L` Èclair - Sauropoda (2019)

L` Èclair bewegen sich mit „Sauropoda“ im Spannungsfeld zwischen Kunst und Dekoration.

„Das kann man gut nebenbei hören“ ist ein herabwürdigendes Prädikat, welches für eine musikalische Leistung vergeben wird, die den Eindruck hinterlassen hat, eigentlich überflüssig zu sein. So können verträumte, seichte Klänge leicht in Verdacht geraten, sie wären pure Gebrauchsmusik und nur dazu da, hilfreiche Gefühle bei Menschen zu wecken: Kauflust im Supermarkt, Gelassenheit im Fahrstuhl, Antrieb im Fitnessstudio oder Geduld in der Telefonwarteschleife. Im Laufe der Zeit wurden wir darauf konditioniert, solche Eindrücke mit gewollter Manipulation zu verbinden. Es gibt aber auch Musiker, die grade mit einer ähnlichen Methode erreichen wollen, dass sich das Publikum ganz und gar auf die Töne konzentrieren kann und darin aufgeht. Häufig bleibt es aber eine nicht unbedingt eindeutig zu definierende Gratwanderung, wie die Musik letztlich einzustufen ist. Das hängt meistens davon ab, welche Erwartungshaltung der Hörer mitbringt.
Auch „Sauropoda“, das dritte Album der aus sieben Musikern bestehenden Schweizer Band L` Èclair läuft Gefahr, in die falsche Ecke gestellt zu werden. Benutzen die Musiker doch auch die Muster, die als berechnend eingestuft werden. Aber wie so oft machen geschmackvolle Details und Sachverstand den Unterschied zwischen dem Profanen und dem Besonderen. So auch hier. Die fünf Instrumentaltitel, die zwischen drei und beinahe dreizehn Minuten lang sind, lassen sich nämlich nicht auf eine Gangart, einen Stil oder eine Linie reduzieren. Sie enthalten Elemente des Ambient, des Jazz sowie des Soft-, Progressive-, Kraut- und Space-Rock. Durch diese Vielfalt gewinnt der Sound an Farbe, Durchlässigkeit, Dynamik und Spannung.
Urbaner Chic und Stimmungen, die aus der Wildnis herüber zu schwappen scheinen, teilen sich für „Still Steeve“ die Aufmerksamkeit. Die Vernetzung dieser Eindrücke erfolgt auf einer Ebene, die den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Kulturen darstellt, nämlich den Wunsch nach Glück, Entspannung und Frieden. „Endless Dave“ spannt einen langen Bogen. Töne, die in dieser Form an altmodische, angestaubte 50er Jahre-Hammond-Orgel-Mainstream-Unterhaltung erinnern, sowie überholte, künstliche Space-Age-Sounds, die eine verheißungsvolle Zukunft symbolisieren und intellektuell angehauchte, moderate Jazz-Improvisationen, die kreative Freiheiten zur Schau stellen, lassen die Perspektiven zwischen Moderne und Tradition sowie zwischen ernster- und unterhaltsamer Musik verschwimmen.
Der Minimalismus von „Castor MacDavid“ saugt Funk-Takte auf und deutet somit auf die Tanzfläche, ohne aber die Zügel völlig loszulassen. Disziplin und Korrektheit nehmen dem Track die Hitze und geben ihm eine kühle Eleganz. „Suite II“ schaut in den Weltraum, erkennt die Ewigkeit und holt die unendlichen Schwingungen zurück auf die Erde. Dort werden sie in atmende, hypnotisch-monotone Sequenzen umgewandelt.
„Parapluie Bulgare“ lässt Afro-Rhythmen erklingen, die zusammen mit elektronischen Hilfsmitteln eine Einheit bilden und zu einem mechanisch ablaufenden Konstrukt mit sphärischem Überbau geformt werden.
Alle diese Ideen wurden in nur zwei Tagen in einer Schweizer Berghütte aufgenommen. Es blieb deshalb keine Zeit, die Kompositionen auszufeilen, zu verschönern und dadurch eventuell zu verschlimmbessern. Die Spontanität blieb also weitestgehend erhalten und die ersten Impulse bei der Ausgestaltung prägen den Ablauf. Was „Sauropoda“ aus der Menge der Ambient- und Kraut-Rock-Produktionen heraushebt ist die Tatsache, dass hier der Groove, der Rhythmus, das Körperliche und die Bewegung eine größere Rolle spielen, als bei den üblichen Aufnahmen dieser Richtungen, die vorwiegend sphärische, betäubende und introvertierte Wirkungen in den Vordergrund rücken. L` Èclair erarbeiten sich dadurch eine Atmosphäre, die sowohl die Konzentration wie auch die Entspannung fördern, ohne dabei in esoterisches Gesäusel zu verfallen.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: L` Èclair - Sauropoda

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