Filthy Friends - Emerald Valley (2019)

Filthy Friends: Fünf Freunde wettern mit "Emerald Valley" gegen die politische Situation in den USA und legen dabei ihre umfangreiche musikalische Vergangenheit in die Waagschale.
Schon wieder so lange her: Am 21. September 2011 lösten sich R.E.M. offiziell auf. Auf der Höhe ihres Bekanntheitsgrades ging das ohne Streitereien ab, einfach weil die Bandmitglieder der Meinung waren, dass alles gesagt und getan war. Ein würdevoller Abgang für die Vollblutmusiker, die sich 1980 in Athens, Georgia als College-Rock-Band zusammenfanden und im Laufe ihrer Karriere etwa 85 Millionen Alben verkauften und zu den Superstars der Musik-Szene aufstiegen. Seit dem Split ist es um die ehemaligen Kollegen hinsichtlich ihrer musikalischen Aktivitäten ruhig geworden. Nur Gitarrist Peter Buck war musikalisch relativ aktiv. Er veröffentlichte bisher drei Solo-Alben, war unter anderem Teilnehmer an den Projekten The Minus 5 sowie Tired Pony und schloss sich 2017 der Formation Filthy Friends an.
Zu diesem Kollektiv gehören aktuell noch folgende renommierte Persönlichkeiten aus der Alternative-Rock-Szene der USA: Corin Tucker, Sängerin und Gitarristin des Riot-Grrrl-Trios Sleater-Kinney aus Olympia (Washington) ist die Lead-Sängerin der Gruppe. Der Songwriter, Gitarrist und Produzent Kurt Bloch wurde unter anderem als Mitglied bei den Fastbacks und den Young Fresh Fellows bekannt. Leader der Young Fresh Fellows war der Muliinstrumentalist Scott McCaughey, der außerdem bei The Minus 5 spielt und R.E.M. ab 1994 an Gitarre, Bass und Keyboards verstärkte. Schlagzeugerin Linda Pitmon trommelt für Steve Wynn & The Miracle 3sowie The Baseball Project und gehört seit 2017 zur Besetzung des Quintetts. Nach „Invitation“ von 2017 erscheint jetzt mit „Emerald Valley“ der zweite Longplayer dieser hochkarätig besetzten Gruppe. Filthy Friends ist im Prinzip eine Garagen-Rock-Band, bei der druckvolle und verschlungene Gitarren, ein kompakter Rhythmus und eine breite Auslegung des Genres im Vordergrund stehen.
Das Stück „Emerald Valley“ bezieht sich auf die sozialen Zustände in Eugene (Oregon, dem Heimatort von Corin Tucker und ist ein klar strukturierter Folk-Rock, der alleine aufgrund der ähnlichen Besetzung an die Cowboy Junkies erinnert. Corin Tucker ist als Sängerin allerdings zupackender und direkter als ihre Kollegin Margo Timmins von dem kanadischen Gegenstück. Beide Frontfrauen prägen jedoch aufgrund ihrer Persönlichkeit den Sound ihrer Band maßgeblich und sind deren unverwechselbare Aushängeschilder. Die Filthy Friends loten die Bandbreite ihrer Möglichkeiten innerhalb ihrer selbst gesteckten Grenzen mit verschiedenen emotionalen Ausprägungen aus: „Pipeline“ pendelt sich z.B. zwischen Ballade und Power-Pop ein. 
Röhrende, schrill-giftige Gitarren, ein treibendes Schlagzeug und deftig angerauter Gesang sorgen dafür, dass bei der Trump-Kritik von „November Man“ die Zähne gefletscht werden.
Das schnelle „Only Lovers Are Broken“ lebt von aufgestachelten Gitarren, die das Tempo flott halten. Der Gesang ist dagegen etwas zurückgenommen und lässt sich nicht von der Hektik gleichschalten. 
„Angels“ geht als Ballade durch, auch wenn der Song nicht übermäßig auf die Tränendrüse drückt 
und bei „The Elliott“ sind die E-Gitarren jederzeit bereit zur Attacke, halten sich aber abwartend zurück. Die Melodie von „One Flew East“ ist zu eindimensional ausgefallen, um im direkten Vergleich mit den anderen Tracks bestehen zu können und „Break Away“ setzt auf Unbekümmertheit und Pop-Appeal, büßt dadurch aber an Schärfe ein. Der Punk von „Last Chance County“ ist ruppig, lässt aber auch geordnete Abläufe zu 
und das nachdenklich-traurige „Hey Lacy“ wird vorsichtig von gleißendem Feedback durchzogen, bewahrt sich aber trotzdem eine gewisse Unschuld.
Die Filthy Friends verpacken ihre bissige Gesellschaftskritik in bewährte Roots-Rock-, Punk- und Pop-Muster, die traditionsbewusst und kompetent dargeboten werden. Die vielfältigen Erfahrungen, Neigungen und Vorlieben der beteiligten Künstler lassen etliche Einflüsse aufblitzen. Neben frühem Indie-Roots-Rock von R.E.M., abgeklärtem Riff-Rock der Rolling Stones, cool-geschmeidigem Pop-Rock von Tom Petty, leidenschaftlichem Punk-Pop von The Plimsouls und laszivem New-Wave-Pop der Pretenders finden sich noch viele weitere Zitate, die mehr oder weniger offen in die neuen Eigenkompositionen eingeflossen sind. Die Musiker bringen ihre individuellen Stärken dabei überzeugend ein: Peter Buck beweist erneut, welch ausgefuchster Gitarrist er ist. Kurt Bloch und Scott McCaughey unterstützen songdienlich und sorgen für ein solides Fundament. Und Linda Pitmon gehört sowieso zu den versiertesten, flexibelsten und geschmeidigsten Schlagzeugerinnen im Rock-Bereich. Auch Corin Tucker macht ihre Sache als Frontfrau gut, singt mit engagierter, voller Stimme, die jede Variation ohne Mühe ausfüllt. Jedoch hätte zusätzlicher Solo- oder Duett-Gesang den Songs noch mehr Würze verleihen können.
Jedenfalls gehen die Musiker jeder Peinlichkeit aus dem Wege, agieren souverän und überwiegend scharfkantig im weiten Feld des Roots-Rock, Punk und Pop, ohne aber eine musikalische Revolte anzuzetteln. Sie kanalisieren ihre Erfahrungen zu einem Sound, der aus heutiger Sicht eigentlich schon zum neuen Classic-Rock gehört, obwohl er vornehmlich aus den 1980er und 1990er Jahren schöpft. „Emerald Valley“ fasst also angesehene Rock & Roll-Strukturen zusammen, ist dabei selten aufmüpfig, manchmal spontan, häufig diszipliniert und stets handwerklich außergewöhnlich versiert.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Filthy Friends - Emerald-Valley

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