Jono McCleery - Moonlit Parade

Jono McCleerys Mondschein-Parade lässt aus Stille große Kunst entstehen.

Der unvergleichliche, mit messerscharfem Verstand ausgestattete, 2016 viel zu früh verstorbene Autor und Journalist Roger Willemsen formulierte in seinem Buch "Musik!" folgende These: "Stille ist der Zustand, in dem Musik geboren wird. Was immer sie sagt, ist sie doch auch komponiertes Schweigen und zieht sich selbst auf immer neue und originelle Weise ins Unhörbare zurück, ja, der Musik kann es sogar gelingen, die Stille zu vertiefen durch ihr Sprechen." Es ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass Jono McCleery Roger Willemsen kennt, aber trotzdem verfolgt er auf "Moonlit Parade" dessen Ansatz.
Credit: JKey Photography

2018 veröffentlichte McCleery 10 Jahre nach seinem Debüt "Darkest Light" sein viertes Werk, das spannende Cover-Versionen-Album "Seeds Of The Dandelion" mit Songs illustrer Künstler wie Billie Holliday ("God Bless The Child"), Scott Walker ("The Old Man`s Back Again"), Tim Buckley ("Dream Letter"), Jeff Buckley ("Morning Theft"), Rufus Wainwright ("Dinner At Eight"), Atoms For Peace ("Ingenue"), Beyoncé ("Halo"), Cocteau Twins ("Know Who You Are At Every Age"), Paul Weller ("Brand New Start"), Roy Davies jr. ("Gabriel"), Sebastian Tellier ("La Ritournelle") und Johnny MathisNina Simone ("Wild Is The Wind"). Diese Auswahl zeigt einen enormen Interessen- und Inspirations-Umfang, dessen Widerhall sich indirekt auf die Musik von Jono McCleery auswirkt.

"The Most Beautiful Sound Next To Silence" ist das Motto des ECM-Labels von Manfred Eicher aus München. Künstler wie Ralph Towner, Chick Corea, Stephan Micus oder Jan Garbarek scheuen sich nicht, die Stille als Stilmittel zu nutzen. Musik kann wie ein Urknall sein. Zunächst ist alles leer, dann füllt sich der Raum mit Emotionen. Bei manchen Klängen bleibt eine Erinnerung an den Zustand vor dem Big Bang zurück. Nicht unbedingt durch Pausen oder tonlose Passagen, sondern auch durch Durchlässigkeit im Sound. Diese Form von Besinnlichkeit steht häufig im Zusammenhang mit dem Aufwerfen von existenziellen Fragen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Wie gibt es für mich ein erfülltes Leben und wie lebe ich richtig?

Auch "Moonlit Parade", das sechste Album von Jono McCleery, das mit neun neuen Eigenkompositionen aufwartet, fängt Stimmungen ein, die auf meditativ-zurückgenommene Art das Innehalten fördern. Das Werk beginnt mit "Walk With Me", das durch die "Black Lives Matter"-Bewegung angeregt wurde und den Gedanken in sich trägt, dass man im normalen Leben stets versuchen sollte, das Handeln seiner Mitmenschen zu verstehen. Eine minimalistisch-monoton gezupfte akustische Gitarre taucht bei diesem "Eisbrecher"-Track wie aus dem Nichts auf und haucht dem leeren Raum Leben ein. Kein turbulentes Leben, sondern eher ursprünglich genügsames Leben. So wie ein Einzeller, der seiner bisher leblosen Umgebung einen ganz neuen Sinn, ein komplett verändertes Selbstverständnis verleiht. McCleerys hypnotische Stimme füllt dann das Geschehen mit fordernd-erwartungsvollen und demütigen Schwingungen auf. Ein Synthesizer verbreitet neblige Töne und die Bass-/Schlagzeug-Kombination bringt Dynamik ins Spiel.
Aber das alles verschluckende Nichts lauert an jeder Ecke, zeigt sich bei Tempoverringerungen, bildet eine erlösende Komponente zwischen den Noten und bleibt auch bei den folgenden Stücken allgegenwärtig. Der Geist von Nick Drake, bei dem Stille stets ein wesentliches Stilelement war, beseelt einige Kompositionen, so auch "Now And Here". Neben der Gitarre und dem Piano, die dieselben gleichförmigen Akkorde aussenden, ist es der beruhigend-schwelende Gesang, der zwischendurch immer wieder aussetzt und bei dem die letzten Silben gedehnt werden, was diesem mysteriösen Ambient-Folk Tiefe verleiht.

