Bright Eyes - Five Dice, All Threes (2024)
Die Würfel sind gefallen: Bright Eyes sind nach vier Jahren Veröffentlichungspause überraschend mit "Five Dice, All Threes" zurück.
Auf Conor Oberst als glaubwürdigen, klugen Songwriter können sich viele Musikfreunde einigen. Ab Mitte der 1990er-Jahre hat sich der Musiker aus Omaha (Nebraska) zusammen mit seinen Freunden Mike Mogis (Saiten) und Nate Walcott (Tasten) einen ausgezeichneten Ruf erspielt, weswegen die Formation zu den kreativsten und ausdrucksstärksten Gruppen der Folk-Rock-Szene der USA zählt. Ihre Ideen setzen sie unkonventionell, stilübergreifend und manchmal mosaikartig zusammengesetzt um und reichern sie durch popkulturelle TV-. Kino- und Wort-Beiträge, Sound-Effekte oder Field-Recordings an. Conor Oberst singt dazu mit zerbrechlich-trauriger Stimme, die nicht durch einen beachtlichen Oktavenumfang, sondern durch zu Herzen gehende Emotionalität auffällt.
"Five Dice, All Three" ist das erste Bright-Eyes-Werk seit "Down In The Weeds, Where The World Once Was" aus 2020. Zuvor gab es bereits seit "The People`s Key" aus 2011 neun Jahre lang eine Veröffentlichungspause. "Five Dice, All Three" ist ein Begriff aus dem Bereich der Würfelspiele, welches sich auf die geringe Wahrscheinlichkeit bezieht, mit fünf Würfeln bei nur einem Wurf nur Dreien zu haben.
Das Intro "Five Dice" legt eine Würfel-Spiel-Szene mit allerlei Sound-Schnipseln zusammen, sodass sozusagen ein akustisches Zerrbild des American-Way-Of-Life entsteht.
"El Capitan" heißt übersetzt "Anführer" und ist eine Felsformation im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien, die aufgrund der steilen Felswände zum Eldorado für Kletterer geworden ist. Der galoppierende Rhythmus des Songs steht im Kontrast zur Ernsthaftigkeit, mit dem die Geschichte vorgetragen wird. Sehnsüchtige Mariachi-Trompeten verleihen dem Lied zum Abschluss dann noch eine Extraportion Fernweh. Textlich spielt der Felsen eine untergeordnete Rolle, er fungiert in dieser tragischen Liebesgeschichte lediglich als Beispiel dafür, dass man gefährliches Klettern für verrückt halten kann.
"Bas Jan Ader" war ein niederländischer Video- und Konzept-Künstler, der als 33-Jähriger im Jahr 1975 in einem kleinen Segelboot eine künstlerisch motivierte Atlantik-Überquerung mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Wunderbaren (Lieder für den Nordatlantik)“ antrat, bei der er verschollen blieb. Zehn Monaten nach dem Verschwinden wurde dann sein leeres Boot an die Küste von Irland angespült. Conor Oberst legt dem Niederländer die Worte "Es braucht starke Nerven, um auf dem Planeten Erde zu leben. Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten" in den Mund. Der Rückblick auf den eigenwilligen Künstler wird in einen elegant-cool swingenden Country-Folk-Song mit Rhythm & Blues-Basis gekleidet.
Mit zittriger Stimme unterlegt Conor Oberst "Tiny Suicides", ein Lied, das - wie der Titel schon vermuten lässt - als eine todtraurige Ballade arrangiert wurde, die stilistisch im Americana-Umfeld angesiedelt ist. Zum Abschluss gibt es noch eine verstörende Audio-Einspielung zu hören, bei der Frauen bitterlich weinen. Trotz des Titels ist das Stück in seiner Aussage gar nicht total negativ: "Eines Tages sterben wir alle. Warum diesen kleinen Selbstmorden nachgeben?" Das will eigentlich heißen: "Passe auf dich auf, übertreibe es nicht mit Dingen, die nachweislich schädlich für dich sind, damit du länger lebst."
Für "All Threes" gibt es gesangliche Verstärkung von Chan Marshall alias Cat Power, die sich ein starkes, verschlungenes Duett mit Conor Oberst liefert. Die starke Musikerin umgarnt Conor bei diesem attraktiv-komplexen Folk-Jazz mit knisternder Erotik in der Stimme und lässt keinen Zweifel daran, wer hier die längere Leine in der Hand hält. Traum- oder Albtraum-Lyrik? Drogen oder Dada-Poesie? Der Text gibt einige Rätsel auf. Die Musik betört und bewegt.
