Lost & Found-Portrait: Captain Beefheart - Im Spiegel der Zeit.

Garantiert ungewöhnlich... Das Leben des Captain Beefheart
Gemeinhin gilt Captain Beefheart alias Don van Vliet besonders unter Kritikern als Genie. DJ-Papst John Peel war sogar der Meinung, er sei der einzige Musiker, der dieses Prädikat verdiene. Seine erste Platte hat der Captain 1966 rausgebracht, seine letzte Veröffentlichung stammt von 1982. Wie hat denn sein Output den Zahn der Zeit bis heute überstanden? Wie wirkt die Musik aus kritischer Distanz betrachtet? Lässt sie den Hörer vibrieren oder kann man die musikalischen Ideen nur im Kontext ihrer Entstehungszeit verstehen? 

Im Internet kursieren widersprüchliche und teilweise falsche Fakten über den Werdegang des Meisters. Deshalb halte ich mich bei meinen Darstellungen hauptsächlich an das Buch GARANTIERT UNGEWÖHNLICH: DAS LEBEN DES CAPTAIN BEEFHEART von COLIN DAVID WEBB. WEBB ist kein professioneller Musik-Journalist sondern in erster Linie Fan. Ein Umstand, der ihn mit mir verbindet und weswegen ich ihn auch für unabhängig halte. Er dient mir quasi als Sparringspartner. Ich spiegele seine profunden Kenntnisse und Meinungen gegen meine gegenwärtige Sicht auf das musikalische Werk des Don van Vliet. Mal sehen, welche Schnittmengen und konträre Ansichten es gibt.
 
Aber mal der Reihe nach. Um wen geht es überhaupt, werden sich einige Leute fragen, denn der Name CAPTAIN BEEFHEART dürfte heutzutage nur noch eingeweihten Spezialisten ein Begriff sein. Der LOST & FOUND-Kandidat wurde 1941 unter dem Namen Don Vliet in Kalifornien geboren. Das adlige "van" legte er sich erst in den 1960er Jahren zu. Schon im Kindergartenalter fiel seine besondere Begabung für das Erschaffen von Skulpturen auf. Der portugiesische Künstler Antonio Rodriguez entdeckte ihn zufällig und verschaffte ihm Auftritte in seiner wöchentlichen TV-Show. Don war so was wie ein Wunderkind, denn er hielt noch vor seinem 11. Lebensjahr Vorlesungen an der Kunsthochschule in Bernsdale. Mit 13 wurde ihm ein Stipendium für ein Kunststudium angeboten, das seine Eltern aber ablehnten, da sie befürchteten, alle Künstler seien schwul. Stattdessen zog seine Familie in die Stadt Lancaster in der Mojave-Wüste um, so dass ihm der Zugang zu Kunstveranstaltungen erschwert wurde. 

Doch die schönen Künste ließen Don nicht los. In der Highschool gründete er mit seinem Kumpel Frank Zappa 1963 eine Band (The Boots). In dieser Zeit entstand auch das Pseudonym des Don Vliet. Es gab nämlich die Idee, einen Film zu drehen, der den Titel CAPTAIN BEEFHEART MEETS THE GRUNT PEOPLE bekommen sollte. ZAPPA und VAN VLIET verband der Wunsch, das Konventionelle abzulegen. Sie wollten überraschend sein, wenn nötig auch provozieren, Grenzen einreißen und Klänge erschaffen, die vor ihnen keiner erdacht hatte. Zappa wurde dabei in der Öffentlichkeit eher als Provokateur und Bürgerschreck wahrgenommen, während van Vliet keine Ambitionen hatte, als Gesellschaftsveränderer aufzutreten oder politisch aktiv zu sein. Er sah sich eher in der Rolle des bildenden Künstlers, polarisierte und schockierte eher aufgrund seiner radikalen Arbeit. 

Auch wenn Don van Vliet immer betonte, keine Einflüsse zu haben, so sind seine Wurzeln doch beim Sound des Chicagoer CHESS-Labels zu suchen. Seine unverwechselbare, markante, voluminöse Stimme erinnert an HOWLIN' WOLF, sein Mundharmonika-Spiel schulte er am innovativen Stil von LITTLE WALTER und den unnachgiebigen, primitiven Beat hat man schon bei BO DIDDLEY gehört. Seine meistens wagemutige musikalische Darbietung versteht sich immer als Gesamtkunstwerk. Dazu gehören auch die oft skurrilen dadaistischen Texte, die Phantasienamen, die er den Bandmitgliedern gegeben hat und das bewusst schrille, freakige Auftreten seiner Mannen. 

