X Ambassadors - Townie

Gibt es eine Zukunft für den rockigen Pop oder poppigen Rock? 


Der Rock ist tot! Diese pauschale Aussage hört man immer wieder und sie hat noch nie gestimmt. Aber tatsächlich findet sich in den Top-10 der deutschen Album-Charts von Media Control am 04.04.2024 nicht ein Werk, welches entfernt dem Pop-Rock/Rock-Pop zuzurechnen wäre. Und nun tritt das Trio X-Ambassadors aus New York mit ihrer vierten Platte "Townie" auf den Plan, mit der es diese Ausrichtung aufrechterhalten, beziehungsweise wiederbeleben könnte. 
 

Manchmal ist das neue Werk von Sänger Sam Nelson Harris, seinem blinden Bruder Casey an den Keyboards und dem Schlagzeuger Adam Levine von Lagerfeuerromantik geprägt, denn es gibt sogar akustisch gestimmte, ruhige Abschnitte. Diese Songs weisen aufgrund ihrer sparsamen Intimität einen ungezwungenen Übungsraum-Session-Charakter auf. Daneben gibt es ebendiese Art von Liedern, die für harten Rock ’n’ Roll zu sanft und für Chart-tauglichen Pop zu laut sind, die auffallen.

Negativ zu Buche schlagen dabei allerdings Allerwelts-Schmachtfetzen wie "Fallout", 
"Women's Jeans" 
und "Half Life". 
Sie sind klischeehaft, übertrieben aufgeblasen und verbreiten mit krampfhaftem Gesang individuelles Leid und Weltschmerz. Diese Tracks schmälern den recht positiven Höreindruck eindeutig, weil sie jammervoll statt aufrichtig klingen und eingefahrene, massentauglich akzeptierte pseudo-sensible Ausdrucksweisen anwenden, statt authentisch wahrgenommene Emotionen abzubilden. Die X Ambassadors versinken in diesen Fällen trotz vielversprechenden Ansätzen leider im trüben Mittelmaß. Sie scheinen dann die Balance zwischen profitorientiertem Songwriting und engagiertem Künstlertum verloren zu haben.

Die Counting Crows, Hootie & The Blowfish, R.E.M., The Wallflowers, Jackopierce, BoDeans, Dave Matthews Band oder Tom Petty & The Heartbreakers haben es einst vorgemacht, wie man Pop-Leichtigkeit und Rock ’n’ Roll-Gradlinigkeit interessant unter einen Hut bekommt, ohne sich an Chart-Gesetzmäßigkeiten anzubiedern. Die mit Platin-Verkaufszahlen verwöhnten X Ambassadors sollten sich an diesen Vorbildern orientieren, anstatt in die Beliebigkeit-Falle zu tappen.

Bei "Townie" wechseln sich also Licht und Schatten ständig ab: Wenn sich der Bass und der sirrende, flirrende und kreischende Feedback-Sound der E-Gitarre im Hintergrund aufmachen, die Luft unheilvoll vibrieren zu lassen, dann haben es die sauber gepickte akustische Gitarre, das cool driftende Schlagzeug und der selbstbewusst-kraftvolle Gesang leicht, "Sunoco" zu einem sowohl gefühlvollen als auch energisch auftrumpfenden Mystery-Track gedeihen zu lassen.

"Smoke On The Highway" erzählt von der Aneignung des heiligen Bodens der amerikanischen Ureinwohner und fängt neben indigenen Rhythmus-Vorstellungen auch bodenständige Country-Folk-Takte ein.

Unnachgiebige Folk- und erdige Blueswurzeln prägen das ihrem Mentor Todd Peterson gewidmetem "Your Town", das durch den dynamisch abgestuften Gesang dramatisch aufgeladen wird. Und die Feedback-Gitarre aus "Sunoco" stellt sich erneut in den Dienst der lärmenden Verzierung.

"I'm Not Really Here" 
und "Start A Band" füllen die Schnittstelle zwischen Rock und Pop glänzend aus. Die Tracks verfügen über einen richtungsweisenden Groove, der durchgängig für Feuer sorgt und die Lieder zu attraktiven Radio-Hits werden lässt.

Direkt auf den Einsatz auf der Tanzfläche zielen "Rashad" 
und "No Strings" 
mit ihren hypnotisch pumpenden Rhythmen ab, während "(first dam)" eines der angesprochenen Demo-Tape-ähnlichen, intimen Alternative-Folk-Stücken ist.

Mit der Ballade "Follow The Sound Of My Voice" zeigen die X Ambassadors, dass sie durchaus glaubhaft anrühren können, ohne in schwülstige Übertreibungen verfallen zu müssen.

Mit "Townie" tauchen die X Ambassadors in ihre Vergangenheit ein und berichten über Ereignisse, die sie in ihrer Heimatstadt Ithaca im Bundesstaat New York mit Freunden und innerhalb der Familie erlebt haben. Sie haben seit ihrem Debütalbum aus 2015 viel erlebt, sind aber bodenständig geblieben und haben nicht vergessen, wo sie herkommen. Das ist sehr sympathisch. 

Mit dem Erfolg hat sich aufgrund von Stress wahrscheinlich eine gewisse Routine eingeschlichen, um die Anforderungen an den Musikbetrieb hinsichtlich Tour- und Marketingverpflichtungen erfüllen zu können. Jedenfalls künden ein paar Songs auf "Townie" aufgrund ihrer beinahe hilflos wirkenden Anbiederung an eine kommerzielle Erwartung davon. Es gibt aber auch - wie eben aufgeführt - einige starke Stücke, die das Potenzial der Band aufleuchten lassen. Bitte das nächste Mal mehr davon! 

Die Gruppe sollte sich gegebenenfalls neu (er)finden und einen unbeugsamen, schweren Kompositions-Weg gehen, der ihnen qualitative Verlässlichkeit verschafft. Dann kann es auch eine Zukunft für den rockigen Pop oder poppigen Rock mit den X Ambassadors geben.

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