Acantha Lang - Beautiful Dreams

Soul, Funk, Rock, Jazz, Blues oder Pop: Acantha Lang fühlt sich in vielen Genres wohl.

Jedes Pop-Jahrzehnt brachte außergewöhnliche weibliche Stimmen hervor, die ehrwürdigen Musik-Sparten wie Soul, Funk, Rock, Jazz, Blues oder Pop ordentlich Feuer unter dem Hintern gemacht und diese mit kreativer Individualität belebt haben. 
Den Grundstein für weibliches Selbstbewusstsein im Zusammenhang mit originellen Interpretationen legten in den 1950er-Jahren Billie Holiday und Nina Simone mit ihrem Mut und ihrem Können. Ab den 1960er-Jahren spielte Aretha Franklin, die Queen Of Soul, in ihrer eigenen Liga und die leidenschaftliche Etta James kämpfte für den Blues und gegen Diskriminierung und Drogenabhängigkeit. In den 1970er-Jahren revolutionierte Betty Davis die Rolle der Frau im Funk und Mavis Staples schuf mit der Verbindung von Soul und Gospel auch außerhalb ihres Familienverbundes die Basis für eine lange Karriere. Die dynamische Roots-Music-Künstlerin Merry Clayton, die zum Beispiel bei "Gimme Shelter" der Rolling Stones mit ihrer mächtigen Stimme brillierte, blieb hingegen ein Geheimtipp. In den 1980er-Jahren hatte die schon in den 1960er-Jahren aktiv gewesene, vielseitige R&B- und Soul-Sängerin Bettye LaVette ein Comeback und Chaka Khan, die Frontfrau der Funk-Band Rufus feierte mit "Ain`t Nobody" und "I Feel For You" Chart-Erfolge. Beide Titel blieben durch Cover-Versionen immer wieder im Gespräch. In den 1990er-Jahren erneuerte Erykah Badu den Rhythm & Blues und in den 2000er-Jahren bekamen Jazz und Soul durch Amy Winehouse und Sharon Jones eine neue Popularität. Die 2010er-Jahre brachten mit Eska und Lianne LaHavas zwei faszinierende, Genre-sprengende Sängerinnen zutage und in den 2020er-Jahren verband Celeste Soul-Traditionen mit einer modernen, alternativen Sichtweise.

In diese "Ahnenreihe" möchte sich auch Acantha Lang mit ihrem breit gefächerten Repertoire einreihen. Sie ist dabei nicht als Sound-Reformerin unterwegs, sie setzt auf Bewährtes, denn es lassen sich einige Muster von den genannten Vorreiterinnen in ihren Liedern lokalisieren.

Acantha wurde 1980 geboren und wuchs zwar im musikalischen Schmelztiegel von New Orleans auf, fand ihre künstlerische Bestimmung aber in New York, wo sie in Harlem im Blues & Soul-Club The Grill auftrat. Nach drei Jahren nahm sie dann ein Angebot von The Box aus Manhattan an und als dieser Auftrittsort eine Zweigstelle in London eröffnete, übersiedelte sie dahin und trat dort mit eigener Band auf.

Ihr Kapital ist ihre flexible und ausdrucksstarke Stimme: Damit kann sie ihre Seele entblößen, lässt Liebe und Schmerz greifbar werden und taucht in eine tiefe Spiritualität ab, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Für "Beautiful Dreams" hat sie nun dreizehn eigene Songs aufgenommen, die ihr musikalisches Weltbild abstecken.
Credit: Dave Mian