Die Rhythm & Blues-Phase: 
Das erste Mal hörte man von CAPTAIN BEEFHEART AND HIS MAGIC BAND auf zwei Singles, die 1966 beim A&M-Label aufgenommen und veröffentlicht wurden. Die A-Seite der ersten Single ziert die kraftvolle Cover-Version des Bo Diddley-Titels DIDDY WAH DIDDY. Sie wird durch einen enorm pumpenden Bass und schneidende Mundharmonika-Läufe von Don van Vliet eingeleitet, bevor seine mächtige Stimme die Oberhand übernimmt. Auf die Flipside wurde der Song WHO DO YOU THINK YOU` RE FOOLING gepackt. 
Der Einfluss der Rhythm & Blues beeinflussten Beat-Bands der British Invasion wie THE ANIMALS oder THEM sind hier deutlich rauszuhören. Die 2. Single eröffnet mit dem von Produzent David Gates geschriebenen MOONCHILD.
Gates leitete später übrigens die Softrock-Band BREAD, die etliche Hits landen konnte. MOONCHILD ist ein verhalten beginnender Track, der allmählich an Tempo gewinnt und seinen Reiz aus dem eigentümlichen Gesang des Captain zieht, da er hier seine Stimme von der Tonhöhe so moduliert, dass man ahnt, dass hier ein außergewöhnlicher Sänger am Start ist. Die B-Seite ziert FRYING PAN, ein flotter Beat mit einem knackigen Gitarrenriff.
Bei den Sessions wurde auch der verschachtelte R&B-Titel HERE I AM I ALWAYS AM eingespielt, der jahrzehntelang im Archiv schmorte und erst 1984 zusammen mit den beiden Singles als THE LEGENDARY A&M SESSIONS veröffentlicht wurde. 
A&M wollte auch eine LP mit der Band produzieren, aber als sie die ersten Ergebnisse des gereiften DON VAN VLIET hörten, fanden sie die Musik zu negativ und kündigten den Vertrag. Durch seinen guten lokalen Ruf wurde dem Captain ein neuer Plattendeal von Buddah-Records angeboten und er konnte dort die von A&M abgelehnten Lieder aufnehmen. Dies geschah in der Besetzung: Don van Vliet (Gesang, Harmonika, Bass-Marimba), Ry Cooder (Gitarre, auch Slide und ein wenig Bass), Drumbo alias John French (Schlagzeug und Percussion), Jerry Handley (Bass), Alex Pyjama alias Alex Snouffer (Gitarre und ein wenig Bass) und einigen Studio-Gästen wie dem Produzenten Russ Titelman, dem Schlagzeuger Milt Holland und Taj Mahal mit Percussion-Beiträgen. 

In der Beurteilung des Werkes SAFE AS MILK, das im Jahr 1967 - also im Summer Of Love und somit im Zenit der Hippie-Bewegung - das Licht der Welt erblickte, sind COLIN DAVID WEBB und ich uns einig: Es ist ein unterbewertetes Meisterwerk.
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Die beiden ersten Tracks SURE 'NUFF`'N YES I DO
und ZIG ZAG WANDERER 
gehören meiner Meinung nach zu den dynamischsten, mitreißenden Nummern im rockigen R&B-Bereich, die jemals aufgenommen wurden. Sie haben einen stoisch kochenden Rhythmus und sind dadurch auch als Tanzboden-Füller einsetzbar. Der Gesang des Captain hat weiter an Individualität gewonnen. Er modelliert seine über mehrere Oktaven gehende Stimme, so dass der Eindruck entsteht, mehrere Persönlichkeiten würden Besitz von ihm ergreifen.

Nach diesem Tour de Force-Ritt wird bei dem souligen CALL ON ME das Tempo etwas gedrosselt, ohne die Intensität zu schmälern. 
Der beschwörende DROPOUT BOOGIE verblüfft durch unerwartete Tempowechsel
und bei dem vergleichsweise schmalzigen I`M GLAD weiß man nicht recht, ob das ernst gemeint ist oder ob es sich um eine Parodie handelt.
Es folgt ein weiterer unglaublicher Song: ELECTRICITY verbindet ein Boogie-Gerüst mit schamanenhaftem Gesang und exotischen Geräuschen von einem Theremin. Dieses Instrument wurde in den 1960er Jahren gerne bei Soundtracks eingesetzt um Geistergeräusche einzubringen oder das Auftauchen von Aliens zu untermalen. Hier mischt der flirrende Klang den Song ordentlich auf und bringt psychedelische Effekte ein. Beim Einspielen des Songs hat Beefheart durch seinen extremen Stimmumfang und seine Gesangsdynamik ein Telefunken-Mikrofon im Wert von 1.200 Dollar geschrottet.
YELLOW BRICK ROAD verbindet R&B mit Country-Rock, der 1967 erst am Entstehen war.
Beim Westcoast-Rock geprägten ABBA ZABA frönt Beefheart der stimmlichen Lautmalerei mit dadaistischen Textpassagen.
PLASTIC FACTORY ist ein groovender Slow-Blues mit cooler Harmonika und einigen Tempowechseln.
Es folgt mit WHERE THERE' S WOMAN eine unter die Haut gehende Gospel-gefärbte Nummer mit emotionalen Eruptionen und sehnsüchtigem Gesang.
GROWN SO UGLY ist ein zickiger elektrischer Blues mit strammem Bass/Drum-Backing.
Den Abschluss bildet AUTUMN' S CHILD, ein merkwürdiges Lied zwischen Ballade und Marching-Song.

Das Album unterscheidet sich in vielem von dem, was an großartigen Alben in dieser Zeit eingespielt wurde, weil es Traditionen des frühen Rock' n' Roll mit aktuellen Strömungen des Westcoast-Sounds und des englischen Beat mit Ansätzen von extravagantem Songwriting mit künstlerischem Anspruch verbindet. Und wichtig: Die Kompositionen verlieren nicht die Bodenhaftung, sind nicht zerdehnt, wie viele Improvisationen späterer Jahre. Diese Kombination konnte natürlich nur von exzellenten Musikern umgesetzt werden, unter denen besonders der Gitarrist Ry Cooder, knapp 20 Jahre jung, hervor stach. Die Band konnte auch auf der Bühne überzeugen, was ihr eine Nominierung für das Monterey Pop-Festival einbrachte. Jenes Musikereignis, das als Mutter aller Pop-Musik-Großveranstaltungen gilt und Künstler wie Otis Redding, Janis Joplin, Jefferson Airplane, The Who und Jimi Hendrix überregional bekannt machte und ihnen eine kommerziell erfolgreiche Plattform ebnete. Aber wegen des plötzlichen Ausstiegs von Ry Cooder musste der Auftritt abgesagt werden. Ein Ereignis, das wahrscheinlich die Karriere und die musikalische Ausrichtung des Captain nachhaltig beeinflusste. 

