Buddy & Julie Miller - In The Throes

Americana Deluxe: Buddy & Julie Miller haben Maßstäbe gesetzt und sind immer noch eine Klasse für sich.

Buddy & Julie Miller machen sich rar, was gemeinsame Veröffentlichungen angeht und deshalb ist es jetzt besonders erfreulich, dass es trotz der psychischen und Schmerz-Erkrankung von Julie wieder ein gemeinsames Album gibt! Hoffentlich ist das ein Zeichen dafür, dass es ihr besser geht!

Buddy und Julie teilen sich die Gesangs-Aufgaben bei ihren Songs je nach Fundament und gewünschtem Ausdruck auf oder ergänzen sich stimmlich. Julie kann dabei erotisierend-frech, aber auch verletzlich-sensibel klingen, während Buddy das liebevolle Raubein darstellt. Das Paar beherrscht nicht nur kantigen Folk- und beherzten Garagen-Rock, sondern auch sanft-intime Balladen und zu Tränen rührende, dunkle Country-Schmachtfetzen. Das Ganze wird gerne zusätzlich noch mit einer Prise "Sweet Soul Music" versehen.
Credit: Jeff Fasano

Neben erlesenen Eigenkompositionen interpretieren die Beiden immer wieder delikate Stücke von Kolleginnen und Kollegen. Auf "In The Throes" befindet sich allerdings mit "Don`t Make Her Cry" nur ein Lied mit Fremdbeteiligung, hinter dem sich eine kuriose Entstehungsgeschichte verbirgt: Die Musikerin Regina McCrary war Ende der 1970er Jahre Mitglied der Tournee-Band von Bob Dylan. Ihr Vater ermahnte Bob damals mit den Worten: "Don`t Make Her Cry" und Jahrzehnte später versuchten McCrary und Dylan aus dieser Erinnerung ein Lied zu generieren, welches sie jedoch nicht vollenden konnten. Daraufhin riet Bob Dylan, das Fragment an Buddy Miller zu geben. Dieser gab die Vorlage an seine Frau weiter und jetzt kann die Überarbeitung auf "In The Throes" begutachtet werden. 

Somit ist Julie Miller direkt oder mit Vorleistung von anderen an allen Kompositionen beteiligt. Das Album ist quasi eine Erweckung für sie, da sie die Tracks in einer Phase von übersprudelnden Ideen verfasste. Eingebung, Kreativität und blindes Verständnis füreinander machten dann das neue Album überhaupt erst möglich. "In The Throes" ist erst die vierte offizielle Zusammenarbeit der Millers, zumindest was die Nennung beider Namen auf einer Platte angeht. Die Vorgänger-Werke waren "Buddy & Julie Miller" (2001), "Written In Chalk" (2009) und "Breakdown On 20th Avenue South" (2019). 

Auf ihren Solo-Platten unterstützten sich die Eheleute allerdings auch immer tatkräftig. Buddy Miller hatte daneben sogar die Ehre, beim wiederbelebten Projekt Band Of Joy von Robert Plant (so hieß seine erste Gruppe) mitzuwirken. Durch seine individuelle Persönlichkeit setzte er den Studio- und Konzert-Aktivitäten einen markanten Stempel als Musiker und Produzent auf. Buddy & Julie Miller haben 1981 geheiratet und alle musikalischen Aktivitäten, die sie seitdem unternommen haben, sind außergewöhnlich: voller Wärme, Leidenschaft und Originalität. Da bildet auch "In The Throes" keine Ausnahme.

