Musik-Rezensionen und Musiker-Portraits aus den Gebieten: Individuelle Singer-Songwriter, Soul, Jazz, Blues, Folk, Rock, Country, Art-Rock und Pop.
Inga Lühning & André Nendza - Hodgepodge Vol. II (VÖ: 04.12.2020)
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Auf der Homepage von Inga Lühning & André Nendza ist zu lesen: "Lühning & Nendza spielen Songs. Eigene. Und auch von Anderen. Auf eigene Art. Wagen einen Spagat von Degenhardt zu Michael Jackson. Und manches mehr. Lühning & Nendza spielen pur mit Stimme und Kontrabass. Und dann doch nicht so pur mit Loopern, E-Bass, Effekten und Bass-Schlitztrommel. Lühning & Nendza spielen Jazz, denn sie geraten sehr gerne auf improvisatorische Abwege. Und dann wieder zurück zu: Lühning & Nendza spielen Songs...". Das trifft es schon recht deutlich, denn wer sollte seine Kunst besser beschreiben können als die Künstler selbst.
Ihre Ideen bringt das Duo jetzt schon zum zweiten Mal auf Tonträgern unter die Leute. Aber können die Musiker damit den in dieser Konstellation sonst oft üblichen verschnarchten Mief von steifer Kultur zum Zwecke der gesitteten Erbauung abstreifen? Hat ihr Eigen-/Fremdkompositions-Mix genügend Substanz, um eigenständig zu bestehen und auf hohem Niveau zu unterhalten, ohne konservativ zu wirken? Oder macht das Werk seinem Namen Ehre (Hodgepodge heißt soviel wie Mischmasch) und es hört sich wie ein unsortierter Gemischtwarenladen an? Wir werden sehen, beziehungsweise hören.
"Hodgepodge Vol. 1" erschien 2017 und enthielt fünf Fremd- und sieben Eigenkompositionen. Dieses Verhältnis wurde auch bei der neuen Folge beibehalten. Sie beginnt mit einer Cover-Version von Shel Silversteins "The Ballad Of Lucy Jordan". Das Lied wurde durch eine zerschossen-kaputte Synthie-Pop-Fassung von Marianne Faithfull richtig bekannt. Hier geht es gesitteter zu. Inga singt sauber und harmonisch und André lässt seinen Bass wohlig grummeln. Der Schönklang wird durch rhythmische Loops und Effekte zwar ein wenig aus seiner Komfortzone geholt, behält aber trotzdem die Obrigkeit. Revolutionäre Auswüchse werden im Keim erstickt.
Inga Lühnings "Healing Song" verwendet Minimal-Art-Takte, die mechanische und ethnische Töne zusammen bringen. Die makellose Stimme bringt dazu hoffnungsvolle Töne ein und so entsteht ein schöner Art-Pop-Song! Bassist André Nendza steuert dann mit "Until" eine Ballade bei, die sowohl im Jazz, wie auch im Pop angesiedelt ist. Beide Stile laufen sowohl zusammen, wie auch getrennt voneinander ab. Das wohl in diesem Zusammenhang unvermeidliche Bass-Solo stellt allerdings einen Bruch da, der nicht unbedingt erbaulich, zielführend und nötig erscheint.
"Du kannst zaubern" ist die norddeutsche Übersetzung des Bap-Songs "Do kanns zaubere" von 1982. Die stimmliche Phrasierung und die Jazz-Chanson-Interpretation des Liedes erinnern an Lisa Bassenge & Nylon. Das Erfüllen von Hör-Erwartungen spielt hier jedoch keine Rolle, vielmehr werden nach Herzenslust verschiedene instrumentelle Begleitungen ausprobiert und spielerisch ein paar Gesangsspuren montiert.
Franz Josef Degenhardt ist einer der Urväter des politischen, sozialkritischen
Liedes in Deutschland, der seine Verse radikal und bissig formulierte. Er galt
als einer der Sprecher der 1968-Generation und damit des Klassenkampfes und nahm
im Laufe seiner Karriere insgesamt 32 Platten auf. Lühning & Nendza sind
Fans des Barden und wählten für ihren aktuellen Mischmasch das Lied "Deutscher
Sonntag" aus, bei dem der Text im Prinzip wichtiger als die Musik ist. Deshalb stellen die Jazz-Künstler das Wort in den Vordergrund und untermalen den
gesellschaftskritischen Inhalt sachdienlich mit intellektuellen Noten.
