Anne Paceo - Bright Shadows (2019)

Dass der Begriff „Bright Shadows“ kein Widerspruch sein muss, sondern für eine besondere Wahrnehmung und Sichtweise steht, verdeutlicht Anne Paceo mit ihrem neuen Werk.
Als Kind lebte Anne Paceo mit ihren künstlerisch veranlagten Eltern an der Elfenbeinküste in Afrika. Dort erlebte sie die landesspezifischen, durchdringenden, hypnotischen Trommel-Töne, die ihre Musikauffassung nachhaltig prägten. Das Schlagzeugspiel wurde fortan ihre Passion. Zwangsläufig kam es auch zum Studium dieses Instrumentes am Pariser Conservatoire National de Musique. Seit ihrem 19. Lebensjahr steht Anne nun schon auf der Bühne, gewann einige Musikpreise und wurde unter 200 Bewerbern von dem legendären Bassisten Charlie Haden persönlich neben sieben weiteren Bewerbern für einen Workshop mit ihm ausgewählt. Haden war danach voll des Lobes für die junge Künstlerin und es ergab sich, dass Anne Paceo später zusammen mit dem Pianisten Michel Legrand als Vorgruppe für ihn auftreten durfte. Außerdem arbeitete die versierte Schlagzeugerin unter anderem mit Mélissa Laveaux, Ravi Coltrane sowie Dianne Reeves zusammen. Daneben spielte sie noch in einigen Rock-, Funk- und Soul-Bands und lernte dadurch ein breites Ausdrucks-Spektrum kennen. Ihre erste Plattenaufnahme erschien 2008 als Mitglied des Trios Triphase, zu dem noch der Pianist Leonardo Montana und der Bassist Joan Eche Puig gehörten.
„Bright Shadows“ ist Album Nummer sechs der vielseitig Begabten, die hier als treibende, einfühlsame und phantasievolle Schlagzeugerin brilliert und außerdem demonstriert, welch gute Sängerin sie ist. Als Verstärkung stehen ihr Ann Shirley Ngouassa (Teilnehmerin von „The Voice Of France“ 2017) und Florent Mateo (3Somesisters) als ausdrucksvolle Gesangspartner sowie der Gitarrist Pierre Perchaud, Christophe Panzani an Saxophon und Klarinette nebst Keyboarder Tony Paeleman als brillante Instrumentalisten zur Seite. Die umfangreichen Erfahrungen, die Anne bei Auftritten in über 40 Ländern auf fünf Kontinenten sammeln konnte, kommen den neuen Kompositionen sehr zu Gute. Denn es sollte Musik ohne stilistische Grenzen entstehen, die so viele Einflüsse und Eindrücke wie möglich verarbeitet und dabei Emotionen ungebremst zulässt. „Wenn ich ein neues Stück komponiere, kommt mir immer zuerst die Melodie in den Sinn. Ich singe viel, wenn ich ein Stück schreibe. Meine Musik wird oft durch Erfahrungen, Menschen, die ich treffe, intime Gedanken und bemerkenswerte Orte inspiriert. Ich erzähle eine Geschichte, meine Geschichte, ohne immer Worte zu benutzen. Musik sollte für mich die Sinne wecken, anstatt mit dem Verstand zu sprechen“, beschreibt die Künstlerin ihre Vorgehensweise und Beweggründe beim Komponieren und Gestalten.
„Bright Shadows“ ist kein ausgesprochenes Jazz-Album geworden. Eher ein anspruchsvolles Art-Pop-Werk mit Jazz-Beigaben: „Tomorrow“ vereinigt den spirituellen Gospel-Charme von Lizz Wright mit den minimalistischen Rhythmus-Strukturen, die Grace Jones für ihre futuristischen Disco-Gebilde benutzte. Angereichert wird das Ganze durch sphärische Synthesizer-Töne, wie sie Joan As Police Woman auf ihrem letzten Werk „Damned Devotion“ (2018) anschlug. 
