Bob Dylan - More Blood, More Tracks - The Bootleg Series Vol. 14 (2018)

Jetzt gibt es sie also doch offiziell, die bisher nur als Bootleg veröffentlichten alternativen BLOOD ON THE TRACKS-Aufnahmen aus New York. Als MORE BLOOD, MORE TRACKS: BOOOTLEG SERIES VOL. 14 kann eine limitierte opulente 6 CD-Box erworben werden oder als Einzel-CD die BLOOD ON THE TRACKS-Titel in anderen Versionen + das Bonus Stück UP TO ME. Zur Einzel CD gibt es hier eine Rezension:

Bob Dylans Archiv-Ausgrabung Nr. 14 enthält als 6 CD-Box die kompletten „Blood On The Tracks“-Sessions und es gibt eine intime, alternative Zusammenstellung als Einzel-CD.

Was wurde nicht schon alles über „Blood On The Tracks“ gemunkelt, gemutmaßt und spekuliert: Dazu gehört die Annahme, hier würde Bob Dylans kriselnde Ehe mit Sara Lowndes verarbeitet. Dieser Zusammenhang wurde vom Poeten jedoch stets bestritten, nachzulesen auch in seinen Memoiren „Chronicles, Vol. 1“. Sein 1969 geborener Sohn Jacob behauptete jedoch, dass er in den Liedern die damalige entfremdende Situation zwischen seinen Eltern wiedererkennt. Tatsächlich erlernte Bob 1974 in einem Malkurs bei Norman Raeben ein Verfahren der kubistischen Ästhetik als Technik zur fiktionalen Aufhebung der Zeit. Das führte dazu, dass die Fähigkeit, sich beim Komponieren besser konzentrieren und entfalten zu können, gesteigert wurde. Die Texte des Werkes sollen von den Kurzgeschichten des russischen Schriftstellers Anton Tschechov beeinflusst worden sein. Das kann sein, denn Tschechov gehört zu den Lieblingsautoren des Sängers. Fakt ist auch, dass Dylan im September 1974 in New York das erste Mal seit „New Morning“ von 1970 wieder Songs unter eigenem Namen aufnahm. Dazwischen lagen ein Soundtrack-Beitrag („Pat Garrett & Billy The Kid, 1973), Cover-Versionen („Dylan“ 1973) sowie zwei Alben, die gemeinsam mit The Band entstanden sind („Planet Waves“ und „Before The Flood“, beide 1974).
Siebzehn Lieder hatte His Bobness im Sommer 1974 auf seiner Farm in Minnesota geschrieben. Da er unsicher war, wie sie bei anderen Menschen ankommen würden, präsentierte er sie unter anderem Crosby Stills & Nash, wobei Stephen Stills die Interpretationen in der rohen Form nicht besonders mochte. Danach kam die Idee auf, die Tracks mit einer elektrischen Band einzuspielen. Dylans Lead-Gitarrist sollte dafür Mike Bloomfield werden, der schon 1965 „Highway 61 Revisited“ veredelte. Aber die beiden konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. So kam es, dass viele der Stücke in kleiner akustischer Besetzung eingespielt wurden. Dylan agierte dabei im New Yorker A & R Ton-Studio ähnlich agil und selbstbewusst wie vor seinem Motorradunfall im Jahr 1966. Nach diesem Ereignis litt er nämlich nach eigenen Angaben an einer Art Amnesie, die ihm die Fähigkeit raubte, neue Lieder frei aus sich heraus fließen zu lassen.
Die „Blood On The Tracks“-Aufnahmen liefen vielleicht auch deshalb für Dylan so anregend ab, weil sie dort stattfanden, wo er in den 1960er Jahren bereits sechs Platten aufgenommen hatte. Bob war so euphorisch, dass einige eingeladene Musiker mit seiner spontanen Art und seinem Elan nicht mithalten konnten. Als Mitstreiter standen der Bassist Tony Brown, Paul Griffin und Thomas McFaul an den Tasten, Steel-Gitarrist Buddy Cage von The New Riders Of The Purple Sage sowie Charles Brown III, Barry Kornfeld und Eric Weissberg an den Gitarren zur Verfügung. Schon nach vier Sessions innerhalb von zehn Tagen hatte die Platte Gestalt angenommen und es wurden Testpressungen erstellt. Bob spielte diese seinem Bruder David Zimmerman vor, der sich danach skeptisch über die Vermarktungschancen äußerte. Das brachte Dylan dazu, fünf Songs in Minneapolis mit größtenteils veränderter Besetzung aufzunehmen, die dann auf „Blood On The Tracks“ Platz fanden. Das waren „Idiot Wind“, „You`re A Big Girl Now“, „Tangled Up In Blue“, „Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts“ und „If You See Her, Say Hello“. Zu den neuen Akteuren gehörten dabei Kevin Odegard und Chris Weber (Gitarren), Gregg Inhofer (Keyboards), Billy Petersen (Bass) und Peter Ostroushko (Mandoline). Sie bekamen allerdings alle für ihren Einsatz keine Erwähnung im Booklet des Albums. Die neue Ausgabe des Werks erschien dann offiziell am 20. Januar 1975.
