. Bezaubernd!

"Won’t You Speak Your Mind" kombiniert Folk-Rock mit Funk-Einflüssen, wie die zackig angeschlagene E-Gitarre. Dabei transportiert der Song eine seriöse und eine sonnige Seite, welche sich gegenseitig Raum zur Entfaltung überlassen. Eine seltene Kombination, die jedoch prächtig funktioniert, weil sie zu einem reizvollen und einprägsamen Hörerlebnis führt.

"The Thread" führt den von vornherein eingeschlagenen, speziellen und klugen Pop-Weg fort. Das elastisch erscheinende Lied verfügt über einen hintergründigen, intimen Flow, der sowohl für konstruktive Melancholie als auch für wendige Abläufe sorgt.

Was wie eine intime Ballade anfängt, die hauptsächlich von Piano und akustischer Gitarre getragen wird, entfaltet sich alsbald zu einem selbstbewussten Country-Folk, dessen Instrumentarium attraktiv verdichtet und mit sympathischen Background-Stimmen veredelt wird. Nach dieser geschmackvollen Kontrast-Demonstration lässt sich "Damage" in ein zufrieden-geläutertes Stimmungsbild zurückfallen und wird allmählich sanft ausgeblendet. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich inhaltlich um den Verlust einer Liebe handelt. Das Leiden darüber kehrt in Wellen zurück: "Wenn die Liebe zum Problem wird, kannst du einfach nicht aufhören. Alles türmt sich, der Verstand verliert den Halt. Visionen der Vergangenheit finden ihren Weg zurück".

Der Country-Pop von "Dandelions" glänzt in der Sonne, klingt erhebend und lässt nicht nur an die Leichtigkeit der Desert Rose Band, sondern auch an die Geschmeidigkeit von Jeb Loy Nichols denken. Urlaub für die Seele, in heilsame Noten verpackt.

"Islands (Really Something)" schwenkt in der Mitte des Liedes reibungslos von konzentriert-beherrschtem, sparsam instrumentiertem Folk zu schlaksigen, munter trabendem Rhythm & Blues-Tönen um, die durch gelegentliche rauschhaft-sphärische Einblendungen abgelenkt werden.

Die vergnügten Schwingungen von "In The Saddle" verfügen über eine romantische Ader, wirken aber dadurch weder schnulzig noch süßlich, sondern behalten ihre natürliche Frische. Aufrichtige Sentimentalität findet im Rahmen von seidigem, gelenkigem Easy-Listening ein passendes Zuhause.

Mit einer Abfolge und Mischung aus flirrend hellen Klängen, die an traditionelle hawaiianische Lieder denken lassen, sowie mit bombastischen Ausbrüchen und melancholischen Träumereien gestalten die Beteiligten für "Evangeline" mit lieblich-gefühlvoller gesanglicher Unterstützung von Madison Cunningham einen beglückenden, vollmundigen Song, der wahrlich erhebende Momente hervorruft.


"Back To The Wind" ist Soft-Rock von allererster Güte, das heißt, als Vorbildfunktion kann Steely Dan herangezogen werden, die ja stets ein Beispiel für meisterlichen Jazz-Pop darstellten. Und Whitney verstehen es, ihre eigene Vorstellung von einem charmanten, anspruchsvoll-eingängigen Song umzusetzen. Das wirkt wie eine sanfte Brise, die einen das Leben von seiner behaglich-komfortablen Seite spüren lässt.

Das Titelstück "Small Talk" verneigt sich mit seinen smarten Tempo- und Dynamikwechseln vor den Errungenschaften des orchestralen, tonalen Jazz, wie dem von Gil Evans. Auch filigran-raffinierte Singer-Songwriter aus dem Laurel Canyon der Endsechziger Jahre, wie David Crosby, haben ihre Spuren hinterlassen. Eine künstlerische Glanzleistung und ein entzückender Hör-Genuss!

Die Platte endet mit dem von schwelgenden Streichern und hüpfenden Rhythmen verzierten, wendigen, abwechslungsreichen "Darling", bei dem herausragende Sensibilität und beschwingte Lebensfreude gemeinsam das Stück gestalten.

Der Entstehungsprozess des aktuellen Werkes reicht bis ins Jahr 2021 zurück. Die Arbeiten für das Vorgängeralbum "Spark" waren beinahe abgeschlossen, da verkündete der damalige Produzent Brad Cook, dass er der Meinung sei, die Freunde benötigten für weitere Aktivitäten weder seine Hilfe, noch die eines anderen Produzenten. Sie hätten auf jeden Fall die Fähigkeiten und Ideen, die es ihnen erlauben würden, auf eigenen Beinen zu stehen, um sich optimal zu entfalten. 

Diese Herausforderung bedeutet zum einen, sich von Abhängigkeiten zu befreien, zum anderen führt sie zu mehr Verantwortung und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ein Reifeprozess wurde demnach angestoßen und angenommen. Im Sommer 2024 begann das Duo unter den reduzierten Bedingungen mit der Arbeit an neuen Stücken. Sie konnten sich dazu in eine Scheune zurückziehen, die Juliens Vater gehörte. Teils verfügten sie über technische Geräte, teils mieteten sie diese im benachbarten Portland. Gäste schauten vorbei und spielten ein paar Sequenzen ein, ansonsten wurde das Projekt nur von einem Tontechniker betreut. Ohne Zeitdruck entstanden attraktive Klanggebilde, die die Essenz des Whitney-Sound-Gedankens darstellten.

Mit Whitney erfanden Ehrlich und Kakacek ein Pseudonym und Konstrukt, dem sie ungefiltert ihre Emotionen zuordnen können, welche sie vielleicht ohne diesen Deckmantel nicht preisgeben würden. Es geht dabei um Zweifel, Verlust, Schuld und Sühne. Belastende Themen, die neben Schmerz auch Lebenserfahrung vermitteln. Die Musiker verbreiten mit "Small Talk" eine beflügelnd-betörende Eleganz, bei der die zarte Melancholie ein dämpfendes Gegengewicht zur ausgelassenen Fröhlichkeit darstellt. Das führt zu einer Balance von Yin & Yang und damit sowohl zu besonnenen als auch zu stimulierenden Klängen. Alles ist wohldosiert und kunstvoll zubereitet. Der anfangs beschriebene schockverliebte Zustand hält während der gesamten Laufzeit an. Wunderbar! "Small Talk" ist ein sicherer Kandidat für die Jahresbestenliste!

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