Vampire Weekend - Father Of The Bride (2019)

Das Warten hat sich gelohnt: Vampire Weekend melden sich nach sechs Jahren Veröffentlichungspause mit "Father Of The Bride" zurück.
Anfang 2019 kamen die ersten Gerüchte auf, dass es noch in diesem Jahr nach „Modern Vampires Of The City“ von 2013 endlich ein neues Album von Vampire Weekend geben sollte. „Mitsubishi Macchiato“ wird es heißen, hieß es. Nun kommt die vierte Platte der New Yorker Formation um Ezra Koenig als „Father Of The Bride“ auf den Markt, enthält achtzehn neue Songs und hat eine Laufzeit von 57 Minuten. Die Gruppe sorgte im Jahr 2008 mit ihrem Erstlingswerk, auf dem sie sich als Liebhaber von afrikanischen Sounds präsentierten, die sie mit Elementen aus New Wave und Pop vermengten, für Furore. Ganz in der Tradition von Paul Simons „Graceland“ und „Remain In Light“ von den Talking Heads sorgten sie so für ein Revival von lebhaften, polyrhythmischen Sounds in der Pop-Musik. Zwei weitere Alben („Contra“, 2010 und „Modern Vampires Of The City“, 2013) folgten und etablierten die New Yorker als verlässliche Lieferanten von gediegenen Songs.
Das von vielen Fans sehnsüchtig erwartete neue Album spart nicht mit Zitaten aus der Pop-Historie, dabei lassen sich die Einflüsse inzwischen aber nicht mehr auf Afrika reduzieren. Vampire Weekend sind längst erwachsen geworden und haben den Anspruch, jedes Album anders klingen zu lassen. Dadurch, dass die Besetzung mit Ezra Koenig (Gesang, Gitarre), Chris Baio (Bass) und Chris Thomson (Schlagzeug) auf ein Trio geschrumpft ist, gab es eh Anpassungsbedarf. Multi-Instrumentalist Rostam Batmanglij hatte die Gruppe nämlich 2016 verlassen, bleibt ihr aber freundschaftlich und unterstützend erhalten. Eine alte Regel besagt, dass ein guter Pop-Song um die drei Minuten lang sein sollte, um seine stimulierende oder mitfühlende Wirkung optimal entfalten zu können. Diesen Grundsatz setzt die Gruppe außer Kraft. Von den achtzehn neuen Liedern sind acht unter drei Minuten lang, ohne dabei fragmentarisch zu wirken. Ein sehr beglückender Track hat sogar eine Laufzeit von fünf Minuten und ist dabei keine Sekunde zu lang.
„Father Of The Bride“ wird von der Gospel-Folk Ballade „Hold You Now“ eingeleitet, die sowohl afrikanisch anmutende Chorgesänge, wie auch Country-Harmonien unter Mithilfe des Gesanges von Danielle Haim von der aus drei Schwestern bestehenden Gruppe Haim aufbietet, um stilistische Offenheit zu demonstrieren. 
Mit „Harmony Hall“ gesellt sich sofort eine verdammt clever-charmante Pop-Komposition mit großem Hit-Potential hinzu. Es werden alle Register gezogen, um den Hörer zu überzeugen: Eine unwiderstehliche Melodie, ein Killer-Refrain mit der Textzeile „I Don`t Wanna Live Like This, But I Don`t Wanna Die“ und raffinierte Tempo- und Dynamik-Wechsel sorgen für unbeschwerte, bestmögliche Anregung. Jetzt schon ein Anwärter auf den Song des Jahres.
„Bambina“ ist nicht ganz so zwingend, spielt eher mit durchsichtigen Reizen, hält aber zumindest die gute Stimmung hoch. 
Auch bei „This Life“ handelt es sich um einen eingängigen Song, dessen liebliche und angenehme Leichtigkeit in Verbindung mit verblüffenden Arrangement-Ideen für eine kurzweilige Zeit sorgt. Nebenbei reflektiert er ungeniert die Atmosphäre von „Brown Eyed Girl“ von Van Morrison
Der Country-Folk von „Big Blue“ glänzt durch schwirrende Slide-Gitarren und einen sakralen Chor. Beide Verzierungen verursachen trotz dezentem Einsatz eine stilbildende Wirkung. „How Long“ swingt dann ungewöhnlich kunstvoll-verspielt und wirkt trotzdem unverkrampft. 