Für die Liebeserklärung "You’re My Thrill" legt Julie ihre ganze Sensibilität in die Waagschale und singt mit einer zerbrechlich-durchdringenden Stimme, die eine tief empfundene Sehnsucht und eine starke Verletzlichkeit ausdrückt. Die geschmeidig-entspannt ablaufende Ballade transportiert ruhig-wohlige Töne, die in einem eindringlich-schönen Refrain und einer sanften Melodie münden. Traumhaft!
Der Song "In The Throes" erzählt von Existenz bedrohenden Gefühlen, die jemand nach einer Trennung erfährt. Es ist so, als würde einem der Boden unter den Füßen weggerissen werden ("Ich bin so hilflos und niedergeschlagen..."). Diese Situation spielt sich in einem trocken rockenden Stück ab, das eher Wut als Trauer vermittelt.
"Und als er meine Hand schüttelte, fühlte es sich wirklich an. Wie die Kraft der Liebe, die dein Herz zum Schmelzen bringt", heißt es bei "Don’t Make Her Cry" aus der Sicht von Bob Dylan, der diese innig flehenden Worte vom Vater seiner Band-Kollegin Regina McCrary hörte, der damit um Schutz für seine Tochter bat. Das muss Dylan stark beeindruckt haben, weil diese Begegnung noch viele Jahre später zu einer Song-Idee führte. Regina McCrary steuert nun bei der Verwirklichung Hintergrund-Gesang bei und Buddy Miller übernimmt die selbstbewusste, aber melancholisch angehauchte leitende Stimme. Julies Harmonien sind sehr dezent, der Bass brummt übersteuert, das Schlagzeug wird mehr getupft als geschlagen, die Orgel zischelt verhalten im Hintergrund und die E-Gitarre füllt manche Sound-Lücken malerisch aus. Und fertig ist ein gefühlsbeladener Americana-Pop-Song, dem man die Bob Dylan-Kompositions-Beteiligung nicht unbedingt anhört.
"Niccolo" ist eine feine Mischung aus hymnischem Country-Folk, reifem Pop, romantischem Bluegrass und robustem Roots-Rock mit Ohrwurm-Garantie. Einmal im Gehörgang angekommen, setzt sich der Song dort unweigerlich für eine lange Zeit fest.
Im Duett beteuern Julie und Buddy bei "I Love You" poetisch ihre Liebe zueinander. Der Song wurde als kraftvolle Ballade mit omnipräsentem Schlagzeug konzipiert und entwickelt im Verlauf eine sich steigernde Sogwirkung.
"The Last Bridge You Will Cross" ist dem Kongressabgeordneten und Bürgerrechtler John Robert Lewis gewidmet. Er hat in seinem Leben starke Signale in Richtung Gleichberechtigung, Frieden und Vergebung ausgesendet, starb aber leider im Jahr 2020. Zusammen mit Martin Luther King organisierte er 1963 den berühmten Marsch auf Washington, der in der denkwürdigen "I Have A Dream"-Rede mündete. 1965 wurde er beim ersten von ihm initiierten Selma-nach-Montgomery-Marsch (der als "Bloody Sunday" in die Geschichte einging) durch Polizeigewalt schwer am Kopf verletzt. Trotzdem setzte er sich mit einem unerschütterlichen Kampf für Vergebung, Gerechtigkeit und die Beendigung der Rassentrennung ein. Intim und in sich gekehrt untermalen Buddy & Julie ihre Ehrenbekundung an ihn, die stimmlich von Emmylou Harris veredelt wird. Gemeinsam erzeugen die Musiker und Musikerinnen eine sakrale, feierliche Stimmung, deren andächtige Wirkung man sich nicht entziehen kann.
"The Painkillers Ain’t Workin’" ist eine erschütternde Zustandsbeschreibung über Julies Schmerz-Attacken ("Es fühlt sich an, als ob unter dem Bett, auf dem ich liege, Feuer brennt"). Trotzig stemmt sich die Musik mit akustischen und elektrischen Folk-Rock-Klängen gegen die entsetzliche Lage und es werden Rhythmen eingebaut, die aus dem arabischen Raum als aufmunternder Trost hinzugeweht sein könnten.
"I Been Around" ist ein dreckig-kaputter Blues-Rock, für den Julie wie in Trance, im Rausch oder leicht betäubt singt. Alex Chilton hätte seinen Spaß an dem destruktiven Zustand des Songs gehabt. In der Nacht fiel Julie das gesamte Lied ein und da ihr Mann gerade im hauseigenen Studio war, konservierten sie eine spontane Version, die gleich darauf von Buddy weiter bearbeitet wurde. Danach vergaßen sie die Aufnahme. Beim Sichten der Demo-Tapes fand Buddy sie zufällig wieder und brachte sie in den ursprünglichen, spröden Zustand aufs Album.
Bei den zärtlichen Country-Folk-Balladen "Tattooed Tear" und "I’ll Never Live It Down" ist Buddy der Chef im Ring. Neben den akzentuierten Gitarren- und Piano-Tönen trägt sein erzählerisch-markanter Gesang sehr zum demütigen Ausdruck der Songs bei.

Karger Hillbilly Folk + eingängiger Pop + eindringliches Gospel-Feeling = "We’re Leavin’". Auf diese einfache Formel kann man die Bestandteile dieses Lieds, das mit unbekümmerter Aufbruchstimmung wirbt, vielleicht verdichten.
Zum Abschluss gibt es mit "Oh Shout" noch einen unspektakulären Pop-Song, in den ein kindlich-alberner Singsang eingebaut wurde. Das soll anscheinend eventuell vorhandene trübe Gedanken vertreiben.

Zusammengefasst ist "In The Throes" wieder ein tolles Album von Buddy & Julie Miller geworden. Das war auch nicht anders zu erwarten. Aber es ist natürlich schön, wenn Vorfreude in wahre Begeisterung umschlägt und dieses Gefühl auch nach einigen Hördurchgängen immer noch anhält. Das mag daran liegen, dass das Ehepaar einen souverän-wirksamen Umgang mit den Instrumentarien des Americana-Sounds beherrscht. Ihre Songs besitzen nicht nur Strahlkraft, sondern verbreiten auch Empathie und Herzblut. Sie wirken nach, bleiben im Gedächtnis und sind scheinbar keinem Alterungsprozess unterworfen. Das sind die Qualitäten, aus denen Evergreens gemacht werden!

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