Loney Dear - A Lantern And A Bell

Dieser intime, kultivierte Ausdruck. Diese hohe, sensible Stimme. Diese gediegene, melodramatische Atmosphäre. "A Lantern And A Bell" - das siebente Album von Loney Dear - verbreitet den Klang der Sehnsucht und Vergänglichkeit. Aber auch den der Zuversicht, der die Kraft der Liebe und die Freude am Leben lobpreist. Mitunter treten diese Gefühle nicht offensiv in den Vordergrund, sie sind aber Bestandteil, Inhalt sowie Ausgangspunkt und Zentrum der neun neuen Lieder. 

Als Inspiration für die inhaltliche und musikalische Ausgestaltung müssen immer wieder Symbole rund um das Meer herhalten. So zeigt das Cover des Werkes die internationale Flagge für in Seenot geratene Schiffe. Das ist als Sinnbild für den Zustand zu verstehen, in dem sich der Schwede Emil Svanängen, der sich Loney Dear nennt, zu Beginn der Arbeit an dem aktuellen Album befand. In dieser Zeit - die sich anfühlte wie der Blick in den Abgrund - sorgte die Musik dafür, dass die Dunkelheit ihre Schrecken verlor und das Lachen wiederkehrte.
Für das einleitende "Mute / All Things Pass" erzeugt Loney Dear sakrale Momente und erzählt in verzweifelter Stimmlage davon, dass alles einmal zu Ende sein wird. Hier tropfen bittere Tränen aus den Noten. Die Tristesse wird von einem in Moll gestimmten Piano, übermächtigem Bass-Brummen und einer Kirchenorgel, die Unheil herauf beschwört, getragen. "Habibi ist eine symbolische Person für alle Menschen, die Zuflucht in der Welt suchen. Für alle Menschen ohne Zuhause", erklärt Emil. Der Soundtrack dazu ("Habibi (A Clear Black Line)") bietet eine kurze, zu Herzen gehende Piano-Ballade an, die instrumental bis aufs Skelett entblößt wurde und in dieser Form auch von Randy Newman stammen könnte.
"Trifles" erhöht die instrumentale Dichte und sorgt dadurch für eine dezent vibrierende Umgebung. Das Stück türmt zunächst Dramatik auf, wird dann zwischendurch federleicht, um die innere Spannung im weiteren Verlauf wieder bis zum überraschenden Ende zu steigern. Durch die wallenden Gefühlswogen gerät der Hörer unwillkürlich in eine abhängig machende Strömung, die leider unerwartet abreißt und ihn dadurch aus seiner versunkenen Gedankenwelt aufschreckt.
Das Piano sucht bei "Go Easy On Me Now (Sirens + Emergencies)" zunächst vorsichtig tastend nach einer Konstante, bevor der Track durch andächtige, innig und theatralisch gesungene Töne, die sich wie ein Gebet und nicht wie ein Pop-Song anhören, aufgefangen wird. Salbungsvoll werden auch die Klänge für "Last Night / Centurial Procedures (The 1900s)" in einem wohlig warmen Sound-Kokon aufbereitet, der sich schon nach eineinhalb Minuten wieder auflöst. Wie schade!

Der Physiker Robert Oppenheimer war einer der Väter der Atombombe und Namensgeber für das Lied "Oppenheimer". Emil erklärt das so: "Es ist schwer, meine Faszination dafür zu verstehen, aber ich denke, es hat natürlich mit Leben und Tod zu tun und sich die Freiheit zu nehmen, andere und ihr Schicksal zu kontrollieren ... Die Atombombe war die Zukunft und es war Populärkultur. Und die Tatsache, dass der Bikini das neueste Modeprodukt war und sie ihn nach dem Ort benannten, an dem sie eine Bombe gesprengt haben! Es sagt uns einfach so viel über diese Zeit." Ist das die Faszination für das Unbegreifliche im Schrecklichen, was aus diesen Worten spricht? Der Track selber spiegelt zumindest eine Stimmung wider, die zwischen Furcht, Grausen und dem Suchen nach dem Licht am Ende des Tunnels liegt.
Feierlich und emotional stark bewegt präsentiert sich im Anschluss "Darling", das durchaus mit einer Zeitmaschine aus einer längst vergangenen Epoche - wie Rokoko oder Romantik - zu uns gelangt sein könnte.