„More Blood, More Tracks - The Bootleg Series Vol. 14“ arbeitet jetzt die Studio-Situation in New York und Minneapolis nahezu vollständig auf. Die Einfach-CD-Version enthält „Blood On The Tracks“-Stücke aus New York in anderer Reihenfolge sowie den Outtake „Up To Me“, der schon in einer anderen Interpretation in der „Biograph“-Box von 1985 veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei ausschließlich um akustische, Schlagzeug-freie Aufnahmen, die Dylan Solo oder in Begleitung des Bassisten Tony Brown zeigen. Die 6-CD-Ausgabe präsentiert sämtliche New Yorker Aufnahmen, nebst Outtakes und Fehlstarts sowie alle noch vorhandenen Einspielungen aus Minneapolis. Das sind allerdings nur genau die, die auch auf „Blood On The Tracks“ zu finden sind. Zumindest wurden diese nochmal klangtechnisch überarbeitet. Ob jetzt die Aufnahmen aus New York oder Minneapolis für intensiver gehalten werden, spielt eigentlich keine Rolle, da beide Formen für sich sprechen. Schließlich ist Dylan auch auf der Bühne stets bemüht, seinen Liedern immer wieder einen neuen Anstrich zu verleihen und somit ihren Charakter zu verändern. Aus diesem Blickwinkel handelt es sich hier um zwei Seiten einer Medaille. Die in New York in verschiedenen Besetzungen entstandenen Einspielungen wirken tendenziell lieblicher, ausgeglichener und runder. Die Ensemble-Varianten aus Minneapolis sind im Prinzip angriffslustiger, provokanter und ungestümer. In beiden Fällen zeigen die wortreichen Songs aber ihre zwingende kompositorische Klasse, weil sie aufrichtig klingen, den Spannungsbogen hoch halten und dabei frei fließend für Coolness sorgen.
„Blood On The Tracks“ gilt zu Recht als eines der herausragenden Werke im langjährigen Schaffen von Bob Dylan. Ohne Durchhänger zeigt das Album nachhaltig beeindruckende Lieder von großer Intimität, Ausgeglichenheit, Kreativität und Stärke, die ihre Geheimnisse nur in homöopathischen Dosen preisgeben. Aus heutiger Sicht war es immer noch eine gute Entscheidung, fünf Stücke auszutauschen. Die Dynamikunterschiede tun dem Ablauf gut und sorgen für Abwechslung im Klangbild. Die Einzel-CD von „More Blood, More Tracks - The Bootleg Series Vol. 14“, die zur Rezension vorlag, stellt eine sinnvolle Ergänzung zu dem bekannten Meisterwerk da und beweist, dass die Kompositionen in unterschiedlichen Ausführungen funktionieren. Allerdings verweisen die ausgewählten Beiträge komplett auf die abgespeckte Vortragsform, die Bob vor seinem Einsatz der elektrischen Gitarre bei „Bringing It All Back Home“ im Jahre 1965 pflegte. Die Darstellung erweckt so einen rückwärts gerichteten Eindruck. Das bildet einen gewissen Kontrast zu den Arrangements der Minneapolis-Sessions, die einen großen Fortschritt hinsichtlich Geschmeidigkeit und Gestaltungsfreiheit vermitteln und stilistisch nicht einer Schublade zuzuordnen sind. Wer schon das Original im Plattenschrank hat und die Songs schätzt, wird alleine wegen der Quervergleiche seinen Spaß an der neuen Fassung haben. Ob es dann die Super-Deluxe-Ausgabe mit 6 CDs sein muss, hängt davon ab, wie tief man in den Entstehungsprozess eintauchen möchte.
Und hier ein akustischer Eindruck:

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