Die psychedelische Phase: 
Nach SAFE AS MILK scharte Van Vliet teilweise neue Mitstreiter um sich, zog sich in die Mojave Wüste zurück und gab sich den Ergebnissen eines kreativen Schubes hin. Im Laufe des nächsten Jahres entstand das Material für 2 Alben. Geplant war ursprünglich ein Doppelalbum mit dem Namen IT COMES TO YOU IN A PLAIN BROWN WRAPPER. Es sollte aus einer Live-Platte und einer LP mit Studioaufnahmen bestehen.
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Da aber der Produzent BOB KRASNOW die Aufnahmen an unterschiedliche Label verkaufte, kam die Veröffentlichung nicht zustande. So wurden die angeblichen Live-Aufnahmen unter dem Namen MIRROR MAN erst 1971 veröffentlicht. Es ist nicht genau geklärt, wo und wie sie entstanden. Entweder wurden sie im Club T.T.G. auf dem Sunset Strip in Los Angeles mitgeschnitten oder live im Studio aufgenommen. Hören kann man das nicht, weil kein Publikumsgeräusch zu vernehmen ist.
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Mir gefällt die Vermutung, dass die Stücke in einem Rutsch in einer Nacht bei Vollmond unter dem Einfluss von Hypnose und sehr viel LSD fertiggestellt wurden. So wird es zumindest in den Linernotes der ersten Pressung behauptet. Und genauso klingen die Aufnahmen auch. Der Blues-Einfluss ist zurückgedrängt, statt dessen hört man ausufernde Improvisationen, beeinflusst von Avantgarde-Jazzern wie John Coltrane oder Ornette Coleman. Der Captain bläst manchmal eine zerstörerische Klarinette, die den Fluss der monotonen Rhythmen auflöst. Die vier bis zu 19 Minuten langen Gebilde bewahren zwar die Essenz des Blues, sind aber auch mit den ausufernden Jams der GRATEFUL DEAD, wie z.B. bei DARK STAR, zu vergleichen. Die "Mirror Man Sessions"-CD von 1999 wurde auf insgesamt neun Tracks erweitert.
Die Studio-Platte erschien dann 1968 unter dem Namen STRICTLY PERSONAL und sollte eigentlich eine Referenz an den Delta-Blues mit Jazz-Versatzstücken sein.
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Beefheart erzählte zur Entstehungsgeschichte, dass er ein ganzes Jahr nicht geschlafen habe, weil es so viel zu erleben gab und er nichts verpassen wollte. Danach habe er 24 Stunden am Stück geschlafen und dann sofort STRICTLY PERSONAL erschaffen. Zur Zeit der geplanten Veröffentlichung befand sich die Magic Band auf Europatournee und so kam es, dass sich BOB KRASNOW die fertigen Bänder noch mal vornahm und nach seinem Gusto überarbeitete. Er meinte, sie durch den nachträglichen Einsatz von psychedelischen Spielereien wie Hall, Geräuschen oder Loops dem Zeitgeist gemäß anpassen zu müssen. Das Ergebnis ärgerte aber nicht nur Don van Vliet, sondern die Songs gelten auch heute noch unter Fans als ziemlich vermurkst.
Einige unbearbeitete Tapes sind auf dem 1992 erschienenen Tonträger I MAY BE HUNGRY BUT I SURE AIN`T WEIRD zu hören. 
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Diese Aufnahmen zeigen eine stimmige Weiterentwicklung und sind isoliert betrachtet recht spannende, Blues-Roots-betonte Aufnahmen. 

Aber die Käufer von SAFE AS MILK hatten damals natürlich eine ganz andere Erwartungshaltung an die Platte. Das Ergebnis hörte sich auf jeden Fall so an, als sei es unter dem Einfluss von zu vielen Drogen entstanden. Beefheart hat dem immer widersprochen. Der Eröffnungstitel von STRICTLY PERSONAL heißt allerdings AH FEEL LIKE AHCID
und natürlich dachten etliche Leute, er würde sich auf LSD (= Acid) beziehen. Don van Vliet erläuterte aber, dass dieser Slang-Ausdruck I FEEL LIKE I SAID bedeuten würde und Drogen hätten nie eine Rolle bei seiner Musik gespielt. Laut COLIN DAVID WEBB ist Beefheart jedoch in erster Linie ein echter Exzentriker und kein Drogen-Abhängiger, der aufgrund der Phantasie-Spitznamen der Musiker, deren auffallendem Outfit und wegen der schrägen Musik in eine falsche Schublade gesteckt wurde. 

Obwohl STRICTLY PERSONAL dem ursprünglichen Blues aus dem Mississippi-Delta Tribut zollt, fehlt die Stringenz und das Packende von SAFE AS MILK. Mal ganz abgesehen von den Sound-Spielereien sind die Kompositionen waghalsiger geworden. Weniger Boogie und Tanzboden-Haftung, dafür mehr Schräglage und Tempowechsel. Die Highlights sind für mich GIMME DAT HARP BOY, ein stoischer Blues mit manischer Mundharmonika
sowie der Song SAFE AS MILK. Es handelt sich hier um einen strammen Blues-Rock, der leider durch ein in die Länge gezogenes Ende an Spannung verliert.

Für Mr. Webb ist STRICTLY PERSONAL ein Übergangs-Album: teilweise bodenständig, aber auch schon ein Ausblick auf die nächste Tat. 

Die Experimentier-Phase: 
Diese wurde durch ein Projekt eingeläutet, das einigen Kritikern und Fans als heiliger Gral gilt. Die Rede ist von TROUT MASK REPLICA, einem Doppelalbum mit 28 Stücken von 1969.
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Hier muss man das Wort Kunst wirklich groß schreiben, denn die Musik darauf ist niemals einfach oder eingängig. Sie eröffnet sich einem nicht beim ersten Hören, sondern will erarbeitet werden. Wie hat es schon MATT GROENING, der Erfinder der SIMPSONS, so treffend formuliert; ,,Als ich die Platte das erste Mal abspielte, hielt ich sie für den größten Mist, den ich je gehört hatte. Es schien, als spielten die Musiker zufällig das, was ihnen grade eingefallen ist. Beim 2. Hören dachte ich, es klingt entsetzlich, aber vielleicht ist es das, was sie bezwecken wollten. Beim 3. und 4. Versuch wuchs das Interesse, mich mit dem Werk näher zu beschäftigen. Beim 5. und 6. Abspielen begann ich das Album zu lieben. Nach dem 7. oder 8. Durchgang war ich der Meinung, dass dies das beste Album sei, was je aufgenommen wurde und das glaube ich immer noch." 

