LAURA MARLING - Semper Femina (2017)

Die Winkelzüge von Laura Marling lassen sich nicht vorhersehen. Frei von Zwängen geht sie ihren Weg und entfaltet aufs Neue ihre freigeistige Kreativität.

Die zierliche, blasse Frau macht rein äußerlich einen zerbrechlichen Eindruck. Wird Laura Marling aber akustisch wahrgenommen, verströmt ihre Musik bei aller Nachdenklichkeit auch Durchsetzungsvermögen, Selbstvertrauen und Eigenständigkeit. Laura hat damit im Folk-Sektor ihr persönliches Markenzeichen kreiert. Wenn sie ertönt, werden ungewohnte Tonmuster, mutige Wendungen, aber auch innige Momente mit schöngeistigen Melodien erwartet.
Laura Marlings sechstes Album erscheint auf ihrem eigenen Label „More Alarming Records“. Die neuen Songs wurden bereits 2015 auf der US-Tournee zu ihrem Vorgängeralbum "Short Movie" erdacht. Die Betreuung der Aufnahmen für die aktuellen Lieder übernahm Blake Mills, der schon mit den Alabama Shakes, Fiona Apple und John Legend gearbeitet hatte und sich als wichtiger Berater profilierte. Besonders wenn es um Gitarrentechnik und um Gestaltungsfragen ging.
Semper Femina (Ltd.Edition) - Laura Marling: Amazon.de: Musik
„Semper Femina“ beschäftigt sich damit, was Weiblichkeit ausmacht. Der Titel stammt aus einem Gedicht des römischen Dichters Vergil und lautet in voller Länge: „Eine Frau ist ein stets launenhaftes und wandelbares Wesen“. Die Kurzform „Semper Femina“ bedeutet so viel wie „Für immer eine Frau“ und ist das Motto, das sich Laura auf einen ihrer Schenkel tätowieren ließ und nun zum Leitthema für ein ganzes Album wurde.
Elastische Bassfiguren wie bei „Come Together“ der Beatles umgarnen den Hörer beim Opener „Soothing“. Merkwürdig schnappend-klackende Percussion-Töne lenken ab und sanfte, wie aus der Morgendämmerung aufsteigende Streicher-Wolken hüllen den Art-Folk in ein weiches Gewand. Laura Marling spielt wieder mit Gesangslinien, die der Dringlichkeit, Sinnlichkeit und Überzeugungskraft einer Joni Mitchell gleich kommen. Die Folk-Schamanin verzückt mit hypnotisch groovenden, verzückt-coolen Klängen. Das lässt an Fiona Apple einer Schwester im Geiste denken.
„The Valley“ bringt Folk-Jazz mit einer dramatisch-lieblicher Note zum klingen. Der Ablauf ist betont monoton-fließend und erinnert hinsichtlich der zurückhaltenden Eigendynamik an die Kompositionstechnik von Leonard Cohen. Schnarrende Drums und Gesang, der zwischen Erzählung und Flehen angesiedelt ist, sowie vibrierende, zurückgenommene Echo-Gitarrentöne erzeugen bei „Wild Fire“ eine seltsam knisternde Spannung. Dabei streift die engagierte Künstlerin sowohl Folk- wie auch Jazz- und Soul-Terrain.
Ein Drum-Computer gibt den Pulsschlag für „Don’t Pass Me By“ vor. Die E-Gitarre lässt sich auf einen streitbaren Dialog mit der Sängerin ein und unvermittelt auftauchende Streichinstrumente regen die provokante Konversation zusätzlich an. „Always This Way“ verfügt über eine Melodie, deren Schönheit alternativ mit einer üppigen orchestralen Instrumentierung unterstrichen werden könnte. Hier bekommt sie jedoch eine durchlässige Begleitung verpasst, so dass Transparenz im Vordergrund steht.
„Wild Once“ macht darauf aufmerksam, dass bei der Erziehung bewusst oder unbewusst Freiheitsgrade eingeschränkt werden können. Laura ruft dazu auf, sich an ungezwungene, zügellose Zeiten zu erinnern und das Gefühl von Freiheit ins Bewusstsein zurückzuholen, um sich über die eigenen Möglichkeiten und Wünsche klar zu werden. Diese praktische Lebenshilfe wird in ein zartes Gespinst aus akustischer Gitarre und beruhigenden Piano-Tönen eingebunden. Durch weitläufige, zarte Streicher bekommt das Lied zusätzlich noch eine Auskleidung mit Samt.
Pop-Melodik, Folk-Leichtigkeit und eine im Verlauf immer skurriler werdende Soundtrack-Malerei prägen die Stimmung von „Next Time“. Pure Singer-Songwriter-Poesie, wie sie auch Joni Mitchell auf „Clouds“ (1969) angeboten hat, findet sich bei „Nouel“. Eine akustische Gitarre und berührend intensiver Gesang genügen hier, um einen verletzlichen, aber durchaus auch selbstbewussten Song zu basteln. Zum Abschluss verbreitet Laura bei „Nothing Not Nearly“ wortreich ihre Aussagen und unterstützt die aggressive Grundhaltung durch eine biestige, schroffe E-Gitarre.
Laura Marling ist ein Glücksfall für die Folk-Szene. Gibt sie sich doch zuverlässig unangepasst, aufrührerisch, gefühlsbetont und intellektuell-experimentierfreudig, ohne dabei auf Tugenden wie Songsubstanz zu verzichten. Denn bei aller Normensprengung bleibt ihr Vortrag nahbar und menschenfreundlich. Sie unterstreicht ihre Wichtigkeit und Ausnahmestellung in einem Genre, das vielfach auf die Wahrung und Fortführung von Traditionen bedacht ist und mischt diese Haltung durch unkonventionelles Kompositionsverhalten beherzt und tüchtig auf. Großartig!

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