Eels - The Deconstruction (2018)

MARK OLIVER EVERETT ist ein Getriebener, ein von Musik besessener und eine gequälte Seele. Nun erscheint mit THE DECONSTRUCTION sein dreizehntes Album unter dem Bandnamen EELS und es ist wieder stark ausgefallen. 

Nach vierjähriger Veröffentlichungspause setzt Mark Oliver Everett nahtlos da an, wo er 2014 aufgehört hatte.


Die Musik hat Mark Oliver Everett das Leben gerettet. Die Biographie des 1995 in Los Angeles geborenen Musikers ist von massiven Schicksalsschlägen und unglücklichen Verwicklungen durchzogen. Im Alter von neunzehn Jahren fand er seinen Vater Hugh Everett III, den berühmten Physiker und Begründer der Viele-Welten-Interpretation, nach einem Herzinfarkt tot im Bett. Später nahm sich dann noch seine Schwester das Leben und seine Mutter starb an Krebs. Und damit nicht genug, wurde seine Cousine noch ermordet. Sie war Stewardess in dem Flugzeug, das am 11. September 2001 zum Absturz in den Pentagon gebracht wurde. Nicht nur diese tragischen Todesfälle, sondern auch die nach eigener Aussage inkonsequente und gefühlskalte Erziehung führten bei Mark Oliver zu einer erdrückenden Unsicherheit, die sich in Depressionen und Drogenkonsum äußerte.
Everett verarbeitet seinen Schmerz, seine Niedergeschlagenheit und Ängste, indem er diese Gefühlslagen in Songs zum Ausdruck bringt. Nach zwei Soloalben, die Anfang der neunziger Jahre unter dem Pseudonym E erscheinen, kommt 1996 das erste Album seiner Band Eels unter dem Namen „Beautiful Freak“ auf den Markt. Und als wolle er den Grund für seine Verbindung mit der Musik an den Anfang setzen, beginnt das Werk mit dem Lied „Novocaine For The Soul“ (Schmerzmittel für die Seele), dessen Aussage als Sinnbild für seine offene Therapie-Philosophie steht. „Glückstage in der Hölle“ ist ebenfalls ein früher Song-Titel und die Bezeichnung für die Lebensgeschichte, die 2013 veröffentlicht wurde. Der Name beschreibt eindeutig die widersprüchliche Gemütslage seines Autors.
Natürlich sind die Eels ein Vehikel für Mark Olivers musikalische und inhaltliche Vorstellungen. Er ist und bleibt Herz und Hirn der Gruppe, deren Beiträge je nach seelischem Zustand ihres Chefs emotional schwanken. Everett kehrt sein verletztes Innenleben nach außen und macht sich dadurch angreifbar, kann aber sogar hellere, optimistische Phasen nachweisen. Graue Moll-Töne sind jedoch immer vorhanden. Diese können sowohl aggressiv-provozierend wie auch zärtlich-mitfühlend dargeboten werden. Egal, welche Ausprägung gewählt wird, viele Ideen ranken sich um Melodien, die isoliert betrachtet als klassischer Pop bestehen könnte. Stilistisch lässt sich Mr. E nicht einschränken. Er verglich seine kompositorische Vorgehensweise mal mit den Beatles: Er wolle nicht wie sie klingen, aber wie sie agieren, indem er alles aufsauge, was um ihn herum musikalisch passiere. Deshalb können durchaus Anleihen, die beim HipHop, bei James-Bond-Soundtracks, bei klassischen Streich-Quartett-Aufnahmen, bei Krautrock-Experimenten oder bei Lagerfeuer-Folk gemacht wurden, wahrgenommen werden. Diese Beigaben dienen jeweils nur als Verzierung. Everett prägt nämlich mit seinem Gesang, der so elastisch, dynamisch und flexibel ist, dass er bei allen Emotionslagen authentisch wirkt, maßgeblich die Dynamik des Verlaufs und die Ausdruckskraft der Ideen.
Nach der erwähnten Vorgeschichte könnte der Eindruck entstehen, Everett schreibt Musik, die ausschließlich für verlorene Seelen bestimmt und für seine Eigentherapie gedacht ist. Sie funktioniert jedoch auch unabhängig von diesen Annahmen und kann auch Motivator, Tröster und Antreiber sein. Denn selbst wenn ihr Schöpfer zwischen Verzweiflung und Glück taumelt, ist er ein Überlebender, der mit der Kraft und der Empathie seiner Werke dafür wirbt, schwere Zeiten mutig durchzustehen. Denn es kann immer wieder Glückstage in der Hölle geben. Oder wie es Mark Oliver selber ausdrückt: Wir alle haben schlechte Tage, aber warum kann man nicht versuchen, einfach nett zu sein. Das wäre schon eine schöne Geste an die Welt. Wir leben in verrückten Zeiten, aber es gibt immer noch Schönes zu entdecken. Das ist in etwa die Kern-Botschaft vieler Eels-Stücke.
The Deconstruction - Eels: Amazon.de: Musik
Das aktuelle, insgesamt dreizehnte Werk beinhaltet zwölf Songs und drei skizzenhafte, kurze, nicht voll auskomponierte Zwischenspiele („The Quandary“, „Coming Back“, „Archie Goodnight“). Feingliedrig und romantisch-verträumt verspricht das Stück „The Deconstruction“ zunächst einen ruhigen Verlauf. Der Track wird allerdings zwischendrin durch einen strammen Rhythmus geerdet, der von aufmüpfigem Gesang begleitet wird. Eine spannungsgeladene Thriller-Atmosphäre trifft bei „Bone Dry“ auf breitbrüstigen Garagen-Rock.
„Premonition“ hat eine anmutig-sakrale Komponente, läuft völlig unaufgeregt ab und ist in seiner Erscheinung unauffällig. Barockmusik-Loops flankieren die rhythmisch agile Ballade „Rusty Pipes” und das traurige „The Epiphany“ verbreitet graue Novemberstimmung.
Der Power-Pop von „Today Is The Day“ verströmt jugendliche Unbekümmertheit und eine ausgelassene Stimmung. Eine bedrohliche Lage wird danach bei „Sweet Scorched Earth“ kurz angedeutet, bevor das Lied in liebliche Gefilde überführt wird. Das sanfte „Be Hurt“ ist tröstend wie die Umarmung eines lieben Menschen, während scharfer, tanzbarer Rhythm & Blues „You Are The Shining Light“ auszeichnet. Berührend und sensibel schleicht sich „There I Said It“ in die Ohrmuscheln und die instrumentale Mini-Sinfonie „The Unanswerable“ lässt an „Pet Sounds“ der Beach Boys denken. Wie der Titel schon andeutet, wird es bei „In Our Cathedral“ feierlich und sakral-bedächtig. Selbst der Gesang bekommt so viel Hall, dass er sich anhört, als wäre er in einer Kirche aufgenommen worden.
Die vier Jahre zwischen „The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett“ und „The Deconstruction“ haben also nicht zu einem Soundwandel geführt. Das neue Werk reiht sich musikalisch nahtlos in die bisherige Diskographie der Eels ein und zeigt bei einer starken kompositorischen Leistung einen Querschnitt vieler Ausdrucksmöglichkeiten von Mark Oliver Everett auf.

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