Das Stück "Moonlit Parade" beginnt wie ein traditioneller Folk-Song, wird dann jedoch durch sphärische Electronic-Sounds in eine Welt entführt, bei der sich Traum und Wirklichkeit auf einer höheren Ebene gleichwertig begegnen.
Der Protagonist in "From A Place" hat möglicherweise eine Nahtoderfahrung, einen Flashback oder fährt einfach nur Auto. So erklärt Jono seinen Text. Er erfährt einen Moment der Erleuchtung, in dem er erkennt, was ihn ausmacht. Trotzdem bleiben aufgrund der Komplexität der menschlichen Psyche viele Fragen offen. Der das Thema untermalende, melodisch-intellektuelle Folk-Jazz hat viele Väter, deren Einfluss auch auf den anderen "Moonlit Parade"-Kompositionen immer wieder durchblitzen: Terry Callier, John Martyn, Fink, Ben Watt, Ryley Walker, Ben Howard und sogar Radiohead.
"Die einfachen Dinge sind wichtig", gibt uns Jono McCleery als Denkanstoß für "A Thing" mit. Eingebettet in einen mit immateriell rauschenden und glitzernden Tönen umwehten Bossa Nova-Swing lässt uns der Musiker bei dieser Ballade darüber nachdenken, was wirklich nötig ist im Leben.

Mit den poetischen Feststellungen "Ideen fliegen weich wie weißer Schnee, Eindrücke brennen sich in die Seele" endet "What If". Inhaltlich geht es bei dem Song um die emotionale Verflechtung zweier Individuen, die nach Aussagen des Autors zerbrechlich und delikat sein können. Der melancholische Anteil des Bossa Nova-Sounds des Vorgängers hallt hier noch nach, wird aber kurzerhand mit einem wallend-opulenten Fantasy-Soundtrack-Sound verbunden.
Aus einer Improvisation heraus entstand "The Heart Of Another". Daran erinnern aber höchstens noch die beinahe in Dauerschleife laufenden Akustik-Gitarren-Akkorde, die dem rauschhaften Track einen nicht unerheblichen Trance-Faktor mitgeben.

In "Pictures" geht es darum, dass eine Person von Erinnerungen an ein traumatisches Ereignis heimgesucht wird. Dieses Geschehen "kommt in Zeitlupe, wenn du es am wenigsten erwartest. Wie ein kalter Fluss, der über die Brust fließt", beschreibt Jono McCleery die beklemmende Lage. Ein durchdringender Bass und ein akzentuiert gespieltes, nicht durchgängig auftauchendes Schlagzeug sorgen für das groovende Rhythmus-Fundament. Darüber thront Jonos markant-aussagekräftiger Gesang und deutliche, raumgreifende Schwebeklänge vernebeln die ohnehin schon traurige Grundstimmung.

Der Instrumental-Titel "The Sun Chime" präsentiert sich zum Abschluss als eine lockere Übungssequenz in hypnotischem Klang, die aus akustischen und elektronischen Instrumenten gespeist wird.

Die Biografie des in London aufgewachsenen Gitarristen, Sänger und Komponisten Jono McCleery ist außergewöhnlich, denn bis zu seinem vierten Lebensjahr war er taub. Mit elf Jahren faszinierte ihn die Magie der Musik und er lernte, Gitarre zu spielen und dazu zu singen. Leider ist der Musiker, der grob der britischen Underground-Folk-Tronic-Szene zuzurechnen ist, 
immer noch ein Geheimtipp. Er hat definitiv viel mehr Aufmerksamkeit verdient, denn seine kultiviert-bedeutsamen Songs stehen denen seiner Kollegen und Vorbilder hinsichtlich Anspruch und Qualität in nichts nach. Für "Moonlit Parade" arbeitete er mit Dan See (Schlagzeug), Dan Gulino (Bass) und Steve Pringle (Keyboards) zusammen und die Musiker entwarfen Lieder, die tatsächlich eher in der Nacht als am Tage ihre suggestive Stärke ausspielen können. Das ist keine Musik, die für eine ausgelassene Stimmung sorgen kann, sie kann aber ganz ausgezeichnet zur inneren Einkehr beitragen und mentale Befriedigung bewirken. Und das ist ein Glücksfall!

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