Whitney - Spark

Das Funkeln im Dunkeln: "Spark" steht für Hoffnung, stellt sich der Angst und beschwört die Kraft der Liebe.

Whitney ist natürlich keine Whitney-Houston-Cover-Band. Die Musiker stammen aus Chicago, sind Feingeister und verschieben die Grenzen zwischen feminin und maskulin, Pop und Soul sowie akustischer und elektronischer Instrumentierung. 2019 erlebte ich die Gruppe auf dem "A Summer`s Tale"-Festival in Luhmühlen bei Lüneburg und sie war für mich das musikalische Highlight dieser großartigen, vielfältigen Kultur-Veranstaltung. Den Whitney-Sound hatte ich damals als Mixtur zwischen The Band und Al Green abgespeichert, nachzuhören auf dem Erstling "Light Upon The Lake" aus 2016.

Eigentlich ist Whitney aber gar keine feste Band, sondern das Projekt von Julien Ehrlich (Gesang, Schlagzeug) und Max Kakaček (Gitarre), das durchaus bis auf sieben Musiker anwachsen kann. Auch in dieser großen Besetzung agiert das Ensemble überwiegend sanft, gefühlvoll und bittersüß. Die feinfühligen Songs suchen sich ihre Identität sowohl im Roots-Rock (Folk, Country), wie auch im Soul und (Electro)-Pop. Der singende Schlagzeuger (noch eine Referenz an The Band) Julien Ehrlich stattet die Kompositionen mit seiner hohen Stimme so elegant aus, dass eine eindeutige Geschlechtszuordnung verhindert wird. 
Credit: Tonje Thilesen

Vergleicht man nun die Entwicklung von den Anfängen des Duos über "Forever Turned Around" (2019), dem Cover-Versionen-Album "Candid" (2020) bis hin zum aktuellen Werk "Spark", so ist eine gewisse Hinwendung von natürlichen zu künstlichen Tönen zu verzeichnen, ohne dass dabei der behaglich-warme Wohlfühl-Sound verloren ging.

"Nothing Remains" hinterlässt mit seinem spitzen Gesang Erinnerungen an die Bee Gees zu "Saturday Night Fever"-Zeiten von 1977. Gleichzeitig adelt die auffällige Stimmlage die Smooth-Soul-Nummer, die trotz ihres verschleppten Tempos weder rührselig noch klebrig wirkt, sondern aufgeräumt und klar rüberkommt.
Als wäre es das leichteste von der Welt, hauen Whitney mit "Back Then" mal eben locker aus der Hüfte einen Mut machenden, mit raffinierten Tempowechseln ausgestatteten Adult-Pop-Song raus, der nicht mehr aus dem Kopf gehen will, wenn er einmal seinen betörenden Wirkstoff verströmt hat.
"Blue" kann als Easy Listening-Track bezeichnet werden, wenn es um die Beschreibung der Eingängigkeit des Liedes geht. Das Stück weist stilistisch einen Cocktail aus Soft-Rock, Laid Back-Jazz und Silky-Soul auf, der zwar einschmeichelnd, aber nicht kitschig ist, was eine gewagte Gratwanderung darstellt.
Die weihevolle, sich sehr zurückhaltende Ballade "Twirl" hinterlässt einen mondänen Eindruck, obwohl der Song aus ätherischen, verzückten und spirituell versunkenen Tönen gespeist wird.
"Real Love" lädt auf die Tanzfläche ein. Die Beats sind knackig, verschlucken aber nicht die Sensibilität des Gesanges, so dass innige Gefühle neben dem Groove auch ihre Daseinsberechtigung bekommen.
"Memory" hört sich an, als wäre es ursprünglich vom Roots-Rock inspiriert gewesen. Dann hat das Lied aber wohl im Laufe der Realisierung einige akustische Instrumentierungen verloren, die durch elektronische, teils exotische Klänge ersetzt wurden. Nun gibt es eben weniger Lagerfeuer-Stimmung, dafür einen charaktervollen, schlaksigen Electro-Pop mit einem soliden Singer-Songwriter-Gerüst.
"Self" probt in einem von bizarren Loops geprägten Intro einen suggestiven Aufstand. Ein Experiment, das in dieser Form auch der singende Schauspieler Vincent Gallo für seinen Track "I Wrote This Song For The Girl Paris Hilton" verwendete. Durch den nachfolgenden Mantra-artigen Gesang wird der hypnotische Effekt bei "Self" noch verstärkt, zwischendurch jedoch von harmonischen Stimmen aufgelöst.
Der mit einem Break-Beat-Rhythmus versehene Folk-Pop von "Never Crossed My Mind" macht zunächst einen unspektakulären Eindruck, kann aber wegen seiner emotionalen Zwiespältigkeit punkten und macht bei jedem neuen Hördurchgang Boden gut.
Das Gefühl, in einer Zeitschleife gefangen zu sein, wird nach "Self" - allerdings abgemildert - auch bei "Terminal" vermittelt. Hinzu kommen Sounds, die sich nach asiatischer Folklore anhören und Gesänge, die am klassischen 60s-Pop geschult sind. Leider wird das Stück schon nach etwas mehr als drei Minuten ausgeblendet, grade als es Herz und Hirn erobert hat.
"Heart Will Beat" ist ein Rückgriff auf die Country-Folk-Erfahrungen von Julien Ehrlich und Max Kakaček und stellt einen entspannt-ländlichen Charakter in den Vordergrund.
"Lost Control" hört sich dagegen an, als würden sich Scritti Politti ("The Sweetest Girl") und Fleetwood Mac ("Sara") um die Vorherrschaft bei diesem Song balgen. Geschmeidiger Soul-Pop trifft hier auf lässigen Westcoast-Rock.
"County Lines" öffnet ein großes Assoziations-Fenster und lässt Strömungen wie Barock-Pop, Soundtrack-Melancholie, Psychedelic-Folk und Spiritual-Jazz hinein. Das alles wird ästhetisch meisterhaft zusammengesetzt, so dass kein Stilbruch, sondern nur Schönheit entsteht.

"Spark" steht für Hoffnung, stellt sich der Angst und beschwört die Kraft der Liebe: Das Album ist ein Trost- und Kraftspender, wie eine warme Decke für die Seele, wenn das Schicksal mal wieder das Leben aus den Angeln zu heben droht. Die Verwirbelung von Country-Soul und Dream-Pop ist Whitney ohne Qualitätsverlust gelungen, weil die Harmonie ein stützender Pfeiler im Stil-Mix geblieben ist. Deshalb haben die Kompositionen ihre Lieblichkeit behalten und sogar an Ausdrucksmöglichkeit hinzugewonnen.

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