Kathryn Williams & Withered Hand - Willson Williams

Handelt es sich bei Zweckoptimismus eigentlich zwangsläufig um Selbstbetrug?


Gemeinsame Empfindungen bei ähnlichen Erfahrungen haben Kathryn Williams und Dan Willson, der unter anderem als Withered Hand Musik macht, für das Projekt "Willson Williams" zusammengebracht. Die beiden kennen sich seit 2019 und mussten in jüngster Vergangenheit wichtige Menschen aus ihrem Umfeld verlieren. Das hat sie emotional so stark verbunden, dass aus ihren nächtelangen Küchen-Gesprächen Songs geworden sind. Inmitten der schottischen Musik-Szene fanden sie unter anderem mit Louis Abbott (Schlagzeug, von Admiral Fellow), Graeme Smillie (Bass, von Arab Strap), Kris Drever (Gitarre, von Lau), Chris Geddes (Keyboards, von Belle & Sebastian) und Kenny Anderson (Akkordeon, von King Creosote) kompetente Partner für die Umsetzung ihrer Entwürfe.

Inmitten von harmonischen, vollmundigen, überwiegend ruhigen Klängen lassen sie den Gefühlen freien Lauf und daraus entsteht oft ein Kontrast zwischen Trost spendenden Tönen und poetisch-nachdenklichen Worten. Das erinnert an das buchstäbliche Pfeifen im Walde, wenn eine ablenkende Motivation die Angst vor der Ungewissheit vertreiben soll.

"Arrow" stößt direkt ins Hirn vor und befriedigt dort das Belohnungszentrum für alle, die sich von wohligen Country-Folk-Tönen in den Arm nehmen lassen wollen. Schönklang pur, der perfekt für einen Genuss ohne Reue zur Erlangung eines Harmonie-Rausches abgeschmeckt ist. Sauber gespielt, nach Feinschmecker-Art zubereitet und ausgeglichen vorgetragen. Das Rhythmusgespann, bestehend aus dezent brummendem Bass und unaufdringlich-variabel aufspielendem Schlagzeug gibt dem Track Halt, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Wobei das Cello den Klebstoff 
liefert, der den vertraut klingenden Call & Response-Gesang und die sich gegenseitig neckenden akustischen und elektrischen Gitarrentöne miteinander verbindet. Leben als Wechselspiel zwischen An- und Entspannung wird hier anhand des Vorgangs des Bogenschießens als Metapher dargestellt.

"Grace" dockt direkt an diese süße Versuchung an und bewegt sich im gleichen liebenswürdig-freundlichen Fahrwasser, sodass sich die singenden Hauptakteure ganz auf ihre Rolle, nämlich den Song stimmlich zu vergolden, konzentrieren können.

Die Hammond-B3-Orgel rauscht und zischelt gemütlich, was für "R U 4 Real?" automatisch ein hingebungsvolles Gospel-Pop-Feeling bereitstellt. Die Konzentration auf melodische Geschmeidigkeit und einen weit ausholenden Refrain lässt den Song langsam, aber dafür lang anhaltend erblühen. Textlich werden Erinnerungen an Familienmitglieder, Gedanken zur Wertschätzung von als selbstverständlich wahrgenommenen Verhaltensmustern und der Wunsch nach Anerkennung und Lob aufgegriffen.

"Our Best" kann oberflächlich betrachtet als rührselig-sentimentale Schnulze identifiziert und abgestempelt werden, was im ersten Moment angebracht erscheint, aber im Kontext des Stücks durchaus Sinn ergibt. Dan Willson über die Philosophie des Tracks: "Kath kam mit einem Refrain nach Edinburgh, den wir für dieses Liedes ausarbeiteten, und gemeinsam bauten wir eine filigrane Struktur darum herum, indem wir unsere Stimmen versuchsweise miteinander harmonieren ließen und uns gegenseitig unterstützten, um die Idee zu verkörpern, das zu tun, was wir angesichts scheinbar überwältigender Widrigkeiten und Veränderungen unternehmen können."

"Shelf" überführt klare Folk-Strukturen in ein märchenhaft-romantisches Umfeld. "Dieser Song entstand, als wir über unsere eigenen Unsicherheiten lachten und uns über uns selbst lustig machten, weil wir ständig in Sorgen waren. Es war ein süßer Gedanke, weil wir das Gefühl hatten, dass keiner von uns mit seiner Verrücktheit allein ist."

Wie ein Outtake von Neil Finns Crowded House hört sich "Wish" an, also wie eine Komposition, welche exakt zwischen Ballade und Power-Pop angesiedelt ist. Es erinnert daran, dass wir die Gegenwart mit den Menschen, die von uns gegangen sind, lebendig halten sollten, um von deren Persönlichkeitsmerkmalen und Ratschlägen weiterhin profitieren zu können.

Für "Sweetest Wine" lässt Kathryn einen sinnlichen Unterton entstehen, dessen verführerische Annäherung jedoch nicht von Dan Willson aufgegriffen und bestätigt wird. Die zur Selbstreflexion führende Differenz zwischen dem, wie wir sein wollen und wie wir sind, spielt hier inhaltlich eine Rolle.

"Weekend" und "Sing Out" konkurrieren um den Titel des eingängigsten Songs auf "Willson Williams", was unentschieden ausgeht. "Sing Out" heißt im Original "If You Want To Sing Out, Sing Out" und ist von Cat Stevens. Das Lied wird hier allerdings etwas flotter als im Ursprung intoniert. Es bleibt aber trotzdem auch in der Cover-Version das, was es in der Vorlage war: ein netter, unbeschwerter Mitsing-Pop.