Überfallartig, mit hastig-aufbrausender Punk-Attitüde, stürmt der Pub-Rock "Rainbow Overpass" heran. Der heftige Schwung und die brodelnde Energie sind auch Alex Orange Drink von der New Yorker Punk-Band The So So Glos zu verdanken, der Co-Autor ist und in diesem Trennungs-Szenario eine Strophe singen darf.
"Hate" beinhaltet die Auflistung von verabscheuungswürdigen Personen, Institutionen und Dingen eines durchaus frustrierten, aber nicht aggressiven Menschen, denn die Kernaussage lautet: "Weißt du nicht, dass immer die bösen Jungs gewinnen?". Der Song transportiert im Prinzip eine textlich ausgedrückte desillusionierte Weltsicht und bedient sich dabei eines schleifenden, stumpfen Rhythmus, wartet aber auch mit einem kreischenden, psychedelischen E-Gitarren-Aufschrei auf.
"Real Feel 105°" beginnt als wortreicher, klassischer Folk-Song, begleitet von einer akustischen Gitarre. Er wird im Verlauf durch immer mehr Instrumente angereichert, bis es schließlich zur orchestralen, üppig schwelgenden Country-Pop-Broadway-Nummer kommt, die zur Hymne mutiert. Als Tüpfelchen auf dem I wird sie wird mit ein paar erschütternd hingebungsvollen Liebeserklärungen garniert ("Früher habe ich auf Almosen gewartet und auf der Straße gefleht, aber du bist alles, worum ich jetzt flehe.")
Den sentimentalen Piano- und Synthesizer-Tönen von "Spun Out" wird durch eine kräftige elektrische Gitarre und mit sperrigen Hip-Hop-Sounds die Süße so weit verdünnt, dass das Lied schließlich kurz den Flow verliert, aber letztlich doch noch als clever aufgebauter Song mit assoziativen Wortschöpfungen durchgeht. Und war das da etwa David Bowie, der am Ende gesprochen hat?
"Trains Still Run On Time" bekommt einen energischen Roots-Rock verpasst, der durch Einfallsreichtum, Leidenschaft und verschrobene Eingängigkeit zu überzeugen weiß. Und wenn die Züge immer noch pünktlich fahren, dann kann ja alles nicht so schlimm sein - das ist die satirisch gemeinte Annahme in diesem Song. Wenn man die Regel und Ableitung mit den pünktlichen Zügen auf Deutschland überträgt, dann kann einem angst und bange um unsere Republik werden.
Tief unter die Haut, zu Herzen und an die Seele geht die Art-Rock-Ballade "The Time I Have Left", für deren Umsetzung Matt Berninger von The National als Gesangs-Vorzeige-Gast geladen wurde. Seine einprägsame, entspannte und dabei durchdringende Bariton-Stimme trägt maßgeblich und vorzüglich zum Gelingen dieses "Endzeit"-Liedes bei ("Ja, ich würde dich gerne nach der Zeit fragen, die
mir noch bleibt").
"Tin Soldier Boy" wildert musikalisch sowohl im West-Coast-Folk-Rock von Neil Young und im New-Orleans-Jazz als auch im vom Cabaret- oder Vaudeville-Sound, der The Kinks, der sie zu solchen Meisterwerken wie "The Kinks Are the Village Green Preservation Society" inspiriert hat. Bodenständigkeit, Spontanität und Ausgelassenheit sind Standbeine, auf denen der Track, der das Durchhalten in vielen Lebenslagen propagiert, fußt.
Der Fülle von interessanten Ideen stehen allerdings auch ein Zuviel an überambitioniert eingesetzten Gimmicks und Einspielern entgegen. Die Stücke benötigen diese Effekte nicht, um ihre Anziehungskraft zu unterstreichen. Sie sprechen aufgrund ihrer kompositorischen Besonderheiten sowieso für sich. Die Musiker bestätigen und festigen mit "Five Dice, All Threes" jedenfalls ihren Ruf als einfühlsam-gewandte Band, die die hingebungsvoll-bewegenden, emotional aufgewühlten Phasen im Leben mit verständnisvollen und verlockenden Songs ausfüllen.
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