Rikke Normann - The Art Of Letting Go

 
Ohne es letztlich zu wissen, könnte aber angenommen werden, dass der Veröffentlichungstermin von "The Art Of Letting Go" bewusst auf den 19. März 2021 gelegt wurde. Denn ein Tag später ist Frühlingsanfang und die Musik von Rikke Normann ist überwiegend positiv gestimmt und scheint sich in diese Aufbruchsstimmung einklinken zu wollen. Dabei behandelt das neueste Werk der norwegischen Musikerin überwiegend ernste Themen, denen wir uns eventuell auch einmal stellen müssen, wie zum Beispiel dem Loslassen. Dem Loslassen von Gewohnheiten, von Menschen, von Einstellungen oder von Lebensabschnitten. Das kann freiwillig oder gezwungenermaßen erfolgen. Und dann gibt es Probleme. Und dazu bedarf es einer Lösung, die uns durch die Krise führt und im besten Fall die Erkenntnis bereit hält, wie wir positiv in die Zukunft schauen können. Das gelingt natürlich nicht immer. 

Aber genug der philosophischen Kalenderweisheiten, betrachten wir die musikalischen Mittel, derer sich Rikke Normann auf ihrem fünften Album in zehn Jahren bedient: Bei "I Will Try" zeigt sich die Singer-Songwriterin freundlich, ein bisschen naiv und voller Erwartungen. Der Song gewinnt im Verlauf an Ausgelassenheit und zaubert unbewusst ein Lächeln ins Gesicht. Das ist angenehme Manipulation durch positive Ausstrahlung. Mit Charme lässt sich eben unverfängliche Überzeugungsarbeit leisten. Das klingt beinahe, als hätte man es hier mit belanglosem, simplen Pop zu tun. Ganz im Gegenteil: Nichts ist schwerer, als leicht und dabei kultiviert zu klingen. Und genau das gelingt mit diesem Lied. Die Musik wurde transparent, deutlich und kraftvoll produziert und die Instrumentierung setzt durch knackige, kurze Beiträge akzentuierte Duftmarken.

"I Dunno Love" behandelt Probleme, die Dating-Portale mit sich bringen können und bewegt sich musikalisch noch mehr in Richtung eines sonnigen Singalong-Pops. Dadurch kommt das Lied etwas konturlos und beliebig rüber. Es fehlt eine gewisse gewitzte Raffinesse in der Melodieführung.
"In The Greys" macht diese Scharte durch einen lebendigen, zackigen Fake-Funk-Rhythmus, der sich gut mit dem Soul-Gesang verträgt, wieder wett. Allerdings ist die Melodie zu sehr darauf bedacht, in erster Linie eine aufgesetzte Fröhlichkeit zu vermitteln. Das steht wahrscheinlich absichtlich in hartem Kontrast zu dem traumatischen Erlebnis, das Rikke zu dem Lied animiert hat. Sie musste nämlich mit 16 Jahren einen sexuellen Missbrauch erleiden, der durch aktuelle Berichterstattungen erneut verarbeitet werden musste. Der Electro-Pop von "Everybody Makes Mistakes" klingt altmodisch, etwas unbeholfen, aber auch sympathisch. Der Song passt also genau in die Garde der Lieder, die darauf bedacht sind, nicht durch Extravaganz aufzufallen.

"Unfollow" erzeugt eine nachdenklich-zurückgenommene Stimmung, bei der sich Rikke als beunruhigte Erzählerin präsentiert. Mit aufmunternden Disco-Rhythmen bringen "Melted Snow" und "Drama Queen" dann wieder Schwung ins Geschehen. "Don´t You Worry" ist der reifste und differenzierteste Song des Albums. Dazu trägt auch der prickelnde Duett-Gesang mit Adam Douglas bei, der am 23.04.2021 sein drittes Album "Better Angels" herausbringen wird. Dieser R&B-Boogie überzeugt durch geschickte Tempi-Wechsel und einer coolen Roots-Rock-Ästhetik.
Der fröhliche Folk-Pop "Candy" geht leicht ins Ohr und eckt nicht an. Gesanglich schwingt sich Rikke dann bei dem sehnsüchtigen "Redefine Yourself" bis ins Falsett hinauf.
Bei dem Fake-Walzer "The Art Of Letting Go" verweigert sich die instrumentelle Begleitung jeglicher Genre-Einordnungen. Es wird mutig sowie dynamisch abgestuft musiziert und dem Song so Spannung und Beweglichkeit verliehen.

Die Idee ist bestechend, ernste Themen in netten Pop-Songs unterzubringen. In den 1980er Jahren gab es zum Beispiel mit "Free Nelson Mandela" von The Special AKA aus dem Jahr 1984 oder "(We Don`t Need That) Fascist Groove Thang" von Heaven 17 aus 1981 eine ähnliche Vorgehensweise, um wichtige Sachverhalte möglichst bei vielen Leuten unterzubringen. 

Auch Rikke Normann versucht unbequeme, problembelastete Inhalte angenehm zu verpacken, damit die bitteren Pillen besser zu schlucken sind. Mit "The Art Of Letting Go" entstand eine Liedersammlung fürs alternative Frühstücksradio, die selten aufdringlich, aber oft ungezwungen wirkt. Die Lieder sind auf eine angenehme Weise unspektakulär. Es findet kein Schaulaufen hinsichtlich des Herausstellens von gesanglichen Höchstleistungen statt und die Instrumentierung ist präzise und klug, protzt aber nicht mit exzessiven Solo-Exkursionen. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen, wo doch bei jeglicher Musik von Seiten der Rezensenten blendende Besonderheiten, schlagkräftige Durchsetzungsfähigkeit, individuelle Sonderklasse und immer wieder Genialität erwartet wird. 

Aber die Kunst der unkomplizierten Schlichtheit hat kaum eine Chance, positiv aufzufallen. Rikke Normann macht die Möglichkeit des Loslassens zu einer spielerischen Angelegenheit, die nicht zu verbissen verfolgt werden sollte. Sie versucht mit ihrer Musik auf diesem Gebiet Nachhilfe zu geben. Zwar kann nicht jeder Song des Albums überzeugen, aber trotzdem sollte die Musikerin an ihren Prinzipien festhalten und eventuell mit Adam Douglas an weiteren Kompositionen arbeiten, denn diese Verbindung ist sehr vielversprechend ausgefallen.

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