The Barr Brothers - Let It Hiss (2025)

Denn sie wissen genau, was sie tun!

 
Brad und Andrew Barr können bislang nur einen schmalen Veröffentlichungskatalog von vier Alben innerhalb von vierzehn Jahren vorweisen. Inklusive "Let It Hiss", das am 17. Oktober 2025 erscheint. Alle Platten bieten keine Konfektionsware von der Stange, sondern intelligente, individuelle Kompositionen an, die grob dem Americana-Genre zuzuordnen sind. Dieses Korsett wird aber nur als stabilisierender Ausgangspunkt verwendet, daneben agiert das Brüderpaar freigeistig und orientiert sich in alle Richtungen.

Credit: Lauren Kallen

Acht Jahre liegen zwischen "Queens Of The Breakers" aus 2017 und dem aktuellen, vierten Studioalbum. Dazwischen gab es jede Menge Zweifel, Veränderungen und Erkenntnisse. "Let it Hiss" ist das, was passiert, wenn man aufhört, so zu tun, als wäre alles in Ordnung – und endlich wirklich zuhört", erklärt Andrew Barr die Beweggründe, die zur neuen Musik geführt haben.

"Take it From Me" ist von solch einer klanglichen Klarheit und überzeugender Ausdruckskraft, dass der Song auch auf jedem Wilco-Album eine gute Figur machen würde - das nur für den Fall, dass man einen Vergleich benötigt oder eine Orientierung über die Güte des Liedes haben möchte. Der sich teils träge dahinschleppende Folk und teils kühn und pfiffig agierende Art-Pop wird von einer manchmal brüchig-schmerzhaften, manchmal schmeichelnden Stimme begleitet, die neben den ohnehin schon abwechslungsreichen Arrangements für weitere Spannung sorgt. Der Track wirkt wie eine überraschende, süffige, folkloristische Weltreise, deren Eindrücke Exotik und Eleganz vermitteln.

 

Der Song "Let It Hiss" überführt den anfänglich dröhnenden Garagen-Rock-Sound fließend in einen rhythmisch aktiven Weltmusik-Groove mit Ausflügen in entzückend-aromatische Southern-Rock-Gefilde. In dieser munteren Mixtur werden als kulturelle Sahnehäubchen philosophische Blickwinkel untergebracht, wie: "Wenn du alles wieder tun könntest, was würdest du ändern?" oder "Nur weil du den Schmerz nicht fühlst, heißt es nicht, dass es dir nicht wehtut."
 
 
Mit "English Harbour" tritt Brad Barr mit der stimmlichen Verstärkung von Jim James (My Morning Jacket) und Arc Iris (Jocie Adams, The Low Anthem) quasi das gesangliche "Erbe" von The Milk Carton Kids an, so fein aufeinander abgestimmt und unendlich harmonisch klingen die Stimmen zusammen. Das Lied ist durchzogen von einer heiligen, verklärten Sanftheit, es könnte das neue "Hallelujah" (Leonard Cohen) werden. Ein leises Brummen erzeugt Schwingungen, die ausgleichend, verlässlich und beruhigend wirken. Mandolinentöne in beiden Kanälen erden das Geschehen, bevor der Track droht, sich durch seine Durchlässigkeit in der Umwelt zu verflüchtigen. Wohlklang am Rande des feinstofflichen Bereichs!
 

"Run Right Into It" "...ist ein Song darüber, sich dem zu stellen, was uns Angst macht, nicht weil wir furchtlos sind, sondern weil wir endlich bereit dazu sind." Das verkünden die Brüder über den thematischen Inhalt. Das Stück ist darüber hinaus "eine Hommage an die Kraft zweier Stimmen, die zusammen singen und sich gegenseitig brauchen, und ein freudiger Ausdruck der Verwandlung, die uns durch das Leben treibt und Schwierigkeiten in Wachstum verwandelt." Die Barr Brothers erhalten hier Verstärkung von der kanadischen Alternative-Rock-Gruppe Land Of Talk um die Sängerin, Gitarristin und Komponistin Elizabeth Powell, in der auch Andrew Barr Mitglied ist. Der Track beginnt als Lehrstück in Sachen "verzerrter Gitarrensound" und entwickelt sich hin zu einem hübschen Pop-Song mit mehrstimmigem, gefühlvollem und aufmunterndem Gesang unter Einbeziehung eines schwungvollen Rhythmus-Geflechts.

 
"Moonbeam" ist eine Ballade, die durch die zweite Stimme der kanadischen Sängerin Klô Pelgag einen gehörigen Schub in Richtung Rührseligkeit erhält, was dem Lied nicht guttut, da es dadurch an Kontur und Reiz einbüßt. Es fehlen die smarten Widerhaken, die andere Arrangements so einzigartig erscheinen lassen.

 

Mit "She Doesn’t Sleep With The Covers On" sind die Brüder wieder in der Spur und liefern einen angeschwipst hüpfenden Song ab, der sowohl wortreiche Toasting-Bestandteile aus dem Reggae-Fundus als auch sonnige Beach-Boys-Anleihen enthält.

Die süß schwelgende Soul-Stimme der Kanadierin La Force, die alleine oder als Chor zusammen mit Brad Barr für eine gesegnete Gospel-artige Hingabe sorgt, vergoldet die Hintergrundklänge von "Naturally". Die zur Hälfte ruhig ablaufende Nummer, welche ein zart schmelzendes Saxophon-Solo beherbergt, schafft es im zweiten Teil aufgrund von Dynamik-Abstufungen, eine Fiebertraum-Atmosphäre zu erschaffen. Der Track hatte für Brad Barr eine Sinn stiftende Wirkung und war deshalb wichtig für den Qualitätsanspruch an das gesamte Album: "Dies war einer der anspruchsvolleren Titel, die ich für das Album geschrieben habe. Er verlangte ein Maß an Ehrlichkeit und Demut, das – einmal fertiggestellt – die Messlatte für das, was ich als Songwriter anbieten möchte, deutlich höher gelegt hat. Er hat mir geholfen, mich für einige harte Wahrheiten zu öffnen."

"Owning Up To Everyone" ist ein mit sprudelnd-bunten Nuancen spielender Song, bei dem Raffinesse, Komplexität, Transparenz, Eingängigkeit und Emotionalität originell zusammenkommen.

Lockeren, aufreizenden und weltoffenen Country-Folk gibt es dann bei "Another Tangerine" zu hören.

Für "Upsetter" begeben sich die Barr Brothers in eine Zeitschleife, in der klassischer Rock ’n’ Roll mit Hard- und Heavy-Rock-Bestandteilen eine Bühne teilt. Dieses Gemisch wird zum Schluss durch wilde Psychedelic-Rock-Entgleisungen auf ein spezielles Energie-Level gehoben.

"Let It Hiss" beginnt zurückhaltend-betrübt und endet ausufernd-wild. Der emotional vielfältige Kreis ist geschlossen. The Barr Brothers, die aus Providence (Rhode Island) stammen und seit etwa 20 Jahren in Quebec, Kanada, leben und arbeiten, legen großen Wert auf eine gediegene Ausgestaltung ihrer Kompositionen. Die vielen Wendungen, Effekte und stilistischen Überleitungen wurden dezent und geschmackvoll eingefasst. Sie sind nie Selbstzweck, sondern werten die Lieder künstlerisch erheblich auf. Eine klare Empfehlung für alle Menschen, die sich bei Pop-Musik nicht mit Konfektionsware von der Stange zufriedengeben!

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