They Owe Us - Kram

They Owe Us veröffentlichen mit "Kram" keinen Kram, aber stattdessen bieten sie einen schrill-bunten Gemischtwarenladen an, der für kurzweilige, abwechslungsreiche Unterhaltung sorgt.
Das Musiker-Kollektiv They Owe Us kommt aus Göteborg in Schweden. "Kram" bedeutet in der deutschen Sprache soviel wie nutzloses, wertloses, unangenehmes Zeug - was aber gar nicht auf die Musik von They Owe Us zutrifft! Auf schwedisch heißt das Wort nämlich "Umarmung", das trifft den Geist der Platte wesentlich besser, weil die Gruppe versucht, allerlei unterschiedliche musikalische Formen zu einem künstlerischen Gesamtkonzept zusammenzufügen. Sie erzeugen sozusagen ein Mosaik, das völlig verschiedene Einzelteile aufweist, aber als Ganzes einen neuen Sinn ergibt. Jedes Teil steht in Verbindung miteinander, ist alleine für sich ein spezielles Exemplar. Als Teil des Gesamtwerkes gibt es seine Einzigartigkeit aber zum Nutzen der neuen Bestimmung auf. 

"Träume, Herzen und Instrumente, die durch unachtsamen Gebrauch zerbrochen sind, aber auf wundersame Weise wieder zusammengeklebt wurden - vielleicht mit ein paar fehlenden oder verlegten Teilen. Das ist es, was mich antreibt und inspiriert", meint Kristoffer Ragnstam, der Sprecher der Formation, zu dem Patchwork-Gedanken, der seinen Schöpfungen innewohnt. Er drückt die Ausrichtung seiner Tonbildungen so aus: Wir musizieren ohne Regeln und nennen das Ergebnis "alternativen Kunst-Pop". Das lässt alle Möglichkeiten offen.
Wer allerdings aktuell unter dem Namen They Owe Us an den Aufnahmen beteiligt ist, ist abhängig von der Konstellation des jeweiligen Songs. Neben Ragnstam - der auch die Band Kristoffer And The Harbour Heads anführte - ist der Keyboarder Anders Rane eine wichtige Persönlichkeit für die Umsetzung gewesen, weil er sich sowohl als Co-Autor wie auch als versierter Musiker nützlich machte. Daneben gibt es noch weitere Szene-Größen, die sich um die Kompositionen gekümmert haben und noch einige talentierte Musiker, die das Ganze gesanglich und instrumentell veredelten. They Owe Us hat also eher die Funktion eines offenen Projektes als die einer festen Gruppe. Entsprechend bunt, originell und vielfältig sind dann auch die Stücke auf dem zweiten Album - nach "Broken English & Sad Serenades" aus 2019 - ausgefallen.

So klingt das Lied "The Phantom, The Ghost, The Gap (clap-clap)" oberflächlich betrachtet, als wäre es aus der Zeit gefallen. Der Sound orientiert sich nämlich am New Wave der End 1970er/Anfang 1980er Jahre. New Order, The Cure, Devo, The Human League oder The Stranglers schwirren durch die Gehörgänge, finden Anknüpfungspunkte, füllen die Assoziationsketten aber nicht vollständig aus. Es bleibt stets Raum für unverbrauchte Wendungen und spontan wirkende Einfälle übrig.
"Come Closer" taumelt zwischen Romantik und Alltag. Die getarnte Kratzbürstigkeit führt zu einem Störgefühl, das an der Melodik nagt und sie letztlich zu Fall bringt. Das klingt schräg und ist auch so.
Und es bleibt bizarr: "You Make Me Wanna Lick That Electric Fence" (= "Du bringst mich dazu, den Elektrozaun lecken zu wollen") treibt es mit stupide stampfenden Rhythmen auf die manische Spitze, denn der monoton-hypnotische Disco-Funk hinterlässt einen triebhaft-ausgelassenen Eindruck.  
 
