Verborgene Plattenschätze: Celso Fonseca - Natural (2003)

DER Soundtrack für einen endlosen Sommer.


Musik wie eine sanfte, warme Brise. Wie das Abbild einer perfekten Entspannung und des wohligsten Momentes, den man sich vorstellen mag. Musik wie Milch und Honig. All das verkörpert "Natural", das fünfte Album des Brasilianers Celso Fonseca. Hier findet eine zarte Verführung der Sinne statt, die wie ein heilsamer Traum aus Tönen gestaltet wurde, wodurch eine harmonische Verbindung mit dem Universum entsteht. Bossa Nova, Samba und Cocktail-Jazz dienen als Schmiermittel für diesen akustischen Seelenbalsam, der Herz und Hirn betört.

Der 1956 in Rio de Janeiro geborene Musiker vereinigt die Talente Komponist, Produzent, Gitarrist und Sänger in einer Person. Er beschloss mit 19 Jahren Profi-Musiker zu werden, 1986 erschien landesweit sein erstes Album "Minha Cara" (= Mein Herz). Celso Fonseca bezieht sich stilistisch von jeher auf die Großmeister des Bossa Nova. Baden Powell war sein Vorbild, Antônio Carlos Jobim verehrt er und mit Gilberto Gil, Milton Nascimento und Bebel Gilberto arbeitete er zusammen. Darüber hinaus pflegt Celso eine eigentümliche, leise, leichte und kunstvolle Arrangement-Handschrift, durch die er seine Kunst besonders hervorhebt und abgrenzt.

Für "Natural", sein erstes international veröffentlichtes Album von 2003, singt Celso Fonseca mit einschmeichelnder Stimme in Portugiesisch und Englisch und versteht es meisterlich, die Songs transparent und gleichzeitig volltönend klingen zu lassen.

"Bom Sinal" (= Gutes Zeichen) ist ein Vorzeigestück, wenn es um die Demonstration von eingefleischter Gelassenheit, unterschwelliger Sinnlichkeit und luftig-raffinierte  Komponier-Kunst geht. Die nach natürlichen Materialien klingenden Percussion-Instrumente streben nach einer Darstellung der Verwurzelung von Mensch und Umwelt. Bass und Piano legen eine Spur zum Jazz, der sich hier in den Dienst des luxuriösen Easy-Listening-Sounds stellt. "Mit dir ist die Freude hier, um zu bleiben", singt Celso und diese Zufriedenheit überträgt sich auf jede Note.

"Sem Resposta" (= Keine Antwort) ist eine nur mit dynamischer Akustik-Gitarre und Bass ausgestattete Nummer, die das ganze Entertainment-Potenzial von Celso offenbart. Trotz der puristischen Begleitung glänzt er als souveräner, die Aufmerksamkeit auf sich ziehender, fesselnder Interpret, der das schmerzliche Thema "Trennung" trauernd, aber dennoch gefasst vermittelt.

"A Origem da Felicidade" (= Der Ursprung des Glücks) benutzt anfangs elektronische Effekte zur Steigerung der Aufmerksamkeit, bleibt aber stets der sowohl melancholischen als auch rhythmisch aktiven Bossa Nova verbunden. Celso kommt in seiner Poesie zu der Erkenntnis, dass Freude der Ursprung des Glücks sei.

"The Night We Called It a Day" ist ein Jazz-Standard aus dem Jahr 1941, bei dem sich Jazz-Chanson und Samba innig unter romantischen Bedingungen küssen. Dazu passt, dass Frank Sinatra den Song als Crooner auf seinem ersten Album aufnahm. Aber die Romantik bekommt deutliche Risse, wenn man sich dem Text nähert, denn es gibt kein Happy-End: "Der Mond ging unter, die Sterne waren verschwunden. Aber die Sonne ging nicht mit der Dämmerung auf. Es gab nichts mehr zu sagen."

Trotz des Namens ist hier gar nichts krumm oder schief: "Meu Samba Torto" bedeutet nämlich "Meine krumme Samba". Ganz im Gegenteil: Das Lied läuft angemessen kräftig swingend und in beinahe flotter Geschwindigkeit durch und dient in dieser Form als Stimmungsaufheller.

Die Dunkelheit legt ihre schützende Hand über alle verlorenen Seelen, die in der Nacht Geborgenheit und Schutz suchen. Das "Febre" (= Fieber) ihrer Wünsche lässt sich aber nicht lindern. Eine einsame Trompete steht stellvertretend für alle Melancholiker und Celso nimmt diese Menschen zärtlich-verständnisvoll gesanglich in den Arm. Das empfundene Fieber ist ein Fieber der Sehnsucht.

Das Instrumental-Stück "Consolação"(= Trost) schafft eine Verbindung zwischen Samba und intellektuellem Folk-Jazz, wie ihn die britischen Pentangle (Jacquie McShee (Gesang), Bert Jansch (Gesang, Gitarre), John Renbourn (Gesang, Gitarre), Danny Thompson (Bass) und Terry Cox (Schlagzeug)) Ende der 1960er/Anfang der 1970er gespielt haben. Struktur trifft auf Improvisation, Freidenken auf Tradition. Das klingt, als würde drogenverhangener Hippie-Folk freundschaftlich mit konservativem Mountain-Folk fusionieren.

Für den schwungvollen Samba "She's A Carioca" (Carioca = Einwohner von Rio de Janeiro) stimmt Celso Fonseca ein Duett mit der brasilianischen Sängerin Cibelle an, bei dem diese mindestens gleichberechtigt ihre verführerische Stimme einbringt, was die Luft lustvoll knistern lässt.

"Teu Sorriso" (= Dein Lächeln) zollt der ursprünglichen Folklore Brasiliens Tribut, denn der Song beginnt mit einem Berimbau-Solo. Da ist die sogenannte "Maultrommel des Bauches", ein Saiteninstrument, welches einen Flaschen-Kürbis als Resonanzkörper hat und schnarrend-blubbernde Töne von sich gibt. Diese Ballade verbindet also unorthodox das traditionelle und moderne Brasilien miteinander. "Mache mein Herz glücklich. Bring das Licht deines Lächelns zurück zu mir", singt Celso flehentlich unter Verwendung eines zeitlosen Song-Themas.

Nomen est Omen: "Slow Motion Bossa Nova" hält, was der Name verspricht und ist eine Verneigung vor den wegweisenden Musikern, die die Bossa Nova in den 1950er Jahren ersonnen und in den 1960er Jahren bekannt gemacht haben. In dieser Hommage erklärt Fonseca, dass die Wirkung von Bossa Nova und Samba bei ihm zum Seelenfrieden geführt hat.

Die herausragende brasilianische Sängerin Dalva de Oliveira (1917 bis 1972) war über Jahrzehnte ein Star in ihrem Heimatland. Ihr Leben verlief skandalträchtig und tragisch. Von der bürgerlichen Fraktion verachtet, aber von Außenseitern geliebt, wurde sie zum Idol für Bevölkerungsgruppen, die oft im Abseits stehen. Das lebensfrohe "Minha Dalva de Oliveira" erinnert an diese standhafte Künstlerin und setzt ihr ein Denkmal.

Der zweite Instrumentaltitel "Butéco 2" lässt das E-Piano, die akustische Gitarre und die Percussion im Wettstreit um das dominanteste Instrument antreten. Das ist mehr Jazz als Samba, bewegt sich aber locker im tonalen, rhythmisch aktiven Bereich.

"Natural", dieses schwerelos-weich klingende, kompositorische, melodische und gesangliche Wunderwerk, scheint aufgrund seiner erhabenen Eleganz und meditativer Ausgeglichenheit nicht von dieser Welt zu sein, so betörend, zum Niederknien schön tönt es aus den Lautsprechern und verzaubert jeden Augenblick, dem man der Musik widmet, in einen unbeschwerten Sommertag. Unglaublich wohltuend und inspirierend ist das! Die wundervolle Musik von Celso Fonseca ist hierzulande immer noch ein gut gehütetes Geheimnis. Wird Zeit, dass es endlich gelüftet wird!

Kommentare

  1. Lieber Heino, vielen Dank für diese Empfehlung - klasse :-) Viele Grüße Tobi

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    1. Lieber Tobias! Es freut mich sehr, dass diese Empfehlung so gut bei Dir ankam! Genieße den Sommer und Celso Fonseca.

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