THE DECEMBERISTS - I`ll BE YOUR GIRL (2018)

Kurskorrektur bei THE DECEMBERISTS. Es gibt beim achten Studioalbum I`ll BE YOUR GIRL mehr Synthesizer und es greifen Einflüsse von ROXY MUSIC und NEW ORDER. Aber die Songs bleiben beeindruckend. 

Auf zu neuen Ufern: The Decemberists verlassen ihre bisherige Komfortzone.

Die Spezialiät von The Decemberists sind überschwängliche, intensive, elegische Songs im Spannungsfeld von Folk-Rock und kunstvollem Chanson. Die Tracks werden oft so konzipiert, dass sie den Hörer in eine erhabene, aufbauende und mitfühlende Position hieven und ihm die Gewissheit vermitteln, Teil einer gleichgesinnten Gemeinschaft zu sein. Diese Eigenschaften bleiben auch beim achten Studio-Album „I`ll Be Your Girl“ erhalten, sie erwerben aber manchmal durch neue Arrangement-Techniken eine Verschleierung.
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„Once In My Life“ und „Cutting Stone“ stellen die konstruktive, zupackende Melancholie des Quintetts aus Portland, Oregon in den Vordergrund. Aber schon im Vorfeld der aktuellen Veröffentlichung sprach der Frontmann Colin Meloy davon, dass die Formation ihre Komfortzone verlassen möchte und sich für so etwas wie einen überschwänglichen Nihilismus oder eine apokalyptische Tanzparty als Ausdruck für die neuen Songs interessiert. Als musikalische Referenzen für diesen Veränderungswunsch kamen in diesem Zusammenhang New Order und Roxy Music zur Sprache. Die erste Single-Auskopplung „Severed“ zeigte hinsichtlich Instrumentierung und Erscheinungsbild bereits diese erwähnten Einflüsse. Hypnotische Synthesizer-Akkorde und ein unnachgiebiger Beat gehen hier nach vorne los und knackige E-Gitarren sorgen für zusätzlichen Zündstoff. Es würde nicht verwundern, wenn der Gruppe mit diesem Konstrukt ein ähnlicher Überraschungserfolg gelänge, wie ihn Portugal. The Man im letzten Jahr mit „Feel It Still“ gehabt haben. Denn beide Einfälle vermitteln eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
Bei dem kurzen, energischen Hippie-Folk „Starwatcher“ bilden herzhaft-monotone Akkorde auf der akustischen Gitarre die Einleitung zu einem Track, welcher durch beharrliche Trommeln einen Galeeren-Rhythmus verpasst bekommt. „Tripping Along“ schwimmt dann im geruhsamen, teils psychedelischen Folk-Modus hinterher, bevor bei „Your Ghost“ einiges zusammen kommt. Das Lied galoppiert überfallartig los, vereinnahmt knarrende Spaghetti-Western-Motive, bekommt durch putzige Chorstimmen einen Nonsens-Einschlag und wird mit Synthesizer-Tönen, die sich wie ein barockes Spinett anhören, in eine romantische Vergangenheit teleportiert. Gelobt sei die funkensprühende, überbordende Vielfalt.
„Everything Is Awful“ transportiert zwischendurch eine unschuldig-infantile Sicht, wie sie ähnlich auch Kevin Ayers oder Jonathan Richman kultiviert haben. Ansonsten bewegt sich der Titel gut gelaunt durch vergnügliches Power-Pop-Terrain. Roots-Rock-Intelligenz spiegelt sich in „Sucker’s Prayer“ wieder, das an innige und gleichzeitig griffige Songs wie das von Bob Dylan verfasste und von The Band adaptierte „I Shall Be Released“ erinnert. Stampfender Glam-Rock, der mit einem anfeuernden Background-Chor und trötenden Saxophon-Tönen ausgestattet wurde, begegnet dem Hörer dann mit „We All Die Young“.
Das komplexe Gebilde „Rusalka, Rusalka / The Wild Rushes“ erhielt unterschiedliche Abschnitte. Es beginnt langsam und eindringlich-kirchlich, wird dann temperamentvoll angefüttert, um zum Schluss noch anheizende Riffs, wolkige Schwebeklänge und himmlische Chöre abzusondern. Das Lied „I’ll Be Your Girl“ entlässt den womöglich vom bisherigen Verlauf überraschten Hörer mit einer harmonischen Folk-Pop-Stimmung und bildet so einen versöhnlichen Abschluss für die alten Fans.
Der aufgeschlossene Hörer sollte sich über die Ausweitung des Klangspektrums von The Decemberists freuen, denn der Wandel wird moderat durchgeführt und kompetent in die bisherige Klangwelt integriert. Diese Entwicklung verspricht für die Zukunft weitere spannende Gestaltungsmöglichkeiten, denn die Band beweist Potential und Überblick. Das belegen sie musikalisch dadurch, dass die mit Hilfe des neuen Produzenten John Congleton (St. VincentAngel Olsen) verabreichten, ungewohnten Synthesizer-Klänge zwar wuchtig, aber auch passgenau eingebunden werden. Das Erhabene und Aufbauende des Ursprungsstils geht dabei nicht verloren, sondern wird nur transformiert. Bandchef und Komponist Colin Meloy versteht seine Schöpfungen als wirkungsvoll verpackte Protestsongs, die die Ängste, Psychosen und Bedrohungen, die aus der politischen und sozialen Situation in den USA entstehen, aufgreifen. Dabei lassen sich beißender Sarkasmus und schwarzer Humor kaum voneinander unterscheiden. Alle Achtung für diesen Modulationsschritt und den Mut zur Erneuerung.

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