Graham Parker & The Rumour - Mystery Glue (2015)

„Mystery Glue“ ist das zweite Album von Graham Parker & The Rumour nach ihrer Wiedervereinigung im Jahre 2011 und zeigt die ehemaligen Pub-Rocker in guter Form.

Begeben wir uns zurück ins Jahr 1976. Damals wurde der New Yorker Club CBGB`s durch freche, aufmüpfige Bands wie Blondie, die RamonesTelevision oder Patti Smith aufgemischt, denn hier braute sich grade die Punk-Bewegung zusammen. Im Vergleich: Die deutschen Charts wurden zu dieser Zeit noch von ABBA, Boney M, Sailor oder Smokie dominiert. Im Vereinigten Königreich wartete man auch noch auf die kleine musikalische Revolution, die ein Jahr später die Sex Pistols und The Clash lostreten sollten. Hier gab es aber schon seit Anfang der 70er Jahre eine rührige Pub-Rock-Szene, die dem Mainstream trotzte und damit den Weg zum Punk-Rock ebnete. Deren Vertreter waren beispielsweise Dr. Feelgood, Ian Dury & The Blockheads, Brinsley Schwarz und Nine Below Zero. Musikalisch bewegten sich diese Musiker mehrheitlich in einer Kombination aus beschwingtem Rhythm & Blues und deftig-vorwärtstreibendem Soul, gewürzt mit Zutaten aus Ska, Rockabilly und Country-Rock. In diese Bewegung platzte wie aus heiterem Himmel Graham Parker, der Mann mit der raspelnden, an Van Morrison geschulten Stimme. Für seine erste Platte „Howlin` Wind“ wurde ihm die Band The Rumour zur Seite gestellt, die sich aus erfahrenen Pub-Rock-Recken zusammensetzte. Als Produzent konnte Nick Lowe gewonnen werden, der sich in der Szene bereits einen Spitzenruf erworben hatte.
Parker, geboren 1950, versuchte schon als Schüler - inspiriert von den Beatles - erste Erfahrungen in einer Band zu sammeln, ohne aber wirklich ein Instrument zu beherrschen. Mit 15 Jahren wurde er Soul-Fan, was für seine spätere musikalische Entwicklung richtungsweisend war. Mit 18 verließ er das englische Festland und schlug sich auf der Kanalinsel Guernsey zwei Jahre lang als Tomatenpflücker, Tiefbauarbeiter, Spielautomatenbetreuer und Helfer in einer Bäckerei durch. In dieser Zeit brachte er sich auch das Picking auf der akustischen Gitarre bei und fing an, Songs zu schreiben. Anfang der siebziger Jahre schlug er ernsthaft eine Musiker-Karriere ein und spielte in einigen Gruppen, die ihn von England nach Spanien und Marokko führten.
Mit The Rumour standen ihm dann seit 1975 erstklassige Musiker zur Verfügung. Von Brinsley Schwarz kamen der Namensgeber an der Lead-Gitarre sowie Bob Andrews an den Keyboards. Martin Belmont spielte vorher Rhythmus-Gitarre bei Ducks Deluxe. Andrew Bodnar am Bass und Steve Goulding am Schlagzeug von den unbekannteren Bontemps Roulez vervollständigten das Team. Das Terzett wurde dabei häufig noch durch vier Bläser verstärkt. Besonders bei ihren Live-Auftritten gingen die Musiker schlagfertig zur Sache und erspielten sich dadurch schnell eine größere Fangemeinde.
Bis 1980 brachte die Formation noch vier weitere Studio-Alben raus und verschaffte sich sowohl im UK wie auch in den USA eine ausgezeichnete Reputation. Keyboarder Bob Andrews verließ dann die Band, ihn ersetzte kurzfristig der umtriebige Session-Pianist Nicky Hopkins. Manchmal sprang auch Danny Federici von Bruce Springsteens E Street Band ein. Die weiteren Alben von Parker firmierten jetzt ohne den Zusatz The Rumour, Brinsley Schwarz kehrte aber 1983 zu ihm zurück. Apropos Brinsley Schwarz: Als Graham das erste Mal davon hörte, dass es eine Band dieses Namens gibt, hielt er sie für eine deutsche Heavy Metal Gruppe.
Mr. Parker gewann jetzt mit seinen überwiegend qualitativ überzeugenden Solo-Alben, die akzentuierte, ausgefeilte und besinnliche Songs mit deutlich höherem Country-Folk-Anteil als bisher enthielten, weiter an Ansehen bei den Kritikern. Er hatte in den 80er Jahren relativ großen kommerziellen Erfolg, verlor aber in den 90er Jahren mehr und mehr sein Publikum, so dass er zu immer kleineren Labels wechseln musste. Im Jahr 2011 war es dann soweit und er tat das, von dem er geschworen hatte, es nie zu tun. Er reformierte The Rumour in Originalbesetzung und nahm mit ihnen das Album „Three Chords Good“ auf, das im November 2012 erschien und sehr gut angenommen wurde. Und nun gibt es Nachschlag. Für Parker steht der Ausdruck „Mystery Glue“ als Synonym für den Stoff, der das Universum zusammenhält und der auch dafür sorgt, dass seine Songs immer auf wundersame Weise einen Sinn ergeben.
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Welche überlegene Ausstrahlung Graham Parker und seine Kollegen aktuell verbreiten können, zeigt die reife, mit gelassener Erfahrung homogen durchkomponierte, empfindsame, aber dennoch kraftvolle Ballade „Transit Of Venus“. Dagegen wirkt das beinahe ansteckend fröhliche „Wall Of Grace“ ernüchternd oberflächlich und „Going There“ einschmeichelnd, aufdringlich und abgedroschen. „Swing State“ und „Railroad Spikes“ haben aber genügend Schwung, um den etwas beschaulichen Eindruck wieder grade zu rücken. Durch raffinierte richtungsändernde Einschübe punktet „Slow News Day“ und „Fast Crowd“ mixt unwiderstehlich Folk mit Reggae, wobei Grahams Gesang erstaunlich dem kratzigen Timbre von Bob Dylan ähnelt. Bei „Pub Crawl“ und „Long Shot“ wählte Graham die jeweils gleichen Anfangssequenzen, was sehr befremdlich und einfallslos wirkt. Die beiden Songs gehören auch sonst nicht zu den Highlights des Albums. Ganz anders verhält es sich mit „I've Done Bad Things“. Der Titel mundet wie ein verschollener Rhythm & Blues-Klassiker aus dem eigenen Fundus und hat durch einen eingeflochtenen moderaten Rap-Teil sogar einen zeitgemäßen Bestandteil.
Graham Parker ist ein einflussreicher Musiker, der Elvis CostelloJoe Jackson und Paul Weller in ihrer Anfangszeit wichtige Impulse gab. Auch Bruce Springsteen bewundert ihn als intelligenten Songwriter. Er ist ein Überlebender, der sich trotz einiger Rückschläge in seiner Karriere immer wieder aufgerappelt hat und jetzt im Herbst seiner Laufbahn nochmal zeigen möchte, was er noch drauf hat. „Mystery Glue“ ist aber nicht unbedingt eine nostalgische Platte geworden. Sie zeigt den reifen Musiker in seiner späten Blüte und demonstriert, dass er sein Pulver noch nicht verschossen hat, auch wenn nicht alle Songs Höchstnoten verdienen.

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