Die cool swingende Soul-Jazz-Ballade "Sugar Woman" versprüht erotischen Pathos, das heißt, laszive Verlockungen und feierliches Ergriffensein geben sich die Klinke in die Hand. Acantha spielt ihre ganze Verführungskunst und Inbrunst aus, verausgabt sich dabei gesanglich aber nicht. Was auch nicht nötig ist, denn die Background-Sängerinnen stehen ihr schützend zur Seite und somit verteilt sich die emotionale Lust und Last auf mehrere Schultern.
Wer Soul und Jazz überzeugend interpretieren kann, der kann auch verzücktes Gospel-Feeling erzeugen. Diese Gleichung geht auch bei "Come Back Home" auf, denn der anschmiegsame und eindringliche Gospel-Pop-Funk überzeugt auf ganzer Linie.
Mit dem Song "Beautiful Dreams" wird eine hitzige Groove-Stufe gezündet: Knackige Funk-Gitarren lassen die Luft vibrieren, die Hammond-Orgel rauscht gelassen, Schlagzeug und Bass setzen fette Duftmarken, die Bläser verfeinern den Ablauf und der Background-Gesang schiebt alle Wolken vom Firmament. Acantha ist die Chefin im Ring und hält die energische Stimmung geschickt am Köcheln.
Milder Gesang und eine korrespondierende E-Gitarre leiten das ruhige Stück "Eventually" ein. Es ist eine bedächtige Power-Ballade geworden, weil das Rhythmus-Gespann und die Orgel der gedankenvollen Grundstimmung jede Menge stärkende Begleit-Akkorde zur Verfügung stellen. Und so kann sich Acantha in ihre Melancholie fallen lassen und sich lediglich darum kümmern, dass sich ihre Stimme zwischen Sentimentalität und Betroffenheit ein Nest baut. Passt!
Wesentlich zupackender wird es beim rhythmisch brodelnden "He Said / She Said". Schwungvoller Motown-Soul, pulsierender Latin-Funk und jazzige Solo-Ausbrüche haben hier ein Zuhause gefunden.
Lois, Acanthas Mama, kündigt bei "A Word From My Momma (Interlude)" den folgenden Song an, den ihre Tochter über sie und ihr Leben in New Orleans geschrieben hat.
Acantha versetzt sich in die Persönlichkeit ihrer Mutter und macht "Lois Lang" zu einer biografischen Erzählung, die im ruhigen Southern-Soul-Metier angesiedelt ist.
"River Keep Runnin'" ist im Gegensatz dazu ein stürmischer, ruheloser Funk-Rock, bei dem Acantha die Atmosphäre durch ihren engagiert-getriebenen Gesang kräftig aufheizt.
"It's Gonna Be Alright" sendet den geschmeidigen Nachdruck der frühen Brass-Rock-Tracks von Chicago Transit Authority aus. Hinsichtlich der instrumentalen Intensität wird ein Level der permanent angespannten Erregung erzeugt, wobei die ganz große Eruption ausbleibt.
Zurück im Balladen-Modus stellt "Carry The Weight" eine gelungene, ausgewogene Mischung zwischen erwachsenem Pop und blauäugigem Soul da.
Love-Song-Beschaulichkeit und Funk-Rhythmus-Lebendigkeit verbinden sich in "Whatever Happened To Our Love?". Die beiden Komponenten neutralisieren sich dabei gegenseitig, sodass der Song weder Fisch noch Fleisch ist.
Mit "Keep On" verliert Acantha dann ihre straff organisierte Linie, denn das Lied ist leider zu süßlich und zu lang geraten,
während sich "Ride This Train (Extended Version)" nach verhaltenem Beginn langsam seinen Weg hin zur swingenden Jazz-Dance-Nummer bahnt.

Da sind schon sehr viele schöne Eindrücke dabei, die die
 "Beautiful Dreams" vermitteln. Von ihren Mitstreitern wird sie prominent in Szene gesetzt, was ihre gesanglichen Fähigkeiten betont. Die Instrumentalisten achten trotzdem darauf, bei den solistischen Aktivitäten nicht zu kurz zu kommen und erzeugen einen vollen, warmen Sound. Man wird jedoch den Eindruck nicht los, dass Acantha Lang ihr Potenzial noch lange nicht voll ausgeschöpft hat. Manchmal scheint sie ihren Fähigkeiten nicht zu trauen oder steht emotional im Abseits zurückhaltender Frömmigkeit. Songs, bei denen der Funk im Vordergrund steht, sind ihr generell gelungen. Bei manchen romantischen Titeln wird die wehleidige Sentimentalität allerdings tendenziell zu dick aufgetragen.

Es ist unter Umständen ein langer und beschwerlicher Weg in den Pop-Olymp. Acantha hat mit "Beautiful Dreams" den ersten Schritt dahin getan und eine sehr solide, teils begeisternde, teils ausbaufähige Leistung abgeliefert. Da sie ein großes Talent besitzt, darf noch einiges von ihr erwartet werden!

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