Bei "Weekend" geht es um das Gefühl, sich innerhalb einer Menschenmenge fremd zu fühlen.

"Elvis" geht nicht auf Elvis Presley, sondern auf Elvis Costello zurück, weil der milde Rhythm & Blues-Folk nach einer Costello-Show in der Edinburgh Usher Hall geschrieben wurde.

Das Stück 
"Big Nothing" beginnt mit einem Statement des Öko-Landwirts und Philosophen John Butler. Im Verlauf legen sich dann die Instrumente schon mal quer und proben den Aufstand, ohne dabei wirklich durch Wut die bestehenden Strukturen einreißen zu wollen. Willson & Williams versuchen nämlich stets, Ruhe und Entspannung einfließen zu lassen, was dem Track eine prickelnde innere Spannung verleiht.

Häufig hört man das Totschlagargument "Das ist ja Geschmackssache", wenn es darum geht, Musik auf- oder abzuwerten. Das ist aber grundsätzlich falsch argumentiert, denn Geschmack ist etwas, was sich langsam aufgrund von Erfahrung bildet und auch Änderungen unterworfen ist. So kann es natürlich sein, dass auch "Willson Williams" den Geschmack beeinflussen oder verändern, wenn vorher ganz andere Sachen gehört wurde. Wie jemand Klänge bewertet, hängt aber in der Regel davon ab, welche Erwartung diese Person hat, um etwas gut oder nicht so gut zu beurteilen.

Die 1974 in Liverpool geborene Kathryn Williams hat sich seit langem als verlässliche Größe in der britischen Folk-Szene etabliert, wobei ihr Erstlingswerk "Dog Leap Stairs" bereits 1999 erschien. Mit über einem Dutzend eigener Veröffentlichungen und einigen Nebenprojekten konnte sie ihre herausragende Stellung als innovative Musikerin unterstreichen und demonstrieren. "Ich klinge nicht wie Lou Reed oder Tom Waits. Aber wenn ich ihnen zuhöre, lerne ich", beschreibt sie ihren Umgang mit Einflussgrößen. Ihre aktuelle Facette zeigt sie als versöhnliche Autorin, die einen Weg sucht, persönliche Konflikte frei von Aggressionen - allerdings auch frei von Experimenten - auf eine Weise auszudrücken, bei der Optimismus und das Besinnen auf die wichtigen Werte im Leben - wie Freundschaft - herausgestellt werden. Diese, auf Harmonie basierende Ausdrucksweise sollte ihr nicht negativ zur Last gelegt werden, denn sie beruht nicht darauf, seicht zu unterhalten, sie ist schlicht und einfach nur eine andere Form der Darstellung möglicher Gefühlsebenen.

Der ebenfalls 1974 geborene Alternative-Folk-Musiker Dan Willson begann seine musikalische Laufbahn erst mit 30 Jahren und machte 2009 durch sein erstes Withered Hand-Album "Good News" auf sich aufmerksam. Zwischen 2014 und 2023 hielt sich der sensible Musiker hinsichtlich neuer Songs zurück. 2023 erschien dann nach 9 Jahren Pause seine zweite LP "How To Love" und schon seit 2019 liefen die Vorarbeiten zum "Willson Williams"-Projekt.

Das "Willson Williams"-Werk ist musikalisch, formell und inhaltlich nahezu perfekt, wenn vollendete Komponier-Kunst, stimmig ineinander verschlungener Gesang und instrumentelle Kreativität in Verbindung mit Wohlklang ohne große Ecken und Kanten in den Arrangements gesucht wird. Wenn es aber die Erwartung gibt, sich an den Tönen reiben zu wollen sowie sperrige Ausflüge bevorzugt und Überraschungen geliebt werden, dann ist das aktuelle Album von Kathryn Williams & Withered Hand nicht unbedingt die richtige Wahl. Es geht bei der Bewertung nicht um falsch oder richtig, beziehungsweise gut oder schlecht, sondern ausschließlich um die Frage, welche Bedürfnisse befriedigt werden wollen, wenn es um die Einschätzung des Interesses an der Musik geht.

Fazit: Isoliert betrachtet und nach den Kriterien der Güte der Umsetzung betrachtet, ist die Platte erste Sahne, da passt alles zusammen. Möchte man jedoch die Kathryn Williams hören, die die Grenzen des Folk auslotet, sich in unterschiedlichen Stilen versucht 
(wie z.B. auf "The Quickening" von 2010), bietet das Werk allerdings wenig Berührungspunkte. Insofern klingen die Töne eher nach vollendet schönem Pop als nach experimentierfreudiger Abenteuerlust. Geschmack hin, Geschmack her. "Willson Williams" ist zweierlei: eine Offenbarung, wenn es darum geht, Wohlklang in Noten zu übertragen und eine Enttäuschung, wenn herausfordernde Klänge erwartet werden. 
 
Die beiden Künstler haben letztlich einen Weg gefunden, mit dem sie erfolgreich verhindern, dass die Melancholie über die Hoffnung siegt. Somit ist der Zweckoptimismus, der aus der Musik spricht, eine willkommene Möglichkeit, dem Irrsinn in der Welt mit kraftspendenden Tönen zu begegnen, ohne dass dabei inhaltlich bestehende Schwierigkeiten geleugnet werden. Das klingt nach einem Patentrezept zur Erhaltung einer positiven Haltung in unruhigen Zeiten.

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