Efterklang - Windflowers

"Windfowers" erzeugt eine Anziehungskraft, die einer aparten Stimulation entspricht. 

"Windflowers" badet in Wohlklang. In kunstvollem, leidenschaftlichem Wohlklang wohlgemerkt. Die erzeugten Töne sind jedoch nicht als Kalkül zur Erzielung von kommerzieller Gewinnmaximierung gedacht, sondern als populäre Kunstform zu verstehen. Es sind herzerwärmende Klänge, die mal romantisch verspielt, mal pittoresk verschlungen und auch druckvoll-hypnotisch dargeboten werden. Oft vermitteln sie eine zartschmelzende Pop-Sensibilität, wobei aufmunternde Rhythmen entweder unauffällig zur Unterstützung der komplexen Schwingungen dienen oder sie bringen einfach nur das Herz zum hüpfen. Dieses Konstrukt passt sehr gut zum beginnenden Herbst. Die Tage werden kürzer und statt einer wohligen Sonneneinstrahlung können jetzt oszillierende Sounds die Funktion eines Gemüt-Schmeichlers übernehmen. Herbstmusik muss nicht zwangsläufig grau und traurig klingen, denn auch im goldenen Oktober gibt es nicht nur trübe, sondern auch noch warme Tage.

Frei vom Druck eines Veröffentlichungstermins schuf das Kern-Trio der dänischen Efterklang, bestehend aus Casper Clausen (Gesang), Mads Brauer (Tasteninstrumente) und Rasmus Stolberg (Gitarre), über siebzig Song-Vorlagen, aus denen das siebte Volle-Länge-Studioalbum seit "Tripper" aus 2004 entstand. 
Die Kompositionen wurden im Studio je nach Gefühlslage durch wenige Gäste begleitet, die als Stimmen, Rhythmus-Ergänzung oder Streicher- und Bläser den Ausdrucks-Rahmen erweiterten. Efterklang spielen Musik, die sowohl Balsam für die Seele, soundmalerische Klangtapete, rhythmische Herausforderung oder auch zugängliches Experiment sein kann. Das mag eigenartig klingen, sofern man nicht bereit ist, Pop als Kunstform anzuerkennen. Wenn diese Einstellung jedoch keine gedankliche Hürde darstellt, dann ist die eben getroffene Zuweisung selbstverständlich. Durch die Reihenfolge der Tracks ergibt sich eine symphonische Tondichtung mit einem speziellen Flow, der wie bei einem Mix-Tape aus dem Gesamtgebilde ein neues musikalisches Wesen erschafft.

Die Hi-Hats klickern hell und schnell, der Bass rumst heftig dazwischen und der Synthesizer lässt leise Schwebe-Sounds anklingen. Casper Clausen singt "Alien Arms" mit Empathie und formt die Töne dabei bedächtig und wohlüberlegt. Er lässt sie gedeihen und wehen, so dass sie lange nachhallen. Dieser Klang-Zauberkasten hält noch weitere ungewöhnliche künstliche und akustische Töne bereit, so dass der Song durch seine sphärischen Klänge in Kombination mit den Jazz-Grooves einen ganz eigenen, wertig-eingängigen Future-Pop-Charme verbreitet.

"Beautiful Eclipse" nähert sich zunächst beruhigenden Ambient-Klängen an, erfährt dann aber eine Wendung hin zu romantischem Art-Pop, wobei der Synthesizer unablässig Hilfe suchende Signale funkt. Die Instrumente arbeiten mit unterschiedlichen Tempi, so dass sich verschachtelte Ebenen ergeben, die aber dennoch nicht wirr, sondern anregend-harmonisch ihre Sogwirkung entfalten. Der Sound vermengt Kammermusik mit etwas Balkan-Folk zu einem Minimal-Art-Science-Fiction-Soundtrack-Eindruck.

Eine hohe Stimme, kurz vor dem Falsett, holt die Hörer(-innen) bei "Hold Me Close When You Can" ab und entführt sie in eine melancholische, elegische Zwischenwelt, wobei nur schwer zu unterscheiden ist, ob die geschilderte Liebesbeziehung nur Wunschdenken ist, sich an einem Sehnsuchtsort abspielt oder einen Teil eines Traum-Gebildes darstellt.
"Lady Of The Rocks" greift diese neblig-melancholische Stimmung auf und trägt sie als märchenhaftes instrumentales Intermezzo weiter.

Manipulierte, Roboter-artige Stimmen und ein monotoner Drum-Machine-Takt drücken "Dragonfly" einen künstlich-kühlen Stempel auf. Clausens sensibler Gesang löst die distanzierte Haltung zunächst wieder auf. Weitere monotone, technisch klingende Zutaten sorgen aber immer wieder für Reibung und einen gewollten Kontrast zwischen Mensch und Maschine. 
Der elegante Hypno-Pop "Living Other Lives" bekommt durch einen flotten, gleichbleibenden Takt seinen unwiderstehlich groovenden Schwung verpasst. Raffiniert positionierte, unterschwellige Afro-Beat-Klänge sorgen daneben noch für ein fremdartiges Gewürz in der Ton-Suppe. Der liebliche, zum Chor erweiterte Gesang hält dieses lebhaft pulsierende Etwas verlässlich zusammen.
Ein Xylophon setzt leuchtend-blinkende Eckpunkte und der automatische, kraftvoll klackende Rhythmus symbolisiert die Eintönigkeit langer Autobahn-Fahrten, was bei "Mindless Center" zu einem Minimal-Art-Trance-Sound führt, der an "Music For 18 Musicians" von Steve Reich denken lässt. Die vertraut-einfühlsamen Gesänge versöhnen mit dem stoischen Ablauf und entlohnen mit Eintracht und Sinnlichkeit. Der schwermütige Electro-Pop-Song "House On A Feather" verbindet danach schwirrende Streicher mit einer künstlichen Vocoder-Stimme, was in Summe zu einer niedergeschlagen-entrückten Space-Age-Ballade führt. Der Titel des Abschluss-Songs "Åbent Sår" bedeutet "Offene Wunde". Das Lied wird von dem schwedischen Ambient-Techno-Produzenten Axel Willner, der sich The Field nennt, mit schwebenden, tropfenden und pochenden Klängen in Szene gesetzt. Ambient trifft hier tatsächlich auf Techno.

Die ersten Blumen, die den dänischen Waldboden im Frühling bedecken, sorgen für Aufbruchstimmung, diese Pracht ist aber nur von kurzer Dauer. Dieses Naturphänomen wird Windblumen genannt. Die Efterklang-"Windflowers"-Art-Pop-Sammlung ist nicht schnell vergänglich, aber ähnlich bunt und berauschend für die Sinne. "Windflowers" ist nicht so wagemutig-abenteuerlich und angriffslustig wie "Better Way", das Solo-Werk von Casper Clausen vom Januar 2021, aber dafür kombiniert die Platte die selten eingesetzten Gegensätze Eingängigkeit und Komplexität zu einem nachhaltig bewegenden Hörgenuss.

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