Mir hat sich die Platte bis heute nicht erschlossen. Ich empfinde es als extrem anstrengend, sie in einem Rutsch durchzuhören. Man hat es hier mit einer Fülle von kakophonischen Klängen, Spoken-Word-Beiträgen und rhythmisch vertrackten Tracks, die mit Beefhearts „röchelnder, prustender und zirpender Vocal-Artistik" (Rock Lexikon) garniert werden, zu tun. Das will erst mal verdaut werden. Aber das Album hat viele Leute dazu inspiriert, sich eingehender mit Musik zu beschäftigen, genauer zuzuhören und neue Klangwelten zu entdecken. 
Interessant ist auch die Entstehungsgeschichte von TROUT MASK REPLICA. Frank Zappa bot an, das Album auf seinem Straight-Records-Label zu veröffentlichen und es auch zu finanzieren. Angeblich hat der Captain alle Stücke in 8 Stunden am Klavier komponiert. JOHN FRENCH alias DRUMBO, der Trommler, musste aus den Tonbändern für alle Instrumente die Noten ableiten, da van Vliet sie nicht zu Papier bringen konnte. Er stand dabei oft vor der Schwierigkeit, für einen Akkord von zehn Noten eine Entsprechung für sechs Saiten zu finden. Für die Umsetzung stellte der Captain die Band um. Gitarrist Jeff Cotton und Schlagwerker John French blieben, Beefheart wollte aber frische Leute dazu nehmen, die sich jungfräulich unbelastet der Umsetzung seiner Ideen widmen sollten. Die Wahl fiel auf Mark Boston am Bass, den er Rockette Morton nannte. Er kam frisch aus einer Nervenklinik, in der er seine Probleme, die aus dem Umgang mit psychedelischen Drogen resultierten, auskuriert hatte. Dann wurde noch der Gitarrist Bill Harkleroad angeheuert, der den Spitznamen Zoot Horn Rollo erhielt. 

Nachdem die Band zusammengestellt war, zog man sich sage und schreibe neun Monate in das Städtchen Woodland Hill zurück, um für die Aufnahmen zu proben. Und das angeblich unter zermürbenden, asketischen Bedingungen: keine Drogen, keine Frauen und wenig Nahrung. Und alles unter der unbarmherzigen Fuchtel von Don van Vliet, der die Tracks haarklein so umgesetzt haben wollte, wie er sie erdacht hatte und die Musiker deshalb 14 Stunden am Tag üben ließ. Die Umsetzung im Studio ging dann deshalb auch sehr schnell: an 4 Abenden wurden alle Instrumente eingespielt. Van Vliet hat dann noch mal 4 bis 5 Stunden für die Texte gebraucht. Sie variieren von Nonsens zu Ökologie, von der Unmenschlichkeit der Menschheit bis zu Zukunftsvisionen, vom verkappten Liebeslied bis zu sozialen Themen. 

Es besteht das Gerücht, Beefheart habe die Worte teilweise eingesungen, ohne die Musik dazu zu hören. Legendär ist auch das Cover der Platte. Vorne sieht man den Captain, wie er sich einen Karpfen vor das Gesicht hält. Dies symbolisiert den Titel des Albums: eine Forellen-Masken-Nachbildung. Auf dem Innenfoto sieht man die Band, die wie ein Haufen Ausgeflippter aussieht. So trägt Jeff Cotton ein Frauenkleid und der Captain präsentiert einen Lampenständer wie eine Strahlenpistole. Nach der Veröffentlichung zerstritten sich Zappa und Beefheart. Der Captain war sauer, weil Zappe als Produzent auf dem Cover genannt wurde. Er behauptete, Zappa hätte nichts zu den Aufnahmen beigetragen, er sei sogar am Mischpult eingeschlafen. Zappa argumentierte, er habe den Musikern absichtlich alle künstlerische Freiheit gelassen und sich deshalb nicht eingemischt. Ganz schlimm kann der Krach aber nicht gewesen sein, denn im selben Jahr singt van Vliet ein beseeltes WILLIE THE PIMP auf Zappa' s HOT RATS ein.
Auch privat lief es für Don van Vliet prima. Er heiratete und diese Beziehung hielt bis zu seinem Lebensende. 

Wie in einem kreativen Rausch nahm er unmittelbar nach TROUT MASK REPLICA die LP LICK MY DECALLS OFF, BABY auf.
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Die Platte ist nicht so verwirrend und zerfahren wie der Vorgänger, Beefheart hält aber rhythmisch daran fest, sich nicht dem üblichen 4/4 Takt unterzuordnen. Das Album ist auch alles andere als leicht konsumierbar, lässt aber wieder mehr Blues-Wurzeln durchschimmern. Die Tracks haben wieder melodische Anteile, werden aber durch das Sperrfeuer einer frei gespielten Klarinette oder durch abrupte Tempowechsel befeuert, so dass sie nicht gradlinig und berechenbar verlaufen. Ich denke, die Platte könnte ein wichtiger Einfluss für NICK CAVE zu BIRTHDAY PARTY-Zeiten gewesen sein. Man hört die gleiche gehetzte Grundstimmung, gepaart mit Wut und Anarchie. 
COLIN DAVID WEBB hält das Werk auch für geschlossener als TROUT MASK REPLICA. Er meint, die Songs sind zwar von dunkler Prägung, bauen aber logisch aufeinander auf. Er hält sowohl TROUT MASK REPLICA wie auch LICK MY DECALLS OFF, BABY für monumentale Arbeiten. Mit diesen Schöpfungen endet eine Phase, die für viele Kritiker und Fans die eindrucksvollste Zeit von CAPTAIN BEEFHEART darstellt. Danach standen jedenfalls Veränderungen an: Die Honorare aus den Veröffentlichungen flossen nur spärlich, so dass Don seine Musiker nicht angemessen entlohnen konnte. Sein Plattenlabel wurde verkauft und er entschied, sich musikalisch nicht zu wiederholen, was zu einer erneuten Metamorphose führte. 

