INDRA RIOS-MOORE - CARRY MY HEART (2018)

INDRA RIOS-MOORE ist eine technisch saubere Jazz-Sängerin, die mit CARRY MY HEART neun Fremd- und zwei Eigenkompositionen vorstellt.
Passt ernsthafter und gefühlvoller Jazz-Gesang zusammen? Bei Indra Rios-Moore funktioniert das tadellos.
Indra ist der Name des hinduistischen Gottes, der über den Himmel und den Regen herrscht. Diesen Vornamen wählten die Sozialarbeiterin Elizabeth Rios und der Jazz-Bassist Donald Moore für ihre 1980 in New York City geborene Tochter. Da Indra in einem Stadtteil aufwuchs, der sich nicht unbedingt zum Spielen außerhalb der Wohnung eignete, widmete sie sich schon früh der Plattensammlung ihrer alleinerziehenden Mutter. Darin fand das Mädchen neben Stax- und Motown-Soul auch Salsa sowie Jazz-Größen wie Miles Davis und John Coltrane. Zunächst sang Indra nur zum Vergnügen, aber schon früh wurde die Karriere durch ihre Mutter gefördert und so genoss das Talent eine klassische Gesangsausbildung, bei der die Studentin unter anderem mit traditionellen Volksliedern aus unterschiedlichen Ländern Bekanntschaft machte.
Der Weg zur professionellen Musikerin war also quasi vorprogrammiert, denn nicht nur ihr Vater ist Berufsmusiker, sondern auch der Ehemann verdient sein Geld mit Musik. Indra lernte den dänischen Jazz-Saxophonisten Benjamin Trærup beim kellnern in einer Wein-Bar in Brooklyn kennen, verliebte sich und zog mit ihm in sein Heimatland. Dort taten sie sich 2007 mit dem Bassisten Thomas Sejthen zusammen. 2010 erschien dann das Album „Indra“, gefolgt von „In Between“ (2012) - das den Danish Music Award als bestes Jazz-Gesangs-Album einbrachte. „Heartland“ wurde in den USA von Larry Klein (Joni MitchellMadeleine Peyroux) produziert und folgte 2015.
Carry My Heart - Rios-Moore, Indra: Amazon.de: Musik
„Carry My Heart“ sollte ursprünglich ein optimistisches, das Leben feierndes Werk werden. Aber dann entstand der Song gleichen Namens 2017 unter dem Eindruck der Bilder der vielen flüchtenden Menschen und vor allem aufgrund des Kulturschocks, der mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten verbunden war. Und unter diesem Einfluss entstand dann ein Mut machender Gegenentwurf zur spaltenden Politik, den postfaktischen, unqualifizierten Aussagen und der überzogenen Selbstdarstellung des amerikanischen Machthabers. Die Musik steht also für interdisziplinäre Verständigung, musikalische Qualität und achtungsvoller Verneigung vor anderen Künstlern. Denn bei neun der elf Lieder handelt es sich um Fremdkompostionen. Bei der Neudeutung wird die Sängerin von ihrem Ehemann Benjamin Trærup am Saxophon, dem Bassisten Thomas Sejthen, Knuth Finsrud am Schlagzeug und dem Gitarristen Samuel Hallkvist transparent begleitet. Deren Klangvorstellung verbindet Virtuosität mit Einfühlungsvermögen, so dass jeder Track eine spezielle Ausgestaltung verpasst bekommt.
Die Eigenkomposition „Carry My Heart“ nimmt sich vom Gospel die Inbrunst, vom Folk die Aufrichtigkeit und vom Jazz die Extravaganz. Heraus kommt eine sinnlich verspielte Ballade mit Hang zur zeremoniellen Geste. Der soulige Rhythm & Blues von „Keep On Pushing“ der Impressions um Curtis Mayfield aus dem Jahr 1964 wird von der dunkelhäutigen Musikerin in einen mild groovenden Gospel-Jazz übersetzt. „I Can See Clearly Now“ erfährt gegenüber dem Original von Johnny Nash eine Drosselung des Tempos. So wird aus dem verbindenden Pop-Aspekt eine ruhige und smarte Chanson-Vorlage.