„Unbearable White“ gibt sich zunächst abgeklärt und cool, verarbeitet aber auch dramatische Momente. Folkloristische, beschwingte Töne holen „Rich Man“ aus der sich ankündigenden Melancholie heraus 
und bei „Married In A Gold Rush“ fungiert wieder Danielle Haim als Gesangspartnerin von Ezra Koenig. Der Titel wurde als Country-Song konzipiert, enthält aber auch Afro-Pop- und kammermusikalische Anteile. 
Die schummrige Late Night Jazz-Ballade „My Mistake“ greift danach eine Stimmung auf, die von Resignation geprägt ist.
„Sympathy“ geht mit Hilfe von Flamenco-Rhythmen einen ganz anderen Weg. Hier sind Schwung und Bewegung angesagt. Auch gewollte Brüche können die so erzeugte Energie nicht stoppen.

„Sunflower“ schaukelt sich innerhalb von zwei Minuten in operettenhafte Höhen hinauf und „Flower Moon“ klingt, als hätten Vampire Weekend den psychedelischen Pop durch afrikanische und spanische Rhythmen neu belebt. 
Das zarte „2021“ wird durch verfremdeten Gesang aus seiner Komfortzone geholt. Aufgeräumt, beinahe naiv kommt der Folk „We Belong Together“ aus den Lautsprechern. 
Mehrstimmige Harmonie-Gesänge leiten „Stranger“ ein und begleiten das kontrolliert beschwingte Lied, welches auch aus dem Repertoire von Paul Simon stammen könnte. 
„Spring Snow“ weist als Gimmick ähnliche Vokoder-Stimmen auf, wie sie Kurt Wagner auf seinem letzten Lambchop-Werk „This (Is What I Wanted To Tell You)“ (2019) verwendet hat. Der Latin-Rhythmus aus dem Computer verleiht dem Lied einen lebendigen Puls und das Klavier gibt dem Geschehen Farbe. 
Die Piano-Ballade „Jerusalem, New York, Berlin“ weist zum Schluss nochmal eine bitter-süße Melodie auf. Die Arrangements werden luftig gehalten, um dem Lied trotz würdevoller Stimmung Atempausen zu verleihen.
„Father Of The Bride“ ist POP in Großbuchstaben: Reife, anspruchsvolle Musik eigener Gangart, mit Seele und Kunstlied-Ausschmückungen. Die Wurzeln dafür liegen zum Beispiel bei Paul Simon und XTC. Das erstaunliche an der Platte ist, dass die meisten Songs solch eine robuste Qualität haben, dass alle Wendungen, Einschübe, Tempo- und Dynamikwechsel nicht zu einem Ungleichgewicht, sondern sogar noch zu einer höheren Attraktivität führen. Unterschiedliche Stile und Einflüsse werden hier mit Hilfe von melodischen Finessen passgenau miteinander gekoppelt. Diese eigenständigen Sounds sind zu schade zum flüchtigen Hören. Das ist Musik zum genießen und entdecken. Ezra Koenig hat eine Idee von universeller Musik entwickelt, die nur dem guten Geschmack verpflichtet ist. Zeitlos und langlebig soll sie Spaß mit ungewöhnlichen Ideen verbinden. Ganz schön komplexe Anforderungen, die jedoch souverän und kompetent angegangen wurden. „Father Of The Bride“ ist nicht weniger als ein kleines Meisterwerk geworden.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Vampire Weekend - Father Of The Bride

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