THE JESUS & MARY CHAIN - Damage And Joy (2017)

THE JESUS & MARY CHAIN sind mit "Damage And Joy" wieder da!

Die Reid-Brüder haben ihre Streitereien beiseite gelegt und sich wieder um die Musik gekümmert. Herausgekommen ist dabei 19 Jahre nach der letzten Platte MUNKI das sehr gelungene DAMAGE AND JOY, das etliche Power-Pop Einflüsse zulässt.

Feedback mit zuckersüßen Melodien: Dieses Rezept hat The Jesus And Mary Chain großgemacht, wird aber nicht zu Tode geritten.

Als Jim und William Reid aus Schottland 1983 die Gruppe The Jesus & Mary Chain gründeten und 1985 ihr alarmierendes, aufregendes Debüt-Album „Psychocandy“ veröffentlichten, fielen sie vor allem durch eine irrwitzige Kombination aus Krach, eingängigen Melodien und abstrusen Texten auf. Dazu kam, dass sie bei öffentlichen Auftritten häufig mit dem Rücken zum Publikum spielten und ihre Konzerte selten länger als 25 Minuten dauerten. Das führte nicht selten zu Krawallen. Außerdem stritten die Brüder häufig und trugen ihre Zwietracht durchaus gewalttätig auf der Bühne aus. Das führte dann auch 1999 nach sechs bemerkenswerten Studio-Alben zum Bruch.


Damage and Joy - Jesus and Mary Chain, the: Amazon.de: Musik
Seit 2007 gibt es wieder gemeinsame Aktivitäten der Brüder und nun liegt neunzehn Jahre nach dem letzten Voll-Werk „Munki“ eine neue Songsammlung vor. Heute haben die Schotten ihre ausufernden, kreischenden Rückkopplungs-Verfahren, die teils berauschenden Krach hervorriefen, im Griff. Das süße Gegengift in Form von einschmeichelnden Melodien setzen sie auch immer noch ein. Nur die Dosierung dieser beiden Elemente hat sich verschoben. „Amputation“ schraubt sich mit quietschend-pfeifenden Störgeräuschen in die Höhe. Die Rhythmus-Maschine begleitet kraftvoll-monoton und der Bass donnert ungehemmt drauflos. Die Stimmen senden Pop-Botschaften und die E-Gitarren knallen packende Riffs raus, so dass ZZ Top und die Black Keys aufgeschreckt werden. So klingt ein perfekter Opener: Stumpf-rotzig, dreckig-polternd und melodisch-packend.
„War On Peace“ fängt den trocken rockenden Sound von Velvet Underground ein. Das erwartete Feedback-Gewitter bleibt jedoch aus, denn die Rückkopplungen agieren nur zaghaft. Nach dreieinhalb Minuten wird dann das Tempo angezogen und der Song bekommt noch eine druckvoll-stoische Ausleitung. Still sitzen ist bei „All Things Pass“ kaum möglich. Der Track vermittelt einen unwiderstehlichen Power-Pop-Drive und bleibt trotzdem cool und abgeklärt. Er wurde übrigens schon 2008 als „All Things Must Pass“ in einer anderen Version für den Soundtrack der Serie „Heroes“ veröffentlicht. Mit „Always Sad“ bleibt die Band im rockigen Power-Pop-Modus und bekommt gesangliche Verstärkung durch die liebliche Bernadette Denning.
Für die rhythmisch aktive Ballade „Song For A Secret“ wurde Isobel Campbell, das ehemalige Belle And Sebastian-Mitglied und Duett-Partnerin von Mark Lanegan eingeladen. Süß und unschuldig verleiht sie dem einförmigen Sound eine mild-erotische Note. Beim flotten 60s-Pop von „The Two Of Us“ kann sich Isobel erneut mit niedlichem Gesang einbringen und so den Pop-Charakter verstärken. Die Ballade „Los Feliz (Blues And Greens)“ mit Gastsängerin Linda Fox ist dagegen etwas zu eindimensional geraten. Schwerfällig und dröhnend läuft „Mood Rider“ ab. Das Stück wird immer wieder ausgebremst und kommt dabei beinahe zum Stehen.
Bubblegum-Glam-Rock mit Hit-Format für eine bessere Welt bietet „Presedici (Et Chapaquiditch“. Die Wirkung von monotonen Wiederholungen auf das Lust- und Bewegungszentrum testet „Get On Home“ und erinnert damit an die Ur-Punker The Stooges oder an das Minimal-Electro-Duo Suicide. Und noch ein Deja-Vu-Erlebnis: „Facing Up To The Facts“ klingt, als würde „Search & Destroy“ von Iggy Pop & The Stooges langsamer und weniger dämonisch vertont werden. „Simian Split“ greift textlich die Verschwörungstheorie auf, dass Kurt Cobain durch einen Auftragskiller, den seine Witwe Courtney Love anheuerte, umgebracht wurde. Musikalisch wird der als gebremster Power-Pop angelegte Song durch Verzögerungen aus der Bahn geworfen und hinterlässt so den Eindruck von gewolltem Experimentiergehabe. Der anmutige Gesang von Sky Ferreira verzuckert den Feedback-Pop „Black And Blues“ mit einem von Velvet Underground entliehenem „Femme Fatale“-Gedächtnis-Timbre. Und für das schicke 60s-Pop-Stück „Can’t Stop The Rock“ kommen noch mal die Stimmbänder von Linda Fox, der Schwester der Reid-Brüder, zum Einsatz.
„Damage And Joy“ ist drahtiger, aber auch mehrfarbiger als der Vorgänger „Munki“, der trotz des Einsatzes von elektronischen Spielereien eher betont monochrom gehalten wurde. Jim und William nahmen erstmals mit dem Killing Joke-Bassisten Youth einen Produzenten zu Hilfe. Dieser Allrounder hat u.a. schon Tom Jones und Paul McCartney betreut und es jetzt verstanden, die dröhnend-eindimensionalen Velvet Underground meets Can-Tugenden von The Jesus & Mary Chain zu bündeln. Außerdem baute er den Surf-Rock meets Bubblegum-Pop-Faktor weiter aus. Diese Zutaten wurden durch neue Erfahrungen ergänzt, die die Gruppe heute lebhafter, schwungvoller, ja sogar jugendlicher denn je wirken lassen.
Statt permanentem Grauschleier setzen sie vermehrt auf forschen Rock & Roll und sind damit solchen aufmunternden Underground-Pop-Bands wie Urge Overkill, Jellyfish oder Redd Kross ähnlich. Es macht einfach Spaß, sich die zumeist gelungenen hypnotischen Riffs, primitiven Rhythmen und krachenden, schrägen Soli um die Ohren hauen zu lassen und dabei in behaglichen Melodien zu schwelgen. Weiter so!

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