Die überlegene Eleganz vieler Steely Dan-Kompositionen ist legendär und kann von Cover-Versionen selten adäquat eingefangen werden. Indra begibt sich bei ihrer Version erst gar nicht in Gefahr, auf dieser Ebene zu agieren. Sie befördert „Any Major Dude Will Tell You“ in den Nachtclub und macht eine laszive Folk-Jazz-Nummer daraus. Die zweite Eigenkomposition „Give It Your Best“ wird dann als milder Folk-Jazz vorgetragen, während der tanzbare Pop-Song „Be Mine“ der schwedischen Electro-Pop-Sängerin Robyn totale Entschleunigung verordnet bekommt. Es erfolgt dadurch ein Tausch der beschwingten, ausgelassenen Lebensfreude gegen ein sehnsüchtiges Flehen. Eine erstaunliche Verwandlung.
„Don't Say Goodnight (It's Time For Love)“ kann als konzentriert gesungenes, akkurates Lied mit Bar-Jazz-Feeling wahrgenommen werden. Die Isley Brothers betteten 1980 ihr Original dieses Schmachtfetzens noch in einen langsamen Smooth-Soul mit ganz viel sinnlichem Pathos ein. „Love Walked In“ wurde von George Gershwin 1930 komponiert. Aber erst 1937 schrieb sein Bruder Ira den Text dazu. Der romantische, ins schmalzige tendierende Titel wurde unter anderem von Bing Crosby (1947), Ella Fitzgerald (1959) und Dinah Washington (1960) vertont. Indra entfernt sich bei ihrer Sichtweise nicht weit von den aufgezählten, gefühlsüberladenen Versionen, vermeidet aber den überflüssigen Schritt in Richtung Kitsch durch eine pointierte, sachliche Jazz-Standard-Darstellung.
Der Jazz-Evergreen „Come Sunday“, den sich Duke Ellington im Jahr 1942 ausgedachte, war ursprünglich ein Teil des Stückes „Black, Brown And Beige“, welches die Situation der Afroamerikaner in den USA beschreiben sollte. Die inbrünstige Neuinterpretation, bei der der ursprüngliche Gospel-Jazz-Hintergrund erhalten blieb verdeutlicht, wie viel dieses Dokument einer Offenlegung der Identität der unterdrückten afro-amerikanischen Bevölkerung der Künstlerin bedeutet. Der weiche Blue-Eyed-Soul „What You Won't Do For Love“ wurde von Bobby Caldwell im Jahr 1978 veröffentlicht. In der aktuellen Sicht wird der Track als lasziver Schwebe-Jazz inszeniert. Die übertriebene Dramatik, die Barbra Streisand in „I Loved You“ hinein legte, erinnert unvorteilhaft an wirklichkeitsfremde Musicals. Diesen Mief kann die Jazz-Chanteuse bei ihrer Auslegung leider auch nicht vollständig ablegen, so dass bei dem Stück trotz des Bemühens, ihm Seriosität zu verleihen, ein süßlich-unnatürlicher Beigeschmack erhalten bleibt.
Indra ist bei ihrem Handeln stets auf Präzision bedacht. Ihr stimmlicher Ausdruck ist klar und ausdrucksstark. Sie vermeidet jedoch jegliche Extravaganz und emotionale Unbeherrschtheit. Der Gesang ist also kontrolliert, aber dennoch von emotionaler Bewegung geprägt. Stilvoll-elegant versieht Indra Rios-Moore die Songs mit einem aufrechten Flair, das sie als wissende, tonangebende Interpretin ausweist. Ihre Mitstreiter stellen sich gut durchdacht auf die intellektuelle Rolle ein und begleiten die Chanteuse feinfühlig und konsequent. Daraus erwächst ein gepflegtes Hörerlebnis, das nicht nur Jazz-Fans gefallen könnte, sondern auch für Chanson- und Cabaret-Freunde geeignet ist.
Ein Trailer zum Album gibt es hier zu belauschen:

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