JONATHAN WILSON - Rare Birds (2018)

JONATHAN WILSON ist ein Eigenbrötler, Psychedelic-Fan und visionärer Produzent. Sein neues Solo-Album RARE BIRDS beherbergt wieder reichlich spleenige Einfälle und verrückte Ideen. 

Der kalifornische Musiker und Produzent Jonathan Wilson entwirft mit seinem neuen Solo-Album erneut ein individuelles Modell seiner Art-Rock-Ästhetik.

„Rare Birds“ benötigt Zeit, damit sich die suggestive Wirkung der Kompositionen entfalten kann. Das ist kein Album, das den Hörer überfallartig erobert. Es dauert eine Weile, bis die nicht immer einnehmenden Melodiebögen und die verhüllten Wiedererkennungswerte unter der straffen Rhythmik wahrgenommen werden. Zunächst entsteht der Anschein, man habe es mit Kopfmusik in Art-Pop-Strukturen zu tun, die streng, ja beinahe lustfeindlich daherkommen. Wirken die Töne anfangs akademisch und unnahbar, so entwickeln sie sich zielstrebig und kontinuierlich immer mehr zu einer intensiven, innigen emotionalen Angelegenheit. Ist das Zufall oder Teil des Konzeptes dieses mit 78 Minuten prall gefüllten Albums? Jonathan lässt sich nicht drängen, eine Idee zügig und gewinnend auszuführen und zu Ende zu bringen: Die kürzesten Songs sind knapp fünf Minuten lang, die längsten haben eine Laufzeit von über acht Minuten. Wie sein Namensvetter Steven Wilson scheint Jonathan in die falsche Zeit hinein geboren zu sein, denn die Quellen, die er anzapft, liegen hauptsächlich in den 1960er und 1970er Jahren. Psychedelic-Rock der US-Westküste gehört genauso dazu wie die Anfänge des Progressive-Rock. Die Beach Boys zu „Pet Sounds“-Zeiten sind als Einflüsse ebenso wie die Beatles in ihrer psychedelischen Phase zu vernehmen. Aber auch liturgische Gesänge, Jazz-Schnipsel und klassische Kammermusik-Beigaben sind zu hören. Außerdem werden elektronische Rhythmen und Schwebeklänge sowie jauchzende Steel-Gitarren für die Erzeugung des mehrheitlich entrückten und komplexen Sounds herangezogen.
Rare Birds - Wilson, Jonathan: Amazon.de: Musik
„Trafalgar Square“ eröffnet den Zitaten-Reigen: Wolkige Töne aus dem Progressive-Rock-Universum von King Crimson und Yes, verzerrte Gitarren von „Revolution der Beatles sowie ein geheimnisvoller, beherrschter Gesang in der Art von Gary Brooker (Procol Harum), der die Stimmung vor dem Überkochen bewahrt. Das sind die Zutaten zu einem Track, der mehr Fragen offen lässt als er beantwortet. „Me“ zeichnet ein verwaschenes Bild des symphonischen Psychedelic-Rock und streift dabei „Odessey And Oracle“ von The Zombies wie auch „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. „Over The Midnight“ sucht nach Annäherung an populäre elektronische Hörmuster aus den 1970er Jahren wie sie z.B. von Mike Oldfield entwickelt wurden. Durch die stumpfen, mechanischen Drum-Machine-Beats gewinnt der Titel an Durchschlagskraft, verliert aber an Seriosität. „There's A Light“ zapft die Strukturen des Country-Rock an und verspricht einen Ausflug in weite Landschaften und an Sehnsuchtsorte.
Die schmachtende Ballade „Sunset Blvd.“ wird von einem nüchtern erzählenden Piano getragen und das Schlagzeug unterstützt dazu trocken und verlässlich. Geschmackvoll eingesetzte Streicher tragen die Dramatik nicht zu dick auf, so dass die Atmosphäre dunkel bleibt und der Zuckerguss nicht klebt. Die verzerrten Gitarren in „Rare Birds“ klingen ansatzweise fast so brachial wie die elektrischen Gitarrengewitter von Neil Young & Crazy Horse. Das ist aber nur ein schmückendes Beiwerk in einem Song, der auch seine Erholungsphasen verabreicht bekommt und sogar ins ländlich-gemütliche Terrain mitgenommen wird. „49 Hairflips“ hat es nicht eilig. Der Track wird behutsam aufgebaut und erwacht wie nach einem langen, erholsamen Schlaf erst allmählich zum Leben. Kaum in voller Blüte stehend, neigt sich der Song schon wieder dem Ruhezustand entgegen. Und so vergeht dieser akustische, rauschhafte Spuk wie eine nebensächliche, flüchtige Halluzination. „Miriam Montague“ verbindet Barock-Pop mit Glam-Rock. Dabei werden sowohl Erinnerungen an Big Star wie auch an Mott The Hoople wach. Exotisch, rhythmisch und gesanglich eigenwillig geht es zunächst bei „Loving You“ zu. Der Song löst sich allerdings nicht aus dieser indifferent taumelnden Rolle, so dass eine gewisse Gleichförmigkeit auszumachen ist.
Auch „Living With Myself“ lebt eher von einer traumwandlerischen Stimmung als von einer straffen Melodieführung. Der Track kann aber aufgrund seiner sanften Melancholie, die durch aufmunternde Bestandteile abgemildert wird, überzeugen. „Hard To Get Over“ arbeitet mit Minimal-Art-Strukturen und braucht deshalb wieder etwas Zeit, um sich zu entfalten. Der monotone Elektro-Pop-Rhythmus hat dabei etwas Unnachgiebiges und treibt das Stück maschinenhaft und atemlos vor sich hin. Der Country-Rock „Hi Hi To Righteous“ hat alle Vorzüge, die die besten seiner Art auszeichnen und zu unsterblichen Begleitern auf dem Lebensweg vieler Menschen werden lassen, die in den 1960er und 1970er Jahren mit solcher Musik sozialisiert wurden: Kreativität, Melodieverliebtheit, Phantasie und Glaubwürdigkeit. Die abschließende Piano-Ballade „Mulholland Queen“ wurde erfreulich plastisch und intensiv belassen. So kann Jonathan seine dramatische Seite voll ausleben.
Seine Brötchen verdient Jonathan Wilson zurzeit hauptsächlich durch seine Engagements für Roger Waters, aber er war in letzter Zeit auch als Produzent und musikalischer Partner für Father John Misty, Karen Elson und Conor Oberst tätig . Dass daneben noch Gelegenheit und Muße zur Fertigstellung eines eigenen Albums war, zeigt eine gewisse visionäre Besessenheit. Jonathan versucht nämlich ständig, aktuell gelernte musikalische Erfahrungen mit seinen eigenen klanglichen Vorstellungen in Einklang zu bringen. Er lernt dabei ständig von unterschiedlichen Künstlern aus diversen Sparten, kann dabei schon mal auf geschmackliche Abwege kommen, geht aber konsequent und herausfordernd seinen eigenen Weg. „Rare Birds“ hinterlässt einen uneinheitlichen Eindruck, was dazu führt, dass das Werk je nach Stimmungslage des Hörers als anregend oder überambitioniert eingestuft werden kann. Das verdeutlicht, wie vielschichtig das Gesamtbild geworden ist, das dafür sorgt, dass die Musik noch reichlich Substanz für eine längere Auseinandersetzung aufweist.
Und hier gibt es das Album zu hören:

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