Henry Green - Shift (2018)

Henry Green klangmalt für "Shift" aparte, gefühlvolle Songs, die in rhythmischer Leichtigkeit ehrfürchtig dahingleiten.
Der zweiundzwanzigjährige Henry Green aus Bristol bringt nach zwei EPs mit „Shift“ sein erstes Solo-Album raus, das teils in Berlin und teils in seiner Heimatstadt entstand. Seine neue Musik wirkt bei flüchtiger Betrachtung unspektakulär, ohne allerdings beliebig zu sein. Die erzeugten Töne machen einen leichten, luftigen Eindruck, ohne banal zu wirken. Die Melodien sind sanft und harmonisch, ohne kitschig süßlich zu klingen. Auch wenn sich das jetzt sehr abstrakt anhört, kann in den Liedern eine Befreiung von Zwang und Belastung nachempfunden werden. Henrys Stimme verweigert dabei eine eindeutige Geschlechtszuordnung. Mal klingt sie eher maskulin, mal eher feminin. Diese androgyne Ausdrucksweise trägt bei den introvertierten Songs dazu bei, dass sie kurzweilig bleiben. Die Elektronik wird neben den akustischen Instrumenten fragil eingesetzt, so dass ein charmant-sensibler Eindruck entsteht, der die Lieder nicht als typischen Electro-Pop, sondern als ungezwungenen Art-Pop erscheinen lässt.
Shift | Henry Green
Die Stücke „I“ und „We“ bekommen als instrumentale Lautmalereien gleichartige Schwingungen zugeordnet. Das Ego und die Gemeinschaft werden dadurch mit ähnlich gelagerter Wertschätzung dargestellt. Die beiden Kompositionen gehen künstlerisch verlockend mit dem Hörer um, fordern ihn heraus und umgarnen ihn gleichzeitig. „Aiir“ bedient durch den gleichzeitigen Einsatz von rhythmischen Elementen und Schwebeklängen gegensätzlich ausgerichtete Muster und Ebenen. Dadurch widersetzt sich der Song einer eindeutigen Charakterisierung.
„Shift“ verkôrpert Eleganz und Wendigkeit, während „Another Light“ lebhafte Pop-Elemente nutzt, um die melancholische Grundstimmung aufzuhellen.
Das relativ statische „Stay Here“ wird allmählich zu einem atmosphärischen Jazz-Stück aufgebaut, erlebt aber die vollständige Metamorphose nicht mehr. „Without You“ mag zunächst traurig erscheinen, verwendet aber einen regelmäßig eingesetzten, asiatisch anmutenden Takt, um die Stimmung im Gleichgewicht zu halten. „Contra“ ist im Kern eine Piano-Ballade, sie wird aber durch Break-Beats auf ein modernes Pop-Level gehoben. Wie ein geheimnisvoller Science-Fiction-Soundtrack hört sich dann das instrumentale „In Bloom“ an und „Something“ mutet ähnlich mitfühlend an, wie eine zurückhaltend-intime Elliott Smith Alternative-Folk-Nummer.
Konkurrierende Erlebnisse werden oft bei „Shift“ zur Erzeugung von Spannungsfeldern herangezogen. Das geschieht sehr subtil und einfühlsam. Die Kompositionen basieren auf dem Thema Bewegung, das sowohl physikalisch wie auch emotional ausgelegt werden kann. Die gleitenden, beschwichtigenden, zyklischen Wiederholungen tragen die Melancholie auf silbernen Schwingen davon, so dass die Lieder zwar Weh- und Demut andeuten, aber auch Zufriedenheit und Ermunterung veranschaulichen. Eine seltene Eigenschaft, die nicht nur im Elektro-Pop-Umfeld wertvoll und unterhaltsam ist. „Shift“ ist ein schönes Beispiel für angenehme, leichte Kost mit Niveau.

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