Das Titelstück „Bright Shadows“ wie auch „Nehada“ und „Jasmine Flower“ offenbaren die westafrikanischen Wurzeln der Musikerin und fördern lebendige, wirbelnde und vielschichtige Rhythmen zu Tage.
Das mit zweigeschlechtlichem, harmonischem Pop-Gesang ausgestattete „Bright Shadows“ wird dabei durch ein Jazz-Rock-Gitarren-Solo torpediert, welches das bis dahin rhythmisch aktiv agierende Stück in der Mitte förmlich auseinander zu sägen droht. Da sich die Wellen aber noch glätten, gerät das Lied in ruhigeres Fahrwasser und erhält ein sakrales Ende. 
Der belebende Afro-Folk „Nehanda“ profitiert von elektronisch erzeugten, exotischen Töne und aufgekratzten Saxophon-, Keyboard- und Schlagzeug-Kaskaden. Die Persönlichkeit der spirituellen Führerin Nehanda Charwe Nyakasikana aus Simbabwe, die 1896 gegen die Kolonialmacht Großbritannien revoltierte, inspirierte diese Komposition. Stimme und Instrument agieren für „Jasmine Flower“ häufig im abgestimmten, ausgewogenen Gleichklang und ein Funk-Groove sorgt für Bewegung und Schwung. Minimalistisch aufgebaute Begleit-Muster vermitteln daneben als Kontrast gehetzte Nervosität.
Beruhigend und sanft wie ein Gute-Nacht-Lied präsentiert sich das Jazz-Chanson „Hope Is A Swan“. „Calle Silencio“ ist nicht so still, wie der Titel vermuten lässt. Die Taktgebung erwacht nach und nach zu pulsierendem Leben, atmet ein und aus und hinterlässt in sich ruhende sowie euphorische Momente. Die reine, helle Stimme von Florent Mateo dominiert und prägt „The Shell“. Der klar fließende, nach Harmonie suchende Gesang wird lange Zeit von künstlichen Schwebeklängen begleitet und von ungleichmäßigen Break-Beats herausgefordert.
„Wenn ich Musik schreibe, komme ich in einen ganz bestimmten Zustand. Ich bin dann wie eine andere Person und muss im Anschluss meinem Ensemble immer erläutern, was ich mir wie gedacht habe. Dabei arbeite ich wie ein Regisseur, der mit seinen Schauspielern ein Stück erarbeitet.“, erklärt die Musikerin ihre Ideenfindung und -umsetzung. Die Text-Grundlagen entstehen üblicherweise in einem Brainstorming-Prozess. Daraus verfassen dann in die Gedanken eingeweihte Partner stimmige Formulierungen. Der Song „Stranger“ hat auch solch einen Prozess durchlaufen: „Es ist ein Stück, das von der Migration erzählt, vom fremd sein in der Fremde. Erst einmal hatte ich nur den Refrain „Ich weiß, dass Du ein Fremder bist“ im Kopf. Das bekommen alle zu hören, die nach Europa kommen. Ich wollte aber auch etwas über ihre Familie erzählen, ihre Reise und ihre Hoffnungen.“ Das Lied drückt mit seiner traurigen Stimmung Verzweiflung und Enttäuschung aus. Das Saxophonsolo überträgt daneben auch noch Wut und Angst. Die den Kunst-Lied-Reigen abschließende Piano-Ballade „Contemplation“ wirkt ähnlich ergriffen. Der wohlklingende Harmoniegesang und das kaum auffallende Vogelgezwitscher im Hintergrund hinterlassen jedoch ein paar tröstende und aufhellende Hoffnungsschimmer.
„Bright Shadows“ zeigt Vielfalt, Können, Empathie und Phantasie. Die ausdrucksstarke, anregende, teils energische, teils sensible Musik offenbart Substanz für viele Hördurchgänge. Anne Paceo empfiehlt sich dabei als anspruchsvolle Komponistin und Interpretin für Hörer, die das Besondere und Ungewöhnliche lieben. Wer Musiker wie Peter Blegvad, John Greaves oder Syd Straw schätzt, der wird auch Anne Paceo gerne in seine Sammlung aufnehmen.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Anne Paceo - Bright Shadows

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