"Interval / Repeat" klingt wie die Definition der Geschwindigkeit der Einsamkeit. Das ist eine Beschreibung, die von einem John Prine-Song entliehen ist ("Speed Of The Sound Of Loneliness", 1986) und wie die Musik für eine neue Gesellschaft von nachdenklichen, bekümmerten und kreativen Menschen. Das ist eine Formulierung, die John Cale für eines seiner inbrünstigen Alben gewählt hat ("Music For A New Society", 1982). Das Lied wird entrückt gesungen und nur von einem sparsam gespielten Klavier und ätherisch-schwebenden Orgelklängen begleitet, was für eine weltabgewandte Stimmung sorgt. "A House And A Fire" hinterlässt den Eindruck einer Tragödie, aus der man gestärkt hervorgeht. Das Stück erscheint würdevoll, wobei der erhebende Gesang für Hoffnung sorgt und für Vertrauen wirbt. Was für ein zuversichtlicher Ausblick zum Abschluss!
Eine Laterne und eine Glocke: Beides wird benötigt, um sich zu orientieren und sich bemerkbar zu machen, also um Kontakt aufzunehmen. Und Kontakt braucht man, um schwere Zeiten zu überwinden. In diesem Sinne dienten die Aufnahmen als eine Art Therapiearbeit, die Emil Svanängen und sein Produzent Emanuel Lundgren in einem Stockholmer Studio gemeinsam erlebt und durchgestanden haben.

Auf "A Lantern And A Bell" klingt der Klassik- und Jazz-Fan Loney Dear wie ein Sprachrohr der verlorenen Seelen und der Betrübten, deren Schmerz er als Geleichgesinnter lindert, indem er Verständnis aufbringt und dadurch sowohl Trost wie auch Kraft spenden kann. Als derjenige, der die Pein schon durchlitten hat, kann er Vorbild, Freund und Ratgeber sein. Seine Stärke besteht aus inniger Glaubwürdigkeit und betörender Intensität, was über eindringliche Schwingungen vermittelt wird. Keine halbe Stunde dauert das Werk, aber es ist dennoch so drastisch aufwühlend, dass es erst einmal emotional verdaut werden muss. Ganz große Gefühle werden hier verdichtet und leidenschaftlich nahegebracht. Das ist die hohe Kunst der absoluten Hingabe für die Musik!

Peter Gabriel nannte Loney Dear nicht nur "Europas Antwort auf Brian Wilson", sondern nahm ihn auch gleich für sein Real World Records-Label unter Vertrag. Gabriels Einschätzung ist durchaus nachvollziehbar, denn der schwedische Singer-Songwriter, der seine Kompositionen gerne mit diffusen maritimen Eindrücken umgibt, entwickelt spezifische Song- und Arrangement-Formen. Er denkt sich unter die Haut gehende Lieder aus, die lange nachhallen und sich im Unterbewusstsein anreichern. Die Musik hat einen ehrfürchtigen, spirituellen Charakter, auch wenn es sich hier nicht um Gospel-Musik im engeren Sinne handelt. Emil Svanängen singt die Lieder, als würde er sich in einer Heiligen Messe befinden. Er zelebriert sie wie ein gefallener Engel, der inbrünstig über Schuld und Sühne berichtet. Damit steht er in der Tradition solcher Künstler wie Townes van Zandt, Tim Hardin, Elliott Smith, Nick Cave, Rufus Wainwright, José González (Junip), Nick Drake oder Songs Of Boda.

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