In der vielseitigen, wechselvollen Karriere hatte sich Don van Vliet von seinen Rhythm & Blues-Anfängen 1966 bis zu seinen avantgardistischen Ausflügen der Endsechziger Jahre einen Namen als Kritiker-Liebling und Insidertipp erarbeitet. Im Anschluss werden die Aktivitäten von 1972 bis 1982 beleuchtet. 

Die Soul-Blues-Phase: 
Wie bereits erwähnt, sahen CAPTAIN BEEFHEART und die Mitglieder seiner MAGIC BAND keine Tantiemen aus ihren bisherigen Veröffentlichungen. Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Tourneen. Der Captain widmete sich ab den 1970er Jahren verstärkt der Malerei. Da kam ein Deal bei Warner/Reprise, der zu zwei neuen Alben im Jahr 1972 führte, grade richtig, um der musikalischen Karriere neuen Schwung zu verleihen. Der musikalische Kurs wurde ziemlich radikal geändert und die Gruppe präsentierte sich jetzt zugänglicher, blieb aber voller Widerhaken und Überraschungen. Es wird behauptet, der Captain wäre leichter konsumierbar geworden, um endlich etwas Geld zu verdienen, damit er seine Band für ihre Treue belohnen konnte. Ich glaube nicht, dass dies der Hauptgrund war, denn um dem Massengeschmack gerecht zu werden, hätte er sich viel mehr verbiegen müssen. Dagegen spricht auch, dass Beefheart den ganzen Vorschuss für das Outfit ausgegeben hatte, dass ihn auf dem Cover von THE SPOTLIGHT KID zeigt, statt zu teilen. Zumindest haben seine Bandmitglieder sich später darüber beklagt. 
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Bei den neuen Aufnahmen zeigt Mr. van Vliet erneut, was für ein wandlungsfähiger und ausdrucksstarker Blues-Sänger er ist. Die Platte beginnt mit dem Boogie I'M GONNA BOOGLARICE YOU BABY. Die Band spielt phantasievoll und perfekt wie ein geöltes Uhrwerk. Beefheart singt wie ein junger Gott. Er knurrt, jault und stöhnt wie ein verletzter Coyote. In den 1980er Jahren hat sich JEFFREY LEE PIERCE mit seinem GUN CLUB auf ähnlichem Gebiet versucht, nämlich Punk mit Delta-Blues zu verbinden. 
Die Songs auf THE SPOTLIGHT KID bleiben durchgehend aufregend und spannend: Bei WHITE JAM meint man Cajun-Einflüsse zu hören
und BLABBER 'N' SMOKE betört durch seine Marimba-Einlagen.
Das Titelstück swingt auf besondere Weise
und GROW FINS klingt wie Blues aus den tiefsten Sümpfen Louisianas.
Jeder Track verbindet bekannte Elemente mit ungewöhnlichen Wendungen. Alle Zutaten werden höchst ideenreich, kraftvoll und virtuos miteinander verbunden.

COLIN DAVID WEBB zieht in seinem Buch GARANTIERT UNGEWÖHNLICH folgendes Fazit über das Werk: "Die Musik ist angenehm und bisweilen erstaunlich, aber unter der Oberfläche entpuppt sich Beefheart als bitterer, fast nihilistischer Mensch." 

CLEAR SPOT, das 2. Album von 1972, steht musikalisch in der gleichen Tradition wie THE SPOTLIGHT KID.
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LOW YO YO STUFF verbreitet durch die federnden Percussion-Einlagen ein karibisches Flair
und TOO MUCH TIME erinnert an Stax-Soul.
Geradezu leicht und unbeschwert folk-rockig klingen die Balladen MY HEAD IS MY ONLY HOUSE UNLESS IT RAINS
und das schöne HER EYES ARE A BLUE MILLION MILES. 
Daneben gibt es natürlich immer wieder den Beefheart-typischen angefunkten, zickigen Blues wie z.B. CRAZY LITTLE THING.
Absolutes Glanzlicht ist jedoch das unvergleichliche BIG EYED BEANS FROM VENUS. Das Stück widersetzt sich allen Kategorisierungs-Versuchen. Es wandelt sich ständig. Zunächst spielen sich die Gitarren im linken und rechten Kanal die Bälle zu. Der Captain beginnt mit sonorer Stimme seinen Text zu rezitieren, das Schlagzeug setzt ein und wieder aus, die Gitarren umspielen sich weiter und dann fordert der Chef: „Mr. Zoot Horn Rollo, hit that long lunar note and let it float". Und genau das macht der Gitarrero dann auch. Er lässt eine Note etwa 30 Sekunden lang schwirren. Nach diesem besinnlichen Part bricht dann die Hölle los. Art Tripp, der neue Schlagzeuger, attackiert mit stakkatohaftem Getrommel, die Gitarren von Zoot Horn Rollo und Winged Eel Fingerling sorgen für ein Inferno und Don van Vliet singt wie ein Besessener. Immer wieder wird die Stimmung kurz abgekühlt, bevor das Gebräu erneut wieder überkocht. Das muss man gehört haben, eindringlicher kann Rockmusik nicht sein. 
Für COLIN DAVID WEBB bleibt nach dem Hören ein seltsamer Eindruck zurück. War das jetzt eine Mischung aus Soul und Blues, die zu den ersten beiden LPs zurückführt? Oder eine Soul-Blues-Mixtur, die mit kommerziellen Erwägungen gekoppelt wurde? Die LP ist eine Einheit, und doch gibt es völlig verschiedene Stimmungen. Beefheart wirkt ein wenig depressiv, gleichzeitig häufen sich sexuelle Anspielungen. Durch den speziellen Humor erscheint die Platte jedoch insgesamt lockerer als THE SPOTLIGHT KID.
 
