Joshua Hyslop - Westward

Sind stille Wasser wirklich tief oder einfach nur still?

Der 1987 in Kanada geborene und aktuell in Vancouver lebende Musiker Joshua Hyslop hat einen sanften Charakter und eine ebensolche Ausdrucksweise. Seine Stimmlage zeigt sich überwiegend zart besaitet, erschallt ohne jegliche Aggressionen und möchte generell Harmonie verbreiten. So wie einst Dan Fogelberg und Al Stewart oder aktuell wie Passenger.
Credit: IAMJOHNYOO

Ganz behutsam gelangen die Konturen von "Pines" in die Gehörgänge, als würden sie sich langsam aus einem Ei herausschälen. Die vorsichtig gezupfte Akustikgitarre wird von flirrenden Space- und schwerelosen sowie malerisch ausschmückenden Trompeten-Sounds begleitet, vom lebhaften Schlagzeug verdichtet und von der hauchzarten Stimme in einen erwartungsvollen Zustand versetzt.
"The Veil" hinterlässt danach eine ähnlich weihevolle Gospel-Atmosphäre wie "Amazing Grace", wobei die Steel-Guitar Tränen fließen lässt und die Mundharmonika Einsamkeit ausdrückt.
Der romantische Country-Folk "Carry On" wirkt versunken und hingebungsvoll. Joshua singt sehnsüchtig-ergriffen, was ihn verwundbar erscheinen lässt. Die Instrumente steigen in diese liebevoll-rührende Gefühlslage mit ein und so entsteht ein Song, auf dessen schwärmerischen Ausdruck man sich voll und ganz einlassen muss, um ihn nicht als zu schnulzig zu empfinden. Dann verbreitet seine bittere Süße ihre hinreißende Wirkung. 
Auch bei "No Stopping Now" geht es friedvoll und gutmütig zu. Zwar versucht die akustische Gitarre das Tempo anzuziehen, aber gegen die bremsende Kraft der Melancholie ist sie machtlos.
Ein flink gespieltes Banjo klingt selten traurig. Für "Faded Colors" bekam dieses Instrument eine führende Position zugewiesen und wird seiner üblichen Rolle als quirlig-gutgelaunter Bestandteil eines Songs auch grundsätzlich gerecht. Der konzentrierte, mitfühlend-ausdrucksvolle Gesang, die sakrale Orgel und die klagende Mundharmonika vermitteln in Kombination eine ausgeglichene Stimmung.
Hyslop haucht seinen Gesang für "Older" sensibel in den Äther und überlässt der locker gezupften Gitarre und der andächtigen Trompete die Aufgabe, für Stabilität zu sorgen. Wohlige Synthesizer- und Steel-Guitar-Ton-Wolken verleihen dieser Ballade dann noch einen märchenhaft entrückten Charme.
Das Stück "Westward" setzt auf einen besinnlich-verlockenden Effekt, der traditionellem Country innewohnen kann. Das Lied pflegt dabei die unwiderstehlich-ergreifende, authentisch dokumentierende Storyteller-Tradition von Robert Earl Keen jr., Lyle Lovett, Eric Taylor oder Richard Buckner. Will heißen, dieser Song rührt zu Tränen.

Als ob Regen auf eine Fensterscheibe tropfen würde, so hören sich die Gitarren-Töne an, die "Hard Rain" prägen. Diese klaren Strukturen werden durch sämige Streicher-Töne verklebt, so dass der Sound etwas zu sentimental geraten ist.
"How This Started" kann im Kern als eine schlichte Liebeserklärung auf Basis eines langsamen, dunkel-mysteriösen Chansons bezeichnet werden. Das Ergebnis hört sich in etwa so an wie Neil Youngs "Heart Of Gold" auf Valium.
"Cedar" ist ein kurzes instrumentales Ambient-Americana Zwischenspiel, das die Einleitung zum Abschluss-Track "More Than This" bildet. Hier ist Joshua ganz bei sich, singt andächtig und empfindsam-leidenschaftlich. Hyslop heult zwar nicht entfesselt wie ein waidwundes Tier, aber tiefberührt wie ein hypersensibler Romantiker. Die Band begleitet diese Darstellung intim-luftig, aber mit konsequentem Druck. Das erinnert an verletzlich-überschäumende Singer-Songwriter wie Kevin Montgomery, den heute kaum noch jemand kennt.

Obwohl die Songs oft gedrückt-leidvoll klingen, setzen die Texte oft auf Glauben, Liebe, Durchhaltewillen und Hoffnung. Also auf starke Tugenden, die nicht nur im Krisenfall wichtig fürs Überleben sind.

"Westward" - das fünfte Album des kanadischen Singer-Songwriters - ist ein musikalisch ausgeglichenes, in gewisser Weise spirituell-meditatives Werk geworden, dessen Kraft in der Ruhe liegt. Wobei die Emotionen durchaus überschwänglich innig sein dürfen und manchmal sogar hart am Kitsch angesiedelt sind. Aber das ist eine Art von Kitsch, die in erster Linie das Herz wärmt. Und zwar auf unschuldig-liebevolle Weise.

Die Musik ist Seelenbalsam (nicht nur) in unruhigen, problembelasteten Zeiten, da die Töne mitfühlend und tröstend daherkommen. Da macht es auch nichts aus, wenn sich dann und wann etwas zu viel Zuckerguss einschleicht. Das kann unter Nervennahrung verbucht werden. Schließlich tut die Musik gut und ist rezeptfrei als akustische Psychopharmaka ohne Nebenwirkungen zu erhalten. Joshua Hyslop ist ein nachdenklicher Vertreter der Americana-Bewegung, der durch Sanftmut Herzen zum Schmelzen und durch virtuosen Wohlklang das Hirn zum Arbeiten bringt. Diese empfindsamen Klänge sind also nicht nur relativ still, sondern auch eindrucksvoll!

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