Ganz anders kommt dagegen das kultivierte "Aim To Please" rüber: Ungelenke karibische Takte, die Essenz von reifem Sunshine-Pop und ein wenig Spaghetti-Western-Flair bilden das Gerüst des Songs. Diese Inhaltsstoffe sind es auch, die letztlich für einen eleganten Noten-Reigen voller delikater Sounds sorgen.
Für den Track "They Owe Us" scheint es zunächst durch Querflöte, Latin-Rhythmen und Fusion-Jazz einen relativ streng durchorganisierten Ablauf zu geben. Dann verwischen die Konturen mehr und mehr. HipHop-Break-Beats sprengen die Ordnung, lassen aber zwischendrin auch wieder Pop-Melodik zu, um sich dann zugunsten eines beinahe körperlos schwebenden Fade-Outs zurückzuziehen.
"Thrilling Curves" ist ein stilistischer Hybrid, vor dem nichts sicher zu sein scheint: Sweet Soul Music, New Orleans-Voodoo-Brass-Jazz und Westcoast-Folk-Rock werden zu einem scharfen Gebräu verrührt und als multikulturelle Weltmusik serviert.
Bei dem ganzen stilistischen Tohuwabohu schadet es nicht, wenn ganz zufällig ein Radio-tauglicher Track entsteht, so wie es bei "Second Hand Army In A First Class War" geschehen ist. Der Refrain reißt mit und die zackigen Drums und belebenden Hand-Claps befeuern die ausgelassene Stimmung obendrein. Mit unter zwei Minuten Laufzeit liegt die Würze hier in der Kürze.
"Stopp I Lagens Namn" heißt: "Stopp im Namen des Gesetzes" und ist ein weiteres kurzes Zwischenspiel, bei dem bösartige Spannung aufgebaut wird. Die Bedrohung löst sich aber nicht auf, sondern der abrupte Abbruch lässt etliche Fragen offen.
Harter Rhythm & Blues, wie aus den Anfangstagen von The Who, leitet "I’m Your Biggest Fan" ein. Aber They Owe Us wären nicht They Owe Us, wenn sie sich nur mit einer einzigen Referenz begnügen würden. Die Stimmung wandelt sich rasch hin zu schmalzigem Blue Eyed-Soul, der als Parodie, zumindest aber als Übertreibung einer sentimentalen Ader angesehen werden kann. Die schwedische Sängerin IZHAV half mit schmachtender Stimme kräftig mit, den hoffnungslos von zärtlichen Gefühlen ergriffenen Klang noch zu verstärken.
"Boxed In A Bubble" verhält sich zunächst abwartend und lässt schlichte Easy Listening-Musterablaufen. Neben einem holprig-stolpernden Takt tragen eine überblasene Querflöte und ein sich in den Vordergrund drängendes Piano allmählich dazu bei, dem Mantra-artigen Harmonie-Gesang seine hypnotischen Eigenschaften zu nehmen und etwas Stacheligkeit zu erzeugen.
Die Spielerei mit Namen "Do-Nutz & Cop-Water" ist ein weiterer Gimmick, der dazu dient, möglichst viele verschiedene Eindrücke auf dem Album unterzubringen. Gleichzeitig ist das Intermezzo die Überleitung zum Pop-Rocker "Such A Strong Opinion", der nicht nur durch den Einsatz von hellen Glocken-Tönen und einer raunenden Orgel an manchen Hit der E-Street-Band um Bruce Springsteen erinnert.
Mit "Maybe I Was Born To Break Your Heart" wird dann noch einmal der rote Teppich für einen vollmundigen, erwachsenen, exotischen, eleganten und verheißungsvollen Pop ausgebreitet, der uns alle irgendwann schon mal in ähnlicher Ausprägung für sich eingenommen hat, weil er so große, überschäumende Gefühle transportiert hat. Und dann ist die illustre Berg- und Tal-Fahrt plötzlich zu Ende, und damit sich nicht eine gähnende Leere auftut, sollte schnell auf Repeat gedrückt werden. 

That`s Entertainment! "Kram" erlaubt eine furiose, semi-seriöse Reise durch die Pop- und Rock-Kultur mit Abstechern zum Jazz und zur Avantgarde. Dabei werden die Hörerinnen und Hörer aber zu keiner Zeit mit wirren Experimenten überfordert, sondern jede Person darf sich in ein lebhaftes Klang-Theater eingebettet fühlen. Angstfreie Abenteuerlust ohne den Druck, irgendwelche Erwartungshaltungen erfüllen zu müssen, tragen zum Gelingen dieses Werkes bei und zeichnen die Arbeit von They Owe Us aus. Beide Daumen hoch für den Mut, solch ein unkonventionelles Gebilde anzubieten!

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