"Wie im Märchen am Ende" ist - wie auch die nächsten vier Tracks - wieder ein Eigengewächs, das versucht,
Chanson, Jazz und Kunstlied in ein Pop-Gewand zu kleiden. So funktioniert
Innovation. "Actually, Actually" und "Nice Little Sleep" können dagegen keine Akzente
setzen. Zu durchsichtig und bekannt sind ihre Muster. "Alone" schafft es dann, sich aus einem drögen, nur vom Bass begleiteten
Stück zu einem Track zu entwickeln, der die Abenteuerlust der Jazz-infizierten
Joni Mitchell-Kompositionen atmet. Das rettet den Song - beinahe.
Für "In deinem Licht" singt Inga Lühning flüssig wie kühles Wasser, ahmt mit ihrer Stimme das Hi-Hat-Becken eines Schlagzeugs nach und legt später noch einen wolkig-schwebenden Background-Chor oben drauf. Diese Form des Pop-Jazz wird hierzulande viel zu selten praktiziert. Bitte mehr davon! "Kreise" ist die deutsche Fassung von "Windmills Of Your Heart", einem Chanson von Michel Legrand, das unter anderem 1969 von Dusty Springfield und 1999 von Sting gesungen wurde. Die bittere Süße und anklagende Strenge des Gesangs wird hier von einem akademisch-trockenem Bass-Solo aufgelöst, um nicht zu sagen zerstört. Die Alltagsbeobachtungen von Sven Regener sind immer zeitlos und unpeinlich.
Davon kann man sich bei "Am Ende denke ich immer nur an dich" von Element Of
Crime ein Bild machen. Die Lühning & Nendza-Deutung stellt bei dem Lied Pop-Chanson und Jazz-Scat-Gesang nebeneinander dar. Der Komposition schadet dies nicht, bringt sie aber auch nicht weiter.
Inga Lühning & André Nendza sind erfahrene, hochkompetente Musiker. Keine Frage. Inga veröffentlichte zum Beispiel schon zwei eigene Platten, war in China und Äthiopien Kulturbotschafterin für das Goethe Institut, stand mit Marla Glen und den Fantastischen Vier auf der Bühne, sang 2019 in "Gottschalks große 80er Jahre Show" im Background für Paul Young und Nick Kershaw und ist Teil von "Andreas Schnermann`s Poetry Clan". André Nendza studierte in Köln und Hilversum Musik, arbeitete unter anderem mit Jazz-Größen wie Dave Liebman, Kenny Wheeler, Dave Pike und Charlie Mariano zusammen, ist auf über 70 Tonträgern zu hören und ein gern gesehener Gast auf diversen Jazz-Festivals. Darüber hinaus unterrichtet er an Hochschulen und heimste schon hochrangige Auszeichnungen ein. Vor den Leistungen der beiden Musiker kann man nur den Hut ziehen.
Deswegen sind meine kritischen Anmerkungen wahrscheinlich nur kleinkarierte Sichtweisen eines Musikhörers, der eine etwas andere Erwartungshaltung mitbringt. Sie kratzen jedenfalls nicht an dem Können des Duos: "Hodgepodge Vol. II" verfolgt im Grunde genommen ein interessantes Konzept, das zu einer ungewöhnlich-herausfordernden Mischmasch-Zusammenstellung führt. Aber der
entscheidende, durchgängige Schritt in Richtung Innovation, musikalischem
Abenteuer und Bruch mit Konventionen fehlt. Die Künstler verlassen den Weg des Entdeckens und Forschens, um im vermeintlich sicheren Hafen zu ankern. Mehr Mut zu Neuland und zum Experiment hätte auch
mehr individuelle Eigenständigkeit bedeutet.
Ich wünsche mir von solchen Projekten immer neue Ausprägungen, alternative Kombinationen und eine Erweiterung des eigenen Horizontes. Das ist aber wahrscheinlich nicht unbedingt in letzter Konsequenz das Anliegen der beiden Musiker. Deswegen geht unser Anspruch hier manchmal auseinander. Das soll aber in keiner Weise das herausragende handwerkliche Können schmälern, welches hier demonstriert wird.
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