Die Mainstream-Phase: 
1973 machte die Band eine Europatournee, in dessen Verlauf sie mit I'M GONNA BOOGLARICE YOU BABY im BEAT CLUB von Radio Bremen auftraten.
Nach der Tour wechselten sie die Plattenfirma und unterschrieben für 2 Alben bei MERCURY bzw. VIRGIN für Europa. Die Produktion übernahmen ihre neuen Manager, die Brüder diMartino, die bisher im Business nur durch ihre Arbeit am Hit der CASCADES ("RHYTHM OF THE RAIN") aus den friihen sechziger Jahren aufgefallen waren. Sie verführten den Captain dazu, mit UNCONDITIONALLY GUARANTEED eine LP mit schlappen, leblosen, blutleeren Tracks aufzunehmen.
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Beefheart klingt wie ein mittelmäßiger Las Vegas Crooner und deutet nicht einmal an, zu welchen vokalen Glanztaten er fähig ist. Der leicht soulige Opener UPON THE MY OH MY ist noch das beste Stuck der Platte,
der Rest ist einem engagierten Musiker wie Don van Vliet unwürdig. Würde sein Name nicht auf dem Cover prangen, man könnte es nicht glauben, dass er es wirklich ist. Das war damals Murks und ist über die Jahre auch nicht besser geworden. 

Bei der nächsten Platte, BLUEJEANS AND MOONBEAMS, auch von 1974, wurde die gesamte Magic Band ausgetauscht, denn fünf Tage vor der geplanten Tour für UNCONDITIONALLY GUARANTEED quittierte die alte Truppe den Dienst.
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Die Musiker hatten das Gefühl, nur Marionetten zu sein. Sie beklagten die Paranoia ihres Chefs und stöhnten über zu geringe Einnahmen. Die neue Magic Band wurde zum Tell aus Mitgliedern der Band BUCKWHEAT zusammengesetzt. Trotz dieser Zäsur ist BLUEJEANS AND MOONBEAMS besser gelungen als ihr grottenschlechter Vorgänger, wenn es auch kein Highlight im Katalog des Meisters geworden ist. Es lassen sich zumindest 3 überdurchschnittliche Songs extrahieren. Der Opener PARTY OF SPECIAL THINGS TO DO ist ein fieser Boogie-Schleicher mit verschlepptem Rhythmus.
Die Cover Version des J.J. CALE-Titels SAME OLD BLUES wird lässig interpretiert, ganz im Geiste seines Erfinders.
Dann sticht noch der POMPADOUR SWAMP, ein zurückgenommener leicht funkiger Song hervor.

Die Neuorientierungs-Phase: 
Beefheart hat später zugegeben, dass er aus Frust über die beiden Mercury-Platten UNCONDITIONALLY GUARANTEED und BLUEJEANS AND MOONBEAMS so depressiv wurde, dass er überlegte, sich ganz aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. Aber dann nahm FRANK ZAPPA wieder Kontakt zu ihm auf. Er bereitete grade eine Tournee anlässlich der 200-Jahr-Feier der USA vor und überredete van Vliet, bei den MOTHERS OF INVENTION einzusteigen. Als Ergebnis kam die Live-LP BONGO FURY raus. Dank Beefhearts herausragenden Gesangsbeiträgen ist es eine gute ZAPPA-Scheibe geworden, die 1975 erschien.
Der Captain hat danach noch als Gast auf den ZAPPA-Alben ZOOT ALLURES 
und ONE SIZE FITS ALL Mundharmonika gespielt,
bevor sich die beiden wieder zerstritten. ZAPPA behauptete, Beefheart könne sich keinen Text merken, hätte kein Rhythmusgefühl und könne keinen Takt halten. Dabei brandete bei den Konzerten immer der größte Applaus auf, wenn Beefheart sang. 

Auch die Mitglieder seiner alten MAGIC BAND waren in dieser Phase nicht untätig. BILL HARKLEROAD alias ZOOT HORN ROLLO, MARK BOSTON alias ROCKETTE MORTON und ART TRIPP alias ED MARIMBA gründeten mit dem Sänger SAM GALPIN, der stellenweise an Beefheart erinnerte, aber eben nicht über seine mächtige Stimme verfügte, die Band MALLARD. Diese brachte es auf 2 Veröffentlichungen, die songorientierter als ihre Arbeit mit Beefheart waren. Das Debüt MALLARD (1975)
enthielt z.B. mit DESPERADOS WAITING FOR A TRAIN eine Cover-Version des Songs vom texanischen Songwriter GUY CLARK:
 
Außerdem eine entschlackte Version von PEON.
Das Original findet man auf LICK MY DECALS OFF, BABY. Es ist aber trotzdem nur eine durchschnittliche Platte geworden. Besser als die beiden letzten Beefheart Scheiben, aber letztlich doch im Niemandsland des melodiösen Rock zwischen Country und Progressive angesiedelt. Die 2. Schallplatte mit dem Namen IN A DIFFERENT CLIMATE von 1976, die ohne ART TRIPP aufgenommen wurde, ist dann noch konturloser geraten.
Danach war Schluss mit diesem Intermezzo. Die beteiligten MAGIC BAND-Mitglieder arbeiteten auch nie wieder mit Beefheart zusammen. 

Die New Wave-Phase: 
Das erste Lebenszeichen nach seinem Mainstream-Debakel gab es 1978 auf Schallplatte. Captain Beefheart sang HARD WORKIN' MAN für den Soundtrack BLUE COLLAR. Eine Komposition des legendären JACK NIETZSCHE, der nicht nur durch seine Arbeit bei NEIL YOUNG' s HARVEST oder dem Soundtrack zu ONE FLEW OVER THE CUCKOOS NEST bekannt wurde. Van Vliet war prädestiniert dazu, diesen stoischen, stampfenden Track zu vertonen, dessen Riff an HOOCHIE COOCHIE MAN von MUDDY WATERS angelehnt ist.
Die Zeit war reif für einen musikalischen Querdenker wie DON VAN VLIET! Die Punk-Bewegung hatte die starren Schemen von Pop-Songs aufgebrochen. Die erste New Wave-Generation brachte angeschrägte Bands wie DEVO, THE FLYING LIZARDS, PERE UBU oder P.I.L. hervor, die sich wenig um musikalische Konventionen kümmerten und sich dabei ausdrücklich auf CAPTAIN BEEFHEART als Einfluss beriefen. 

Dieser arbeitete seit 1975 an seinem Comeback, welches unter dem Namen BAT CHAIN PULLER erscheinen sollte.
Nach schier unendlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Warner Brothers, der alten Plattenfirma und Virgin-Records, bei der die Band aktuell unter Vertrag war, erschienen mehrfach überarbeitete Aufnahmen 1978 zunächst in den USA und 1980 erst in Großbritannien und Europa unter dem Titel SHINY BEAST.
Shiny Beast (Bat Chain Puller) - Captain Beefheart: Amazon.de: Musik
Die MAGIC BAND bestand in dieser Phase im Kern aus Jeff Moris Tepper (Gitarre), Eric Drew Feldman (Bass) und Robert Arthur Williams (Schlagzeug). Das Album ist in seiner Verschrobenheit typisch für Beefheart, bei aller Komplexität swingen die Stücke jedoch locker, versprühen Leichtigkeit und Lebensfreude. Manchmal meint man, zwei unterschiedliche Lieder seien miteinander verschachtelt worden. 

Aber lassen wir doch mal COLIN DAVID WEBB zu Wort kommen: "Bei SHINY BEAST gibt es einerseits einen Blick zurück auf TROUT MASK REPLICA, beispielsweise in den Attacken der beiden Gitarren. Es werden aber auch neue Kombinationen von Instrumenten ausprobiert, speziell sind das Duette von Posaune und Marimba. Die Platte wird von einem Latin- und Mardi Gras-Flair überzogen, bei dem Beefhearts Stimme einen deutlichen Voodoo-Klang dagegen setzt."

Beim Opener FLOPPY BOOT STOMP scheinen alle Instrumente um die Lead-Position zu kämpfen, wobei sich der Bass gegen die Gitarren durchsetzt.
TROPICAL HOT DOG NIGHT schafft Karnevals-Atmosphäre.
COATI MUNDI von KID CREOLE & THE COCONUTS hat davon eine phantastische Cover-Version aufgenommen.
Beim Instrumental-Titel ICE ROSE stehen die Posaune des großartigen, stilprägenden Bruce Fowler und das Marimbaphon von Art Tripp im Vordergrund. Sie werden durch ein sich hypnotisch wiederholendes Gitarrenriff unterstützt.
HARRY IRENE ist dagegen ein uneffektives, eintöniges Stück über ein Lesben-Paar, das eine Kantine betreibt. 
YOU KNOW YOU` RE A MAN hat ein interessantes Arrangement. Jedes Instrument scheint Gelegenheit zu bekommen, sich von den anderen abzusetzen. Die Musik ist kompakt und erfrischend. 
Der Song BAT CHAIN PULLER beginnt mit einem langsamen Beat, zwei Gitarren kommen dazu, die ein Riff wiederholen. Darauf folgt eine Mundharmonika und Beefheart rezitiert einen undurchschaubaren Text. Je länger das Stück dauert, umso hypnotischer wird es.
WHEN I SEE MOMMY I FEEL LIKE A MUMMY ist ein Wortspiel mit Todes-Symbolik. Der Track beginnt als geschmeidiger Latino-Funk, wird dann durch die dominante Posaune jazziger, verliert aber nicht die Bodenhaftung.
OWED T' ALEX stammt noch aus den SAFE AS M1LK-Sessions, das lässt aber höchstens das Mundharmonika-Solo zum Schluss erahnen.
CANDLE MAMBO wirkt schon beinahe übermütig und verblüfft durch eine Unbeschwertheit, die selten im Van Vliet-Kosmos ist.
Bei LOVE LIES kippt die Stimmung ins Gegenteil: Die enttäuschte Liebe ist förmlich greifbar. Verzweiflung und Wut machen sich breit. Hier gibt es Tranen statt Noten.
SUCTION PRINTS wurde in abgewandelter Form seit Jahren oft als Opener bei Konzerten gespielt. Diese Jazz-Rock-Fusion-Komposition könnte auch von ZAPPA sein. Sie wirkt hier fehl am Platze, da es nur eine Technik-Demonstration ohne Seele ist.
Mit der Lesung APES-MA (auch überflüssig) endet das Werk. 

Gleichzeitig mit SHINY BEAST erschien 1980 DOC AT THE RADIO STATION, welche der Captain für seine stärkste Platte hält.
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Den Einstieg übernimmt HOT HEAD. Ein treibender, zickiger Beat mit dissonanten Gitarren trifft auf ein abenteuerliches Rhythmus-Dickicht.
Auch bei ASHTRAY HEART werden alte Werte (hier: ein Boogie-Riff) ins Beefheart-Universum transferiert, remixt and remodelt und als neuer, unverbrauchter Sound ausgespuckt.
A CARROT IS AS CLOSE AS A RABBIT GETS TO A DIAMOND ist ein kurzes Gitarre-Piano-Intermezzo, quasi eine Ruhepause vor der nächsten Herausforderung an den Höhrer.
RUN PAINT RUN RUN beinhaltet eine Schilderung von Don' s Mal-Stil, musikalisch als monotone Beschwörung umgesetzt, die zurück zu den Wurzeln des Blues in Afrika führt. Eine ausschweifende E-Gitarre leitet das nächste Stück ein und bleibt neben einem Mellotron im Mittelteil das einzig begleitende Instrument.
SUE EGYPT lebt ansonsten von Beefhearts höchst variabler, mysteriöser Stimme.
BRICKBATS fordert wieder den unerschrockenen Hörer von TROUT MASK REPLICA. Free Jazz trifft auf wortgewaltige Lyrik. Schwer verdaulicher Stoff. 
Auch DIRTY BLUE GENE zerrt an den Nerven. Das Lied beginnt gehetzt, als wären die Musiker Koffein-gedopt. Später werden Brüche und Tempiwechsel eingebaut, die den manischen Charakter noch betonen.
Der Song-Aufbau auf BEST BATCH YET ist ähnlich, nur das Tempo ist hier eher bedächtig.
Zu TELEPHONE bemerkt COLIN DAVID WEBB: "Van Vliets Stimme ist mehr als hektisch, sie ist dämonisch und die Musik kommt direkt aus dem Irrenhaus. Die Stimmung ist total überdreht." Zum Glück ist das Stück nur kurz.
Eine Verschnaufpause bildet dann den Instrumental-Titel FLAVOR BUD LIVING. 
SHERIFF FROM HONG KONG fängt nebenbei durch den Einsatz eines Gongs und durch blecherne Percussion ganz wunderbar eine chinesische Stimmung ein.
Den Abschluss bildet das vertonte Gedicht MAKING LOVE TO A VAMPIRE WITH A MONKEY ON MY KNEE 

Beefheart macht auf SHINY BEAST keine Kompromisse. Ohne kommerzielle Zugeständnisse spielt er, was er will. Wie er es ausdrückt, will er Musik bildhauern und Texte lautmalern. Er versteht sich jetzt eher als multimedialer Künstler und weniger als Musiker. Das wird auf ICE CREAM FOR CROW von 1982 überdeutlich.
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Das Album beginnt verheißungsvoll mit dem grandiosen Titelstück: Einem funkigen, quirligen Boogie-Blues. Hiervon wurde in der Mojawe-Wüste mit einem Budget von 10.000 Dollar ein Promo-Video gedreht. Beefheart führte Regie, Kameramann war Daniel Perle, der auch für TEXAS CHAINSAW MASSACRE verantwortlich war.
Das Album bietet dann im Folgenden eine Anhäufung von Spoken Word-Beitragen, zu kakophonischen Klängen vorgetragene Gedichte und Instrumental-Stücke, die wie Pausenfüller wirken. Nur THE WITCH DOCTOR LIFE, ein Lied, das schon 1968 geschrieben worden sein soll, verdient Erwähnung. Der leichte New-Orleans-Voodoo-Sound erinnert an Dr. John. Die Tempiwechsel sind hier organisch eingebaut, das Stück würde auch auf THE SPOTLIGHT KID oder CLEAR SPOT nicht unangenehm auffallen. 

Zusammengefasst gehört ICE CREAM FOR CROW nicht zu Beefhearts besten Werken, es bildet aber aus vielerlei Gründen einen Querschnitt durch seine unterschiedlichen Stationen: Alte und neue Einflüsse werden aufgearbeitet, man empfindet Spannung und Humor und es wird surreale Phantasie mit spielerischer Freiheit gepaart. Don Van Vliet hat es immer verstanden, Hörgewohnheiten einzureißen, zu provozieren und zu faszinieren. Er kann einem den Nerv töten oder jemanden mit einem Grinsen im Gesicht zurück lassen. Man staunt vor Entsetzen oder vor Ehrfurcht. Der Mann ist ein Irrlicht, ein Wahnsinniger und ein Prophet zugleich. ICE CREAM FOR CROW war seine letzte musikalische Hinterlassenschaften. Er verdiente nun mehr Geld mit seiner Malerei, als er je für seine Musik gesehen hatte. 

Epilog: 
DON VAN VLIET bleibt für den Außenstehenden auch nach intensiver Beschäftigung mit ihm und seinem Werk eine nicht wirklich greifbare, aber schillernde Persönlichkeit. Fest steht jedoch, dass er für viele namhafte Künstler wie Nick Cave, Tom Waits, Beck, The Residents oder PJ Harvey eine wichtige Inspirationsquelle war. 

Man hat aufgrund von Interviews aus den 1960er und 1970er Jahren den Eindruck, es bei Don van Vliet mit einem neurotischen, leicht durchgeknallten und überheblichen Menschen zu tun zu haben, der seine Musiker nicht immer fair behandelt hat. Gespräche in den 1980er Jahren, wie z.B. sein Auftritt in der Letterman-Show vermitteln dagegen eine aufgeräumte, charmante, witzige Person. Eine Video-Hommage von David Lynch und Anton Corbijn von 1994 präsentiert dann einen altersweisen, offensichtlich von Krankheit gezeichneten Künstler. 
Don van Vliet war an Multipler Sklerose erkrankt, an der er am 17. Dezember 2010 aufgrund von Komplikationen starb. 

Das Potential des Künstlers war Anfang der 1980er Jahre musikalisch längst noch nicht ausgeschöpft. Was hätte er wohl als nächstes gemacht, wenn er gewollt oder gekonnt hätte? Punk-Blues? Hillbilly-Rhythm & Blues? Folk-Funk? Schwer abzuschätzen, aber um es mit dem Buchtitel von COLIN DAVID WEBB zu sagen: Er wäre garantiert ungewöhnlich geblieben. 
 



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