Verborgene Plattenschätze: King Crimson - Discipline (1981)

King Crimsons Reinkarnation von 1981 fällt mit "Discipline" sowohl zeitgemäß als auch retrospektiv aus.


Robert Fripp hatte seine vom Ende der 1960er-Jahre bis Mitte der 1970er-Jahre erfolgreich agierende Künstlervereinigung King Crimson 1981 namentlich und Tonträger-technisch auferstehen lassen. Charakteristisch für die Gruppe war immer, dass man von LP zu LP neue Wege beschritt und dadurch auch oft die beteiligten Musiker wechselten - das galt auch für das Reunion-Album "Discipline".

Bei "Discipline", dem achten Album der Formation, bestand die Band aus der einzigen Konstante und dem Mastermind Robert Fripp (Gitarre), dem ex-David Bowie-, ex-Frank Zappa- und ex-Talking Heads-Sideman Adrian Belew (Gesang und Gitarre). Bill Bruford aus der letzten King Crimson-Besetzung am Schlagzeug und Tony Levin am Bass, der unter anderem für Jazz-Flötist Herbie Mann und Peter Gabriel tätig war, komplettierten die Besetzung.

Die Kompositionen schöpften 1981 aus bewährten Tugenden und aktuellen Einflüssen, die zu einem unverwüstlich stabilen Klangbild verschmolzen wurden. Das Werk knüpft zum Beispiel grundsätzlich an die kraftvollen Ausbrüche und gelegentlich an die sensiblen Momente von "Red" - der letzten King Crimson Studio-Platte von 1974 - an und zeigt sich auf den sieben, vorwiegend furios-hitzigen Tracks rhythmisch wilder, herausfordernder und komplexer denn je. Wobei Adrian Belew mit seinem seltsam-exzentrischem, überdreht-besessenem Gesang und seinem schrillen Gitarrenspiel besonders frenetisch-auffällig hervorsticht.
 
In Anlehnung an ursprüngliche afrikanische Folklore und improvisiertem Rock entstand "The Sheltering Sky". Der Track bildet somit eine Brücke, die eine historische Musikauffassung mit dem systematischen, mehrschichtigen Aufbau von King Crimson-Stücken und den elektronischen "Frippertronics"-Loops von "No Pussyfooting" von Fripp & Eno aus 1972 verbindet. Die erzeugte Stimmung wurde vom Roman "Sheltering Sky" (deutsch: "Himmel über der Wüste"), den der zur Beat-Generation zählende Autor Paul Bowles 1949 schrieb, inspiriert. In dem Buch, das 1990 von Bernardo Bertolucci verfilmt wurde, geht es im Kern um ein reiches Paar mit Eheproblemen auf der Selbstsuche in der nordafrikanischen Wüste.

Der nervös-monoton getaktete Titel-Song ist wiederum ein stilistisches Überbleibsel der schrillen, tanzbaren "League Of Gentlemen"-LP, die Robert Fripp im Februar 1981 herausbrachte. Der Titel wurde nicht grundlos gewählt, denn jeder Musiker sollte bei diesem Stück, das etliche Taktwechsel durchläuft, eine gleichberechtigte Rolle einnehmen, sich also nicht in den Vordergrund spielen. Fripp hatte diese Vorgehensweise von der indonesischen Gamelan-Musik gelernt.

"Matte Kudasei" (was "bitte warten" auf Japanisch heißt) ist dagegen eine flirrend-sphärische, ergriffen-pathetische Ballade, die sich an "North Star" vom Robert Fripp-Album "Exposure" aus 1979 orientiert und die Sehnsucht nach der Heimkehr eines geliebten Menschen zum Thema hat.

Einige Tracks stehen unter dem Einfluss des schwirrend-schreienden E-Bow-Gitarrenstils von Adrian Belew, wobei besonders das schwindelerregend kreiselnde, hart rockende "Elephant Talk" mit einem einnehmenden Hochdruck-Energie-Level zu überzeugen weiß. Belew schmeißt mit seinem panisch-klaustrophobischen Gesang etliche Begriffe fürs "Reden" in die Runde und endet bei jedem Vers mit der Bemerkung "Es ist nur Gerede". Man kann den Song also auch als ein Plädoyer zum Handeln, statt zum endlosen Diskutieren verstehen.

Das schweißtreibend groovende "Thela Hun Ginjeet" war stark von den Talking Heads zu Zeiten von "Fear Of Music" (1979) und "Remain In Light" (1980) mit dem dort vorherrschenden, brodelnden Afro-Funk inspiriert. Inhaltlich stellt "Thela Hun Ginjeet", das ein Anagramm des Originaltitels "Heat In The Jungle" darstellt, eine Verarbeitung des Mordes an John Lennon dar.

"Frame By Frame" gebärdet sich zunächst als hyperschnell ablaufender, irrwitzig ungestümer Jazz-Rock-Track. Er bekommt allerdings kurz vorm Bersten balladeske Einschübe zugewiesen und dieser Wechsel zwischen Höchstgeschwindigkeit und Ruhephase erfolgt danach erneut. In dem Text scheint es um Überforderung zu gehen ("Tod durch Ertrinken (von innen). In deiner eigenen, in deiner eigenen Analyse)."
 
"Indiscipline" braucht eine Weile, um von einer Free-Jazz-ähnlichen Selbstfindungsphase zu einer konzentriert-straffen, fortschrittlich-experimentellen Art-Rock-Einstellung zu finden. Aber dann überrollt der Track einen mit seiner brachialen Gewalt, die einige Heavy-Metal-Bands wie unschuldige Chorknaben dastehen lassen. Die Poesie wurde von einem Brief, den Adrian Belews damalige Frau an ihn schrieb, beeinflusst. Darin ging es darum, was ihr beim Malen so alles durch den Kopf gegangen war.

Auf manche Personen wirkt "Discipline" kalt, von instrumentaler Perfektion geprägt und erscheint dadurch eventuell emotional unnahbar. Zugegeben: "Discipline" ist ein von virtuosen Musikern eingespieltes, handwerklich überragend gestaltetes und dadurch unglaublich sauber klingendes Album geworden. Aber es ist auch lebendig-ungestüm und fängt den Zeitgeist des in den frühen 1980er-Jahren angesagten, hektisch-nervösen New-Wave-Sounds ein. Dabei bezieht es sich auf die Avantgarde dieser Bewegung. Dadurch verschmilzt es auf kaum nachahmungsfähige Weise die Komplexität des Art-Rocks mit der unbekümmerten, Stil-unabhängigen Ausgelassenheit des Post-Punks. 
 
Der Zahn der Zeit konnte der Musik wenig anhaben. Wenn man bereit ist, sich auf Sounds, die zwischen Jazz-Rock, Minimal-Art und New Wave angesiedelt sind, einzulassen, dann erstaunt die Platte immer noch und immer wieder aufgrund ihres Einfallsreichtums, der handwerklichen Präzision und der gezielten Klang-Provokationen. Das Werk stellte damals den Anfang und den Höhepunkt einer 1980er-Trilogie dar, zu der noch die gleichartigen Platten "Beat" (1982) und "Three Of A Perfect Pair" (1984) gehören.

Adrian Belew schwärmte später immer noch von den Einspielungen für "Discipline": "Ich denke, es war damals wahrscheinlich die beste Band der Welt! Es war einfach die perfekte Besetzung und die perfekte Kombination aus allem: hart, leicht, lustig und düster. Ich finde einfach, dass diese Band etwas absolut Wunderbares hatte". Die Aufnahmen von "Discipline" wurden mehrfach in unterschiedlichen Ausprägungen wiederveröffentlicht. So auch zum vierzigsten Jubiläum im Jahr 2021 als von Steven Wilson technisch überarbeitete Doppel-CD mit Bonus-Tracks. Dazu gehören alternative Mixe und Aufnahmen aus der "Old Grey Whistle Test